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Russland: Kirchliche Stimmen zum Adoptionsverbot

04. Februar 2013

Zu dem Anfang des Jahres in Kraft getretenen Gesetz, das US-Bürgern die Adoption russischer Kinder verbietet, hat die Russische Orthodoxe Kirche offiziell nicht Stellung genommen. Einzelne Vertreter der Kirche äußerten sich aber durchaus zu dem neuen Gesetz: Scharfe Kritik übte Bischof Panteleimon (Schatov), der Leiter der Synodalabteilung für Wohltätigkeit und soziale Dienste: Am Schicksal der vielen Waisenkinder seien nicht nur die Eltern, sondern auch der Staat schuld, der den Menschen keine Voraussetzungen biete, damit Kinder in einer Familie aufwachsen könnten. Verantwortung für diese Kinder trage aber auch die Kirche, die es in 20 Jahren Religionsfreiheit versäumt habe, die Menschen zu lehren, dass Familie und Kinder ein Gut seien, von dem man sich auf gar keinen Fall lossagen dürfe. Solches zu tun sei eine Sünde, für die auch die Kirche einen Teil der Verantwortung trage. Bei der Verabschiedung von Gesetzen sei das Wohl der Kinder oberstes Gebot und nicht diplomatische Erwägungen.

Erzpriester Vsevolod Tschaplin, der Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, stellte sich dagegen hinter das neue Gesetz. Gegenüber Gazeta.Ru erklärte er, er unterstütze das Gesetz, da mehrere adoptierte russische Kinder in den USA durch Misshandlungen zu Tode gekommen seien. Zudem halte er die Kommerzialisierung der Adoption für sehr problematisch. In absehbarer Zeit würden sich in Russland die Lebensbedingungen für Waisenkinder verbessern: Ihre Zahl sinke stetig und selbst behinderte Kinder würden rasch die Heime verlassen. Noch weiter in der Kritik an den USA ging Erzpriester Dmitrij Smirnow, der Leiter der Synodalabteilung für die Zusammenarbeit mit den Streitkräften und Rechtsschutzorganen: Er sagte Interfax-Religija, das neue Gesetz sei seit langem überfällig, man hätte „nicht erst warten sollen, bis Dutzende russischer Kinder getötet werden. Ein solches Verhalten der Amerikaner gegenüber den Russen kommt von der Propaganda, das ist ihre Mentalität, da kann man nichts machen.“ Diejenigen, die das Adoptionsrecht für Amerikaner verteidigten, seien „nur an der Dividende von diesem Business interessiert“. Mit Unverständnis reagierten dagegen zahlreiche Priester der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland: Die allermeisten US-amerikanischen Adoptionspaare seien gläubige Christen, darunter seien nicht wenige Orthodoxe, und sie alle hätten sich bewusst für ein behindertes Kind entschieden, um diesem ein normales Leben zu ermöglichen.

Mit dem Adoptionsverbot russischer Kinder durch US-Bürger reagiert die politische Führung Russlands auf ein Einreiseverbot für russische Beamte in die USA, die als mitschuldig gelten am Tod des Anwalts Sergej Magnitzki. Dieser hatte als Mitarbeiter der internationalen Anwaltskanzlei Firestone Duncan in Moskau das US-Investmentunternehmen Hermitage Capital verteidigt und 2009 schwere Korruptionsvorwürfe gegen hohe Beamte des russischen Innenministeriums erhoben. Wenig später kam Magnitzki, der von amerikanischer Seite Rückendeckung erhielt, wegen angeblicher Steuerhinterziehung selbst in U-Haft, in der er wegen mehrfach verweigerter ärztlicher Hilfeleistung an einer Bauchspeicheldrüsenentzündung starb. Im Dezember 2012 wurde der einzige der fahrlässigen Tötung Angeklagte freigesprochen, eine Untersuchung über die Korruptionsvorwürfe wurde nicht eingeleitet.

Das Adoptionsverbot sorgte in Russland für helle Empörung: Innerhalb von 36 Stunden nach Verabschiedung des Gesetzes durch die Duma am 19. Dezember wurden mehr als 100 000 Unterschriften für seine Rücknahme eingereicht. In einem offenen Brief baten die Leiter zahlreicher Wohltätigkeitsorganisationen Präsident Putin, er möge das Gesetz nicht unterzeichnen: Jeder wisse, dass die Amerikaner, denen Russland die Adoption gesunder Kinder verwehre, behinderte und schwerkranke Kinder adoptierten. Das Verbot werde weder mehr russische Paare zur Adoption bewegen, noch würden sich dadurch die Lebensbedingungen und die medizinische Versorgung in den Waisenhäusern und Invalidenheimen verbessern oder sich die Zahl der sog. Sozialwaisen [Kinder in staatlicher Obhut, die die Eltern nicht versorgen können oder wollen] verringern. Kinder dürften weder zu einer Ware noch zum Spielball politischer Interessen degradiert werden. Seit dem Zerfall der UdSSR haben US-Bürger etwa 80 000 russische Waisenkinder adoptiert, in den letzten zehn Jahren waren es ca. 45 000 behinderte oder kranke Kinder, da ihnen die Adoption gesunder Kinder verweigert worden war. 19 dieser Kinder starben an den Folgen von Misshandlungen durch die Adoptiveltern, was in Russland für große Empörung sorgte. Zum Vergleich: Laut Angaben der Agentur RIA-Novosti wurden nach dem Zerfall der UdSSR in Russland bis zum Jahr 2006 1220 adoptierte Kinder Opfer von Misshandlungen durch ihre Adoptiveltern. Die Vize-Premierministerin für Sozialpolitik, Olga Golodez, erklärte am 14. Januar gegenüber der Presse, 128 000 russische Waisenkinder warteten dringend auf eine Adoption, 18 000 russische Eltern hätten sich dazu bereit erklärt. Insgesamt gebe es in Russland 654 000 Sozialwaisen, wovon die allermeisten allerdings in einem familienähnlichem Umfeld lebten. 105 000 Waisen lebten in Heimen, die übrigen in staatlichen Ausbildungseinrichtungen, da sie älter als 14 Jahre alt sind.

www.portal-credo.ru, 19., 20. Dezember; www.civitas.ru, 19. Dezember; www.pravmir.ru, 21. Dezember 2012, 14. Januar 2013 – O.S.

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