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Russland: Konflikte um den Bau neuer Moscheen

14. Dezember 2010

Scheich Ravil Gajnutdin, der Vorsitzende des Mufti-Rats von Russland, hat an einem Treffen mit Vertretern des Russischen Föderationsrats und der Duma am 10. November für den Bau neuer Moscheen geworben. Laut Gajnutdin verfügten die Muslime über viel zu wenige Moscheen – vor allem in den russischen Großstädten. Der Politikwissenschaftler Ali-Vjatscheslav Polosin, ein in den 1990er Jahren zum Islam konvertierter Priester, erklärte, dass es in jedem Moskauer Neubauviertel mit einem großen muslimischen Bevölkerungsanteil eine Moschee geben müsse, also insgesamt mindestens zehn bis 15. An jede Moschee sollte zudem ein Kulturzentrum angeschlossen werden, um die Muslime in den Grundlagen ihres Glaubens zu unterrichten. Polosin äußerte sich besorgt, dass die Muslime durch eine Verweigerung zum Bau neuer Moscheen an den Rand der russischen Gesellschaft gedrängt würden; außerdem berge dies die Gefahr, dass sich die Gläubigen vom Muftiat ab- und extremistischen Predigern zuwenden.

Der Bau neuer Moscheen ist ein in Russland gegenwärtig heiß diskutiertes Thema: Im Moskauer Stadtviertel Tekstilschtschiki, wo die meisten Muslime der Hauptstadt leben, demonstrieren seit ein paar Wochen mehrere hundert Menschen gegen die Errichtung einer neuen Moschee. Die städtischen Behörden hatten den Moscheebau mit einem angeschlossen Kulturzentrum für ca. 3000 Gläubige Anfang Juli bewilligt. Laut Aussagen der Demonstranten habe ihr Protest keinen religiösen noch politischen Charakter, sondern richte sich vielmehr ausschließlich gegen zu erwartende Einschränkungen im Alltagsleben, wie z. B. Lärm und Verkehrschaos, sollte die Moschee gebaut werden. Am 3. November haben die Demonstranten bei Präsident Medvedev eine Liste mit 10 000 Unterschriften gegen den Moscheebau eingereicht. Drei Wochen später gaben die Behörden bekannt, dass keine Moschee in Tekstilschtschiki errichtet wird.

Spannungen und Auseinandersetzungen gibt es auch rund um die Moskauer Hauptmoschee aus dem 19. Jahrhundert, die derzeit restauriert wird. Die Behörden haben daher einer Bitte von Scheich Gajnutdin entsprochen und den Muslimen ein Grundstück für einen provisorischen Gebetsraum in der Nähe der Hauptmoschee zugeteilt. Kritiker befürchten jedoch, dass das Provisorium zu einer Dauereinrichtung werden könnte, und umliegende Anwohner beklagen sich über Lärm und Verkehrsbehinderungen. Seit 1991 sind in ganz Russland 7200 Moscheen restauriert oder neu errichtet worden – zuvor waren es weniger als 100; bis zur Revolution von 1917 verfügten die Muslime des Landes über mehr als 15 000 Moscheen. Eigenen Angaben zufolge leben heute 19 bis 20 Millionen Muslime in Russland, davon allein 1,2 bis zwei Millionen in Moskau. Den Moskauer Muslimen stehen dabei nur sechs Moscheen zur Verfügung: für die Sunniten die Historische Moschee (für ca. 800 Gläubige), die Hauptmoschee (für ca. 1500 Gläubige), die Memorialmoschee (für ca. 500 Gläubige), die Moschee «Jadram»; für die Schiiten die Moschee «Inam» (für ca. 500 Gläubige) sowie die Moschee in der iranischen Botschaft (für ca. 100 Gläubige). Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Gebetsräumen, die vor allem in den letzten Jahren entstanden sind, z. B. im Islam-Zentrum der Universität, im Zentrum der Aserbaidschaner oder in den muslimischen Wohlfahrtseinrichtungen. Hinzu kommt, dass inzwischen immer mehr Halal-Restaurants, Bekleidungsgeschäfte, Schönheitssalons oder Fitness- Zentren ihren Kunden Gebetsräume zur Verfügung stellen.

www.religion.ng.ru, 15. 9.–20. 10.; www.portal-credo.ru, 20. 10.–11.11. 2010 – O. S.

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