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Russland: Gerichtsverhandlung gegen "Pussy Riot" polarisiert Kirche und Gesellschaft

15. August 2012
Unter großem öffentlichem Interesse hat am 30. Juli die Hauptverhandlung im Prozess gegen Mitglieder der feministischen Punk-Band «Pussy Riot» begonnen.

Die drei angeklagten Musikerinnen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch erklärten sich zum Prozessauftakt für unschuldig und entschuldigten sich für mögliche Verletzungen religiöser Gefühle; Tolokonnikowa bezeichnete den umstrittenen Auftritt der Band in der Christus-Erlöser-Kathedrale als einen «ethischen Fehler». Die Band hatte im Februar vor der Ikonostase der Kathedrale mit einem «Punk-Gebet» gegen den damaligen Ministerpräsident Vladimir Putin und die Unterstützung durch hochrangige Kirchenvertreter für dessen Präsidentschaftskandidatur protestiert (s. RGOW 5/2012, S. 4). Die Bandmitglieder und ihre Anwälte betonten jedoch, dass sie nicht im juristischen Sinne schuldig seien, der Auftritt in der Kathedrale stelle allenfalls eine Ordnungswidrigkeit dar. Samuzewitsch sagte, ihr Protest habe sich nicht gegen Gläubige gerichtet, sondern gegen den Wahlaufruf von Patriarch Kirill für Putin. Dieser sei «eine klare Verletzung» des Prinzips der Trennung von Staat und Kirche gewesen.

Die Staatsanwaltschaft wirft den drei jungen Frauen dagegen eine gezielte Kampagne zur Demütigung der orthodoxen Christen und zur «Schmälerung der geistlichen Grundlagen des Staates» vor. In der Anklageschrift wird ihnen vorgeworfen, «auf blasphemische Weise die jahrhundertealten Grundfesten der Russischen Orthodoxen Kirche erniedrigt » und «religiösen Hass und Feindschaft » geschürt zu haben. Tolokonnikowa, Alechina und Samuzewitsch befinden sich seit März in Untersuchungshaft; ihnen droht bis zu sieben Jahren Haft.

In einem Interview mit der Zeitung Moskovskie novosti am 19. Juli erklärten die Vertreter der Anklage, die insgesamt neun Personen repräsentieren, die das Gericht als Opfer anerkannt hat (Wachpersonal der Kathedrale, Kerzenverkäufer, Bewahrer der Kirchengewänder), dass die drei Frauen in Wirklichkeit «Agentinnen der weltweiten Organisation der Extremisten, die Krieg gegen die Russische Orthodoxe Kirche führen», seien: «Die Angeklagten […] sind nur die kleine sichtbare Spitze eines Eisbergs von Extremisten, die danach streben, die tausendjährige Grundfeste der Russischen Orthodoxen Kirche zu zerstören, ein Schisma zu provozieren, die Gläubigen mittels Betrugs nicht zu Gott, sondern zu Satan zu führen. Dahinter stehen echte Feinde unseres Staates wie unserer Kirche.» Die Angeklagten seien mitnichten politische Oppositionelle oder ein Opfer Putins oder des Patriarchen, sondern Handlanger des Teufels: «Die Aktion von Pussy Riot ist von einer satanischen Gruppe und der Terroranschlag von 9/11 von der Weltregierung verübt worden – beide sind auf höherer Ebene verbunden, Satan». Allen Gläubigen sei daher klar, dass eine neue Kirchenverfolgung begonnen habe.

Der Prozess gegen die inhaftierten Bandmitglieder von «Pussy Riot» hat in Russland eine lebhafte Debatte ausgelöst und polarisiert die russische Gesellschaft und zusehends auch die Kirche. Amnesty International stuft die drei Frauen als politische Gefangene ein.Jeder zweite Moskauer lehnt laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts den Prozess gegen die drei Musikerinnen ab; 37 % befürworten das Verfahren. Das Patriarchat hat den Auftritt von «Pussy Riot» als Schändung der Kathedrale verurteilt. Aus dem Prozess will es sich jedoch offiziell heraushalten.

Innerhalb der Kirche gibt es auf der einen Seite Stimmen, die eine harte Bestrafung der drei Frauen fordern. Zu diesen zählen Geistliche wie Erzpriester Vsevolod Tschaplin, der Leiter der Synodalabteilung der Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, sowie Laienorganisationen wie das «Volkskonzil» oder der «Bund orthodoxer Bürger» , die auf Kundgebungen zur «Verteidigung des Patriarchen» aufrufen und mit Plakaten «Für Gotteslästerung ins Gefängnis! » und «Russland – ohne Orthodoxie undenkbar» demonstrieren.

Auf der anderen Seite gibt es jedoch nicht wenige Priester, die bei aller Missbilligung der Tat als solcher für Augenmaß und Barmherzigkeit mit den Frauen sowie für deren Freilassung plädieren. Einer ihrer prominenten Vertreter ist Erzdiakon Andrej Kuraev, Professor an der Moskauer Geistlichen Akademie. Erzpriester Igor Prekup erklärte nach dem ersten Prozesstag, die Gesetzlosigkeit des Verfahrens schade der Kirche, da «das Gericht die Anklage so formuliert, als stünden auf der einen Seite diese [Frauen] […] und auf der anderen das ganze orthodoxe Volk, jeder, dessen Gefühle verletzt wurden und zu dessen Verteidigung der Staat angeblich angetreten ist. In seinem Namen schleudert das Gericht Blitz und Donner auf die Angeklagten und benutzt dabei Formulierungen, dass man meint, man wohne dem Jüngsten Gericht bei. Ja, meine Gefühle wurden verletzt, aber ich bleibe lieber bei meinen verletzten Gefühlen, als dass man sie auf derart widerwärtige Weise verteidigt.» Damit versuche man, die «Autorität der Russischen Orthodoxen Kirche als Werkzeug einer Strafmaschinerie zu missbrauchen und so die Orthodoxie zu diskreditieren und ihr die Möglichkeit zu nehmen, den ihr gebührenden Platz in der russischen Gesellschaft einzunehmen». Daher sei es «für uns Orthodoxe an der Zeit, diesen immer atavistischeren Prozess […] zu stoppen». Man solle nicht für oder gegen die «Pussies » kämpfen, sondern für das Christentum in der Orthodoxie.

www.portal-credo.ru, 19.-31. Juli; Kathpress, 24., 30. Juli; FAZ, 31. Juli 2012 – O.S.

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