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Polen/Weissrussland: Die "Karriere" des Juozas Bulkas

04. Mai 2009

Anfang März veröffentlichte die polnische Zeitung «Gazeta Wyborcza» eine längere Reportage über den in der Zwischenkriegszeit im litauischen Teil Polens geborenen, gegenwärtig in Weissrussland wohnhaften, Priester Juozas Bulkas und dessen Lebensweg. Wer war bzw. wer ist dieser Bulkas, dass ihm die «Gazeta Wyborcza» so viel Aufmerksamkeit schenkt?

Im November 1987 fand in der polnischen Bischofsstadt W?oc?awek eine seltsame Bischofsweihe statt. Nicht in der Kathedrale nahm der katholische Bischof Andrzejewski die Weihe vor, sondern heimlich im Garten der Kurie. Nur vier Personen waren anwesend: der Oberhirte, der Neupriester sowie zwei Geistliche als Zeugen. Der zu Weihende ist Józef Bulka, sein litauischer Name lautet: Juozas Bulkas. Heute wirkt der Priester nicht mehr in Polen oder Litauen, sondern in dem halbdiktatorisch regierten Weißrussland. 2006 überreichte Staatschef Alexander Lukaschenko dem Geistlichen sogar einen Orden und einen Geldpreis: «Für die geistliche Renaissance der Belarus.» Im Oktober 2008 allerdings stellte ein Gericht in Vilnius gegen ihn einen «europäischen Haftbefehl» aus: «In jedem Land der EU ist Priester Bulkas sofort festzunehmen.» Aber im Lande Lukaschenkos ist er davor sicher. Was wird Bulkas vorgeworfen?

In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg tobte in Litauen ein grausamer Vernichtungskampf der Sowjets gegen litauische Freischärler. Auch der junge Bulkas ist ein Mitglied der Partisanen. Er bringt Nachrichten und antikommunistische Zeitungen nach Vilnius, die sein Bruder in einer im Wald versteckten Druckerei herstellt. Bei Tage arbeitet Bulkas als Postangestellter. Jedoch wird er zu einer weiterbildenden Schulung geschickt, die sich in Wirklichkeit als Veranstaltung des sowjetischen Geheimdienstes entpuppt. Dort kommt er mit Führungsoffizier Oberst Buschkow zusammen, der ihn für «entwicklungsfähig» hält. Zu diesem Zusammentreffen stellt der Historiker Laimonas Abarius fest: «Aus den erhaltenen Dokumenten geht hervor, dass Bulkas praktisch sofort zur Zusammenarbeit bereit war. Für gewöhnlich wurden die Partisanen gefoltert, bei ihm war das nicht nötig.» Von der «Schulung» zurückgekehrt, berichtet Bulkas Bruder und Mutter über die neue Situation. Mit Hilfe der Mutter, (Tarnname «Lied») täuschen sie Tod durch Ertrinken vor. Beide Brüder scheinen vom Erdboden verschwunden. Sie stoßen zu einer Partisaneneinheit. Diese ist zuerst argwöhnisch, aber als etliche Tage vergehen und niemand verhaftet wird, verliert sich das Misstrauen. Im Frühjahr 1951, zweieinhalb Jahre nach dem «Ertrinken» Bulkas', erfährt der Geheimdienst, wo sich der Flüchtling verbirgt. Man stellt ihm eine Falle. Juozas ergibt sich sofort, sein Bruder Antanas stirbt im Kampf.

Ab 1951 wird Bulkas zum Agenten «Bimba». Die Geheimdienstleute überzeugen ihn, dass die Partisanen ohnehin dem Untergang geweiht sind. Umso wichtiger sei es, zu verhindern, dass noch mehr junge Menschen umkommen. Die Anklage wirft ihm heute vor, mindestens an der Ermordung von 56 Menschen schuldig zu sein. Gleichzeitig bescheinigen ihm alle, dass er schon immer sehr fromm war und eigentlich Priester werden wollte. Die einstige Partisanin Paulina Gaidelyte berichtet, was im April 1951 geschah: Bulkas lud Führer der Partisanen zu einer Beratung ein. «Niemand überlebte dieses Treffen. [...] Bald danach kamen die Russen und deportierten unsere ganze Familie. Ich kam nach Kasachstan. [...] Als wir nach zehn Jahren zurückkehrten, meine Schwester und ich, war uns gar nichts geblieben. [...] Dieser Mensch hat unser Leben zerstört.» Am 27. Oktober 1951 lädt Agent «Bimba» wieder zu einer Partisanenberatung. «Die Begegnung fand in einem Waldbunker statt, es kamen die letzten hohen Führer des Untergrunds. ‹Bimba› verließ den Bunker, kurz danach explodierte drinnen eine Mine.» «Bimba» war deshalb so erfolgreich, weil die Menschen ihm vertrauten. Er war ein im Untergrund überprüfter Partisan und «fast ein Priester». Er war angesehen beim Stab der Partisanen und stammte aus einer patriotischen Familie. Der sowjetische Geheimdienst organisierte für Bulkas später einen «Rückzug ins Privatleben». Diese «Legalisierung » erfolgte im Januar 1954. Bulkas stellte sich offiziell und wurde im Rahmen einer Amnestie freigelassen. Auch eine Arbeitsstelle als Angestellter in einer Fabrik beschaffte man ihm.

In Polen erfolgte dann 1987 die erwähnte Priesterweihe durch den damaligen Bischof Andrzejewski. Der heutige Bischof Mering wird von der Presse mit der Frage nach Bulkas überrascht. Als man ihm die Dokumente zeigt, lässt er den Fall untersuchen. Danach stellt der Bischof fest: «Priester Bulkas ist tatsächlich Priester unserer Diözese und formal mein Untergebener. Praktisch weiß ich nichts von ihm, das Geheimnis seiner Weihe hat Bischof Andrzejewski ins Grab genommen. Wir haben keine in solchen Fällen üblichen Dokumente: weder ein Seminardiplom noch eine Begutachtung - nichts.»

Heute kann sich Priester Bulkas im Schatten Lukaschenkos sicher fühlen. Die polnischen Journalisten sind ihm jedoch auf die Spur gekommen. Gefragt, ob er wisse, wessen man ihn in Litauen anklagt, erwidert er: «Die (litauischen) Landsleute rächen sich an mir, weil ich immer gut zu den Polen war. [...] Es fällt mir schwer, dies zu sagen, aber die meisten Litauer sind Nationalisten, sie hassen Polen.» Und auf die Frage, ob er den Sowjets litauische Partisanen verraten habe: «Was für Partisanen! Das waren Banditen. Da gab es Trunksucht, Mord, Ausschweifung. Vielleicht waren ein oder zwei Partisanen darunter, die übrigen waren Banditen. Ich weiß viel von ihnen, deshalb wollen sie sich an mir rächen.»

Wolfgang Grycz nach: «Gazeta Wyborcza», Warschau, 2. März 2009.
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