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Russland: Lutherische Gemeinde an der Moskauer Petri-Pauli-Kathedrale vor der Spaltung?

19. Mai 2011
Am 10. April hat sich eine Gruppe aus der ev.-luth. Gemeinde an der Moskauer Petri-Pauli-Kirche mit einem sog. «Hilferuf» an die Öffentlichkeit gewandt.

Sie erhob schwere Vorwürfe gegen die Führung der «Evangelisch- Lutherische Kirche Europäisches Russland » (ELKER), die eine Gliedkirche der «Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, der Ukraine, in Kasachstan und Mittelasien» (ELKRAS) ist. In dem Hilferuf ist von «geistlichem Terror» und von «Eroberern der Kathedrale» die Rede. Die Amtsenthebung zweier Pastoren im Oktober 2010 durch die Kirchenleitung wird als Eingriff in die Autonomie der Gemeinde angeprangert. Zudem protestiert man dagegen, dass die Kirchenleitung angeblich eine neue lutherische Gemeinde an der Petri-Pauli-Kirche gründen wolle, um so die gegen die Kirchenleitung opponierenden Gemeindeglieder kalt zu stellen.

Der Konflikt zwischen der Kirchenleitung und der Gruppe der Protestierenden schwelt schon länger; möglicherweise wird sich die ELKRAS künftig häufiger mit solchen Problemen, besonders in größeren Stadt-Gemeinden, auseinandersetzen müssen: Die Gemeinde an der Moskauer Petri-Pauli-Kirche scheint zunehmend in einen russischen und in einen deutschen Teil auseinanderzubrechen. Dabei ist nicht die Sprache das Problem, denn die meisten deutschstämmigen Gemeindeglieder können kaum noch Deutsch; Gottesdienst- und Predigtsprache ist heute zumeist das Russische. Vielmehr stoßen in den großen lutherischen Gemeinden Russlands russische und deutsche Mentalität aufeinander. Russische oder russisch orientierte Gemeindeglieder lehnen immer häufiger eine lutherische Kirche deutscher Tradition ab. Sie wünschen sich vielmehr eine lutherische Kirche, die russischen Geist und Mentalität atmet und sich in ihrer patriotischen Haltung an der russischen Orthodoxie ausrichtet. Zudem stoßen die liberalen Positionen deutscher Theologen (Bibelexegese, Frauenordination und feministische Theologie, Segnung gleichgeschlechtlicher Paare u. a. m.), wie sie die EKD und als ihr «Ziehkind» auch die ELKRAS repräsentieren, auf immer vehementeren Widerstand – seitens russischer, aber auch seitens deutschstämmiger Gemeindeglieder.

In Moskau ist die Ausgangslage für eine gedeihliche Gemeindeentwicklung besonders schwierig. Die Gemeinde an der Petri-Pauli-Kirche stand stets etwas hinter den großen Petersburger Gemeinden zurück und war personell nie besonders gut ausgestattet. Zudem wirkten verhängnisvolle Auseinandersetzungen um die Kirche selbst einer Stabilisierung entgegen: Die 1907 eingeweihte, 1937 verstaatlichte und nach dem Krieg zu einer Diafilm-Fabrik umgebaute Kirche war allein infolge zweifelhafter Aktivitäten eines dubiosen Menschen und früheren Kommunisten mit KGB-Vergangenheit, Vladimir Pudov, vom russischen Staat 1993 an die ELKRAS zurückgegeben worden. Die Petri-Pauli-Kirche, die mit mehreren Millionen Euro aus Deutschland wiederaufgebaut worden ist, liegt im Zentrum Moskaus und stellt heute eine Immobilie von unschätzbarem Wert dar. Daran ist Pudov interessiert. 2006 trat er aus der Gemeinde aus und gründete eine neue Kirche, die «Evangelisch-Lutherische Kirche Augsburger Bekenntnisses » (ELKAB, 8 Gemeinden). Als Präsident von deren Synode verunsichert er die Petri-Pauli-Gemeinde durch das Säen von Misstrauen, von Unruhe und Feindseligkeiten und durch das Verbreiten von Unwahrheiten. Er versucht, die ihm gewogene «russische Fraktion» in der Gemeinden zu veranlassen, dass sie auf einer Vollversammlung der Gemeinde deren Herauslösung aus der ELKRAS und möglicherweise ihre Überführung in die ELKAB durchsetzt. Der «Hilferuf» der russischen Fraktion in der Gemeinde erfolgt zu einem Zeitpunkt, da der neugewählte Bischof der ELKER, Dietrich Brauer, in der Kirche und in der Moskauer Gemeinde Autorität und Ordnung wiederherzustellen versucht. Dabei geht es um die Klärung der Finanzen, aber auch um Maßregelung der Unruhestifter. – Dietrich Brauer wurde an der 18. Synode der ELKER vom 10. bis 12. März in Moskau zum Bischof gewählt.

Gerd Stricker – «Hilferuf» unter: http://de.peterpaul.ru.

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