Russland: Gerichtsurteil gegen die Veranstalter der Ausstellung "Verbotene Kunst 2006"
Das Gericht blieb damit deutlich unter den von der Anklage geforderten drei Jahren Arbeitslager. Auch im Berufungsverfahren erklärte das Gericht die Strafen am 4. November für rechtens. Laut Artikel 282 des Strafgesetzbuches der Russländischen Föderation wurden die Angeklagten der «Schürung von Hass und Zwietracht, Erniedrigung der Menschenwürde unter Nutzung ihrer Dienststellung » für schuldig befunden.
Noch im Oktober hatte sich Amnesty International mit einem Aufruf an Präsident Dmitrij Medvedev und den russischen Generalstaatsanwalt, Jurij Tschajka, gewandt, das Gerichtsverfahren schnellstmöglich einzustellen, da es die Meinungs- und Äußerungsfreiheit der Angeklagten verletze. Jurij Samodurov ist ehemaliger Direktor des Sacharov- Museums und ist bereits für die Organisation der Ausstellung «Achtung Religion! » von 2003 zu einer Geldstrafe verurteilt worden (s. G2W 5/2010, S. 16). Andrej Jerofejev ist die Stellung als Leiter der Abteilung für Gegenwartskunst in der Staatlichen Tretjakov-Galerie gekündigt worden.
Die Klage eingereicht hatte die orthodox-patriotische Bewegung «Narodnyj Sobor» (Volksversammlung), die der Ausstellung vorwarf, christliche Symbole verhöhnt und die religiösen Gefühle vieler Gläubiger verletzt zu haben. An der Ausstellung wurden die Werke prominenter russischer Gegenwartskünstler gezeigt (z. B. Ilja Kabakov), die zu anderen Ausstellungen nicht zugelassen worden waren (z. B. eine Kaviar-Fotografie in einem Ikonenrahmen oder ein religiöses Gemälde mit einer Mickey Mouse-Montage). – Beobachter des Gerichtsprozesses haben allerdings festgestellt, dass nur drei von 134 aufgerufenen Zeugen sich mit den ausgestellten Werken eingehender auseinander gesetzt haben. Zudem konnte kein Zeuge eine Person benennen, die sich nach dem Besuch der Ausstellung vom orthodoxen Glauben abgewendet hätte.
Für Kulturminister Alexander Avdejev und den Menschenrechtsbeauftragten der Russländischen Föderation, Vladimir Lukin, stellt der Gerichtsprozess eine falsche Reaktion auf ein Ereignis dar, in dem es in erster Linie um guten und schlechten Geschmack gehe – derartige Fragen würden in einer zivilisierten Gesellschaft aber nicht vor Gericht entschieden. Das Moskauer Patriarchat, das die Ausstellung von 2003 noch klar verurteilt hatte, hat die Kläger im aktuellen Gerichtsverfahren nicht offen unterstützt und betont, die Kirche beabsichtige keine Verfolgung der weltlichen Kunst; sie erinnere aber an die historischen traditionellen Werte, welche die Bolschewiken und ihre atheistischen Erben zerstören wollten. In der jetzigen Situationen wolle die Kirche aber zur Versöhnung beitragen.
Stimme Russlands, 12. Juli; Amnesty International, 28. September; www.sakharov-center.ru, 2. Oktober; www.3sat.de/kulturzeit, 5. November 2010 – R. Z.