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Russland: Mehr neoprotestantische als russisch-orthodoxe Gemeinden in Fernost

14. Dezember 2010

Laut eines Berichts der Zeitung «Svobodnaja pressa» übersteigt mittlerweile die Zahl der staatlich anerkannten neoprotestantischen Gemeinden bei weitem jene der übrigen Religionsgemeinschaften in Fernost. In der Region Primorje, im äußersten Südosten Russlands an der Grenze zu China und Nordkorea gelegen, sind die meisten neoprotestantischen Gemeinden registriert – insgesamt 178 Gemeinden (Pfingstchristen, Presbyterianer, Baptisten und Adventisten). Die Russische Orthodoxe Kirche verfügt in der Region über 89 Gemeinden, die römisch-katholische Kirche über sechs, die Altgläubigen über drei, die Juden über sieben, die Muslime über sechs und die Buddhisten über vier. Ähnlich sieht es in der Region Chabarovsk aus, die an der Pazifikküste liegt: 96 von 163 registrierten religiösen Organisationen sind neoprotestantisch – Tendenz steigend. Die Russische Orthodoxe Kirche verfügt hier lediglich über 46 Gemeinden; in den letzten Jahren musste sie sogar einige Gemeinden auflösen.

In Sibirien und im Ural ist die Zahl neoprotestantischer Gemeinden in den letzten Jahren ebenfalls angewachsen: 111 Gemeinden in der Region Krasnojarsk, 97 im Gebiet Irkutsk und 94 im Gebiet Sverdlovsk. Überwiegend handelt es sich bei diesen Gemeinden um charismatische und neupfingstliche Gruppierungen. Pastor Konstantin Bendas, Stv. Leiter des Russischen Vereinigten Bundes der Evangeliumschristen-Baptisten, schilderte der «Svobodnaja pressa» die Gründe für das Anwachsen der neoprotestantischen Gemeinden: Die Orthodoxie sei erst vor wenigen Jahrhunderten nach Fernost gekommen. Das gesamte Gebiet sei in der Zarenzeit einerseits Verbannungsgebiet für unliebsame Religionsgemeinschaften, andererseits jedoch auch deren Rückzugsgebiet in Zeiten der Verfolgungen gewesen – etwa für Altgläubige, Molokanen, aber auch für Mennoniten, Stundisten und viele andere. In sowjetischer Zeit seien viele Pastoren nach Sibirien verbannt worden, die später die protestantische Elite Russlands gebildet hätten. Aufgrund der geographischen Nähe zu Korea seien zu Beginn der 1990er südkoreanische Missionare ins Land gekommen, und umgekehrt nicht wenige Russen zum Studium an die Bibelseminare nach Südkorea gereist. Die dort ausgebildeten russischen Missionare wirkten nun in Zentralasien, China, der Mongolei, Laos und Tadschikistan. Mittlerweile seien dort weitaus mehr russische als koreanische Pastoren tätig.

Viele der nach 1990 eingereisten koreanischen Pastoren seien inzwischen in Russland heimisch geworden und hätten die russische Staatsbürgerschaft angenommen. Einige wenige hätten sich jedoch nicht eingelebt, könnten kein Russisch und verhielten sich arrogant gegenüber den Russen. Von diesen wolle man sich laut Pastor Bendas bald trennen. Mit der Russischen Orthodoxen Kirche gebe es keine Probleme; man versuche vielmehr, Konflikten aus dem Weg zu gehen, das Christentum zu predigen und dabei den Akzent nicht auf die eigene Glaubensgemeinschaft zu legen.

Erzpriester Vladimir Vigiljanskij, Leiter der Pressestelle des Patriarchen, wollte den Bericht der «Svobodnaja pressa» nicht kommentieren, da er «offiziell keine Stellung zur Beziehung zu Sektierern und Protestanten» nehme. Abt Pjotr Jeremejev, Rektor des Moskauer «Theologischen Instituts Johannes der Theologe» und früherer Leiter des Priesterseminars in Chabarovsk, führte die schwache Präsenz der Russischen Orthodoxen Kirche in Fernost auf folgende Faktoren zurück: Da dort in sowjetischer Zeit sämtliche Spuren orthodoxer Präsenz getilgt worden seien, gestalte sich der kirchliche Wiederaufbau schwierig – es gebe zu wenig Gemeinden, zu wenig Priester und nur ein geistliches Seminar. Ferner strömten seit der Wende zahlreiche «Sekten» aus Südkorea, Japan, China und den USA ins Land, die sogar teilweise in ihren Ursprungsländern verboten seien und aktiv missionierten.

www.portal-credo.ru, 8. November 2010 – O.S.

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