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Georgien: Südossetien und Abchasien drängen auf eigene kanonische Kirchenstrukturen

20. Januar 2011
Erzpriester Vsevolod Tschaplin, der Leiter der Synodalabteilung des Moskauer Patriarchats für die Beziehungen der Kirche zur Gesellschaft, hat an einer Konferenz in Moskau erklärt, dass die orthodoxen Gläubigen in Südossetien den Wunsch nach einer eigenen kanonischen Geistlichkeit hegten.

Dieser Wunsch sei vor dem Hintergrund der jüngsten Geschichte durchaus verständlich, da bei den Gläubigen nur solche Geistliche auf Akzeptanz stießen, die «die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten der Republik [Südossetien]» anerkennen. An der Konferenz «Humanitäre und religiöse Aspekte in der historischen Entwicklung der Beziehungen Russlands zu Südossetien» am 8. November nahm auch der «Botschafter» Südossetiens in Moskau, Dmitrij Medojev, teil. Er erklärte, die Lage der Orthodoxen in seinem Land sei unhaltbar, und eine Lösung des Problems liege sowohl im nationalen Interesse Südossetiens als auch Russlands.

Die Aussagen von Erzpriester Tschaplin verweisen auf ein Dilemma, vor dem die Russische Orthodoxe Kirche steht: Auf der einen Seite hat das Moskauer Patriarchat bis heute die Zugehörigkeit der beiden abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien zum kanonischen Territorium der Georgi- schen Orthodoxen Kirche betont – zuletzt an einem Treffen von Patriarch Kirill mit Katholikos-Patriarch Ilia II. in Baku (s. G2W 1/2010, S. 4). Auf der anderen Seite muss die Kirche – wohl aus politischen Gründen – die Unabhängigkeit der beiden Provinzen anerkennen. So hat Patriarch Kirill im September 2010 der südossetischen Führung zum 20. Jahrestag der Unabhängigkeit gratuliert – und war dafür von Katholikos-Patriarch Ilia II. umgehend scharf kritisiert worden: «Solches Tun ist überaus traurig und völlig unverständlich, denn damit wird ein gewaltsam eingesetztes, separatistisches Regime unterstützt und anerkannt, das seine ‹Unabhängigkeit› auf uraltem, von der ganzen Welt anerkanntem georgischen Boden deklariert hat.»

In Südossetien und Abchasien sind seit den 1990er Jahren parallel zu den politischen separatistischen Bewegungen eigene, unkanonische Kirchenstrukturen entstanden, die beim Moskauer Patriarchat – bisher immer vergeblich – um Aufnahme nachgesucht hatten: Für Südossetien weihte Mitte der 1990er Jahre die Russische Auslandskirche Georgi Puchaty zum Priester einer sog. Propstei Alanien. Nach der Wiedervereinigung der Russischen Auslandskirche mit dem Moskauer Patriarchat ging Puchaty zum unkanonischen «Synod der altkalendarischen Oppositionellen Wahren Ortho- doxen Kirche» über, wurde von ihr zum Bischof geweiht und seine Propstei zur «Eparchie Alanien und Suchumi» erhoben. Vor wenigen Monaten wurde er aufgrund von Konflikten mit dem Synod bis auf weiteres beurlaubt; die Leitung der «Eparchie» übernahmen andere südossetische Geistliche. Puchaty wird jedoch vom südossetischen Präsidenten, Eduard Kokojta protegiert.

In Abchasien hat Priester Vissarion Apliaa, der vormalige Stv. Leiter der Eparchie Suchumi und Abchasien der Georgischen Orthodoxen Kirche, am 15. September 2009 die Gründung einer eigenen «Abchasischen Orthodoxen Kirche» bekannt gegeben. Unterstüt- zung fand er dabei bei der politischen Führung Abchasiens (s. G2W 11/2009, S. 3f.).

www.religion.ng.ru, 17. November 2010 – O.S.

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