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Russland: Debatte um den Lehrstuhl für Theologie am Zentrum für Atomphysik in Moskau

03. September 2013

Um den Lehrstuhl für Theologie an der Moskauer Nationalen Universität für Atomforschung (MEPhI), der im letzten Jahr „für die Zusammenarbeit zwischen orthodoxer Theologie und moderner Wissenschaft“ gegründet worden war, ist in Russland eine öffentliche Debatte entbrannt.

Mehr als 2000 Personen sind einem Aufruf von 91 Mitgliedern der Russischen Akademie der Wissenschaften gefolgt, den Lehrstuhl für Theologie an der MEPhI zu schließen.

Die Unterzeichner der Petition erklären, dass die Präsenz „eines Lehrstuhls für orthodoxe Theologie an einer wissenschaftlichen Einrichtung“ Zeichen für „eine besorgniserregende wachsende Klerikalisierung der Gesellschaft“ sei. In anderen Ländern existierten analoge theologische Einrichtungen entweder an privaten Universitäten, oder „sie zollten Tribut an eine jahrhundertealte Tradition, als mittelalterliche Universitäten noch Ausbildungsstätten künftiger Kultusdiener waren“. Ein solcher Lehrstuhl an einem modernen Polytechnikum widerspreche jedoch jeder internationalen Praxis und sei „Unfug“. Nukleare Sicherheit werde „nicht mithilfe der Theologie garantiert und nukleare Technologien verlangen keinen Glauben, sondern rein wissenschaftliches Denken“. Das „Eindringen der Kirche in die staatliche Bildung“ könne „nicht anders als illegal“ bezeichnet werden, daher „fordern wir den umgehenden Stopp der Arbeit dieses ‚Lehrstuhls‘“.

In orthodoxen sozialen Netzwerken hat dieser Aufruf einiges Echo ausgelöst. So erklärte die Chefredakteurin der Internetseite Pravoslavie i mir (Orthodoxie und Welt), Anna Danilova, die Vorlesungen zur Theologie seien ausschließlich fakultativ und rein informativ, von Pflichtveranstaltungen könne keine Rede sein. Da in Russland ein seriöses Diskussionsforum zwischen Naturwissenschaften und Theologie fehle, biete der Lehrstuhl an der MEPhI „eine einzigartige Chance“, zu einem solchen zu werden. Eine ganze Reihe orthodoxer Geistlicher, darunter ein Bischof, hätten vor ihrer Weihe dort studiert.

Der Chefredakteur des Radiosenders Kommersant FM, Konstantin von Eggert, meinte in seinem Blog, bei allen Akademiemitgliedern, die den Appell unterzeichnet hätten, handle es sich um frühere Mitglieder der KPdSU, die als Physiker zu 90% in der Rüstungsindustrie beschäftigt gewesen wären und sehr viel verdient hätten. Nach der Wende seien diese „Hohepriester der Wissenschaft“ mit dem Wiedererstehen von Religion und Kirche konfrontiert worden und hätten ihr lang gehegtes Monopol auf naturwissenschaftlich-atheistische Weltanschauung verloren.

Erzpriester Vsevolod Tschaplin, der Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, erklärte gegenüber der Agentur RIA-Novosti, die Gegner einer Präsenz der Theologie an staatlichen technischen Hochschulen beriefen sich stets auf das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat. Dies besage jedoch lediglich, dass „religiöse Vereinigungen als Organisationsstrukturen den Organen der Staatsmacht nicht subsumiert werden dürfen, und der Staat keine religiösen Funktionen ausüben darf“. Es bedeute allerdings nicht, „dass die Religion aus dem Leben der Gesellschaft ausgeklammert werden soll, auch nicht aus der Bildung“. Das sei daran ersichtlich, dass es bereits eine Reihe theologischer Lehrstühle an verschiedensten staatlichen Hoch- und Fachhochschulen in Russland gebe und in vielen Ländern Usus sei. Zwar handle es sich meist um geisteswissenschaftliche Einrichtungen, doch wenn Studierende technischer Schulen ihr religiöses Wissen vertiefen wollten, sollte man ihnen diese Möglichkeit bieten. Bisher sei man jedenfalls nicht an seine Synodalabteilung mit der Bitte herangetreten, einen der theologischen Lehrstühle zu schließen.

www.portal-credo.ru, 10.–14. Juni; www.pravmir.ru, 11. Juni 2013; www.mephi.ru/content/news/1387/17482/?sphrase_id=203504 – O. S.

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