Estland: Pastoralbesuch von Patriarch Kirill in Estland
Anlässlich des 20. Jahrestages der Verleihung der Autonomie an die Estnische Orthodoxe Kirche – Moskauer Patriarchat (EOK-MP) durch Patriarch Alexij II. 1993 hat Patriarch Kirill vom 14. bis 16. Juni Estland besucht.
Patriarch Kirill würdigte die Entscheidung seines Vorgängers, da sie die Voraussetzungen für eine weitere Stärkung der Orthodoxie in Estland geschaffen habe. Die EOK-MP sei „keine Agentin eines ausländischen Staates, sondern die lokale orthodoxe Gemeinde“.
Der Patriarch legte zum Gedenken an die Zwangsdeportation von mehr als 10 000 Esten unter Stalin am Tallinner „Monument der Trauer“ einen Kranz nieder; die Deportation jährte sich am 14. Juni zum 72. Mal. Der Patriarch erklärte, zu den Opfern hätten auch Russen gezählt, wie die Eltern des heutigen orthodoxen Metropoliten von Tallinn und ganz Estland, Kornilij (Jakobs). Der estnische Ministerpräsident Andrus Ansip würdigte die Kranzniederlegung des Patriarchen als ein Zeichen, dass dieser die Versöhnung von Esten und Russen anstrebe und „die Leiden des estnischen Volkes“ verstehe. Allerdings legte Patriarch Kirill auch einen Kranz am Denkmal des „Bronzenen Soldaten“ nieder, das aus russischer Sicht an die Befreiung Estlands durch die Rote Armee 1944 erinnert. Für viele Esten symbolisiert das Denkmal jedoch die Unterjochung des Landes unter die Sowjetherrschaft. 2007 war der „Bronzene Soldat“ auf Beschluss der estnischen Behörden von der Stadtmitte auf einen Soldatenfriedhof versetzt worden, was bei vielen Russen für helle Empörung gesorgt und schwere Auseinandersetzungen zwischen Esten und Russen heraufbeschworen hatte.
Zum Schluss seiner Reise traf Patriarch Kirill auch mit dem Erzbischof der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (EELK), Andres Põder, zusammen. Der Patriarch lobte die EELK wie die lutherischen Kirchen in Lettland und Litauen, weil sie die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren und homosexuellen Geistlichen ablehnten. Dagegen würden leider „zahlreiche protestantische Kirchen radikale Änderungen in die moralische Lehre einbringen, die sie noch vor kurzem bezeugt“ hätten. Namentlich nannte der Patriarch die Schwedische Kirche, die seit Ende 2009 auch gleichgeschlechtliche Paare traut. Deshalb habe die Russische Orthodoxe Kirche die Kontakte zu dieser Kirche abgebrochen.
Erzbischof Põder wertete das Treffen mit Patriarch Kirill als „gutes Signal“. Es zeige, dass sich Mitglieder verschiedener Kirchen, Nationen und Kulturen wünschten, einander zu verstehen. Bisher habe es an gemeinsamer Kommunikation gefehlt. „Wir brauchen die Fähigkeit, einander zu akzeptieren und zu respektieren.“
Etwa 16% der 1,3 Million Einwohner Estlands sind orthodoxe Christen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion teilte sich 1993 die orthodoxe Kirche Estlands: Die EOK-MP untersteht Moskau, die Estnische Apostolische Orthodoxe Kirche (EAOK) untersteht dem Patriarchat von Konstantinopel (s. G2W 2/2011, S. 25–27). Die Trennung ist einer der Hauptstreitpunkte zwischen den beiden Patriarchaten. Aus Protest gegen die Aufnahme der EAOK in die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) setzte die Russische Orthodoxe Kirche 2008 ihre Mitgliedschaft in der KEK aus, die bis heute ruht.
Die EOK–MP steht unter der Leitung von Metropolit Kornilij (Jakobs) von Tallinn; sie verfügt über 31 Gemeinden und 45 Priester, 13 Diakone und rund 60 000 Gläubige, zumeist Russen. Die EAOK verfügt nach eigenen Angaben über insgesamt 3 Bischöfe, 20 Priester, 4 Diakone, 60 Gemeinden und 20 000 Gläubige, zumeist Esten und einem kleinen Teil Russen. Oberhaupt der EAOK ist Metropolit Stephanos (Charalambides) von Tallinn.
www.patriarchia.ru, 6. Juni; www.pravmir.ru, 17. Juni; Kommersant, 17. Juni; KNA-ÖKI, 17. Juni 2013 – O. S.