Russland: Duma verabschiedet „Blasphemie-Gesetz“
In dritter Lesung hat die russische Duma mit 308 zu zwei Stimmen am 11. Juni das Gesetz „Über die Verletzung religiöser Gefühle“ verabschiedet
, das – nach Billigung durch den Föderationsrat und die Unterzeichnung durch Präsident Putin – am 1. Juli in Kraft treten soll. Auslöser für das Gesetz war der Skandalauftritt der Punk-Band Pussy Riot in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale (s. RGOW 3/2013, S. 20–21). Bereits in den Jahren zuvor hatten jedoch Ultraorthodoxe bei Kunstaustellungen, die Religion und Kirche hinterfragten oder kritisierten, gefordert, die verantwortlichen Künstler und Galeristen wegen „Blasphemie“ hart zu bestrafen (s. RGOW 1/2013, S. 24–25).
Um die „Verletzung religiöser Gefühle“ zu bestrafen, wurde das zunächst eigens kreierte Gesetz in Art. 148 des russischen StGB („Verletzung des Rechts auf Gewissens- und Glaubensfreiheit“) eingebaut, der nun „öffentliche Handlungen, die eine klare Missachtung der Gesellschaft bedeuten und mit dem Ziel vollzogen werden, religiöse Gefühle von Gläubigen zu verletzen“, ahndet (s. RGOW 5/2013, S. 5). Die Höchststrafe für Blasphemie beträgt bis zu umgerechnet 8570 CHF, ein Jahr obligatorischen sozialen Arbeitseinsatz oder ein Jahr Haft. Geschieht das Delikt in Sakralbauten oder an Plätzen, an denen Sakralhandlungen begangen werden, erhöhen sich die Höchststrafen und werden mit umgerechnet bis zu 14 270 CHF, dreijährigem obligatorischem Arbeitseinsatz oder mit einer Haftstrafe bis zu drei Jahren geahndet. Für die „öffentliche Schändung religiöser oder gottesdienstlicher Literatur, sakraler Gegenstände oder solcher mit weltanschaulicher Symbolik“ sind Geldstrafen von bis zu umgerechnet 5700 CHF vorgesehen; unter Strafe stehen ebenso Störungen von Gottesdiensten mit bis zu umgerechnet 8570 CHF.
Die erste Lesung des Gesetzentwurfs in der Duma erfolgte im April, für ihn stimmte die absolute Mehrheit der Abgeordneten, dagegen nur die Kommunisten sowie mehrere Abgeordnete der Partei „Gerechtes Russland“. Bürgerrechtler, zahlreiche Juristen sowie der „Rat zur Förderung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte beim russischen Präsidenten“ kritisierten, der Entwurf verstoße gegen den in der Verfassung verankerten säkularen Charakter des Staates, gegen das Recht auf Glaubensfreiheit sowie gegen die Rede- und Meinungsfreiheit. Auch die russische Regierung schloss sich der Kritik an. Präsident Putin wies das Gesetz daraufhin zur Überarbeitung zurück.
Mitte Mai verabschiedete die Duma das Gesetz in zweiter Lesung. Kritiker monierten, dass es zuvor weder öffentlich diskutiert noch die Einwände der Bürgerrechtlicher berücksichtigt worden seien, lediglich seien die Formulierung „traditionelle und nicht-traditionelle Glaubenslehren“ gestrichen und die Höchststrafe von fünf auf drei Jahre reduziert worden. Noch immer fehle es an einer klaren juristischen Definition, was eine „Verletzung religiöser Gefühle“ sei. Vielmehr werde mit einer derart schwammigen Formulierung der Willkür Tür und Tor geöffnet. Mittlerweile warnen Kritiker vor Denunziation und Selbstjustiz: Noch vor der definitiven Verabschiedung des Gesetzes tauschten sich „orthodoxe Aktivisten“ in den sozialen Netzwerken über tatsächliche oder vermeintliche Gotteslästerer aus und planten Bürgerwehren; es sei bereits zu ersten Handgreiflichkeiten gekommen.
www.portal.credo.ru, 11., 12. April, 24. Mai; www.pravmir.ru, 13. März; www.interfax-religion.ru, 11. Juni 2013 – O. S.