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Russland: Menschenrechtsrat beim Präsidenten kritisiert „beispiellose“ Durchsuchung von NGOs

25. April 2013

Auf die von der russischen Staatsanwaltschaft Mitte März angeordneten landesweiten Durchsuchungen aller Nichtregierungsorganisationen (NGO), um sie auf „Beihilfe zu Terrorismus und Finanzierung ihrer politischen Tätigkeit aus dem Ausland“ zu überprüfen, hat der „Rat zur Förderung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte beim russischen Präsidenten“ mit massiver Kritik reagiert.

An den Generalstaatsanwalt Jurij Tschaj­ka schrieb der Menschenrechtsrat, dass er „von einem endlosen Strom an Klagen von NGOs aus dem ganzen Land wegen der ganz aus der Luft gegriffenen strengen Kontrollen der Staatsanwaltschaft überschwemmt wird“. Manche Untersuchungsbeamte würden sich auf eine Weisung der Generalstaatsanwaltschaft berufen, sie hätten zu prüfen, ob die NGO „das Gesetz über den Widerstand gegen extremistische Tätigkeit“ einhalte. Eine solche Begründung sei „seltsam und unverständlich“, zumal die Beamten „oft von Mitarbeitern der Feuerwehr, Steuerbehörden, Arbeitsinspektoren und anderer Beamten begleitet“ würden. Andere würden weder „einen Durchsuchungsbefehl vorlegen noch ihren Besuch legitimieren“. Der Rat forderte den Generalstaatsanwalt auf mitzuteilen, „ob der Staatsanwaltschaft tatsächlich Informationen über eine Beteiligung gleich Dutzender, wenn nicht hunderter Organisationen an extremistischen Tätigkeiten vorliegen – oder liegt den massenhaften Kontrollen der NGOs eine andere Erklärung und ein anderes Motiv zugrunde?“ Denn es scheine, als sollten selbst geringfügigste Verstöße (z. B. veraltete Feuerlöscher, falsch abgelegte Rechenschaftsberichte) als Vorwand dienen, um die NGOs bestrafen zu können. Der Rat verlangte umgehend die Einberufung einer Sondersitzung, an der er mit dem Generalstaatsanwalt Methoden und Ergebnisse der laufenden Untersuchungen besprechen wolle. Damit käme man der Forderung von Präsident Putin von 2012 nach, wonach die „Kontrollorgane für die Ergebnisse ihrer Untersuchungen sowie die dafür aufgewendeten Mittel und das Personal öffentlich rechenschaftspflichtig“ sein müssten; dabei würde sich „rasch herausstellen, was eine Untersuchung gekostet hat und ob sie überhaupt nötig war“.

Ende März hatte die Staatsanwaltschaft in Begleitung von Vertretern der Steuerbehörden, des Brandschutzes, von Arbeitsinspektoren sowie Beamten anderer Behörden landesweit stundenlang bis zu 2000 Büros von NGOs, darunter von Amnesty International, dem Helsinki-Komitee, Memorial, der Soldatenmütter von St. Petersburg, einer Partnerorganisation von G2W, sowie des Moskauer Büros der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung durchsucht. Zudem fanden Razzien in katholischen, protestantischen und zur Pfingstbewegung gehörenden Kirchen und Caritas-Zentren statt. Grundlage für die Durchsuchungen ist das im Oktober 2012 in Kraft getretene Gesetz über nicht-kommerzielle Organisationen, wonach sich NGOs, die sich für die Menschenrechte, den Rechtsstaat und den Aufbau einer Zivilgesellschaft in Russland einsetzen – sich also in staatlicher Lesart „politisch engagieren“ – und aus dem Ausland finanziell unterstützt werden, als „ausländische Agenten“ registrieren lassen müssen. Das Gesetz zwingt den NGOs zudem strenge Auflagen zur Rechnungsführung sowie weitere Verpflichtungen auf. Bei Zuwiderhandeln drohen hohe Geldstrafen oder Haftstrafen bis zu vier Jahren (s. RGOW 12/2012, S. 5 f.).

Die deutsche Regierung protestierte scharf gegen das Vorgehen der russischen Behörden gegen die NGOs, die EU bezeichnete die Durchsuchungen als „besorgniserregend“ und die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, erklärte, die Inspektionen richteten sich „nicht nur gegen NGOs, die Gegenstand der Änderungen des russischen Gesetzes sind, sondern auch gegen zivile Einrichtungen, die nicht Gegenstand dieser Gesetze sind, wie religiöse Organisationen oder Bildungseinrichtungen. Es bereitet uns große Sorge, dass es sich um eine Art Hexenjagd handelt.“ Das Norweger Helsinki-Komitee zeigte sich in einer Erklärung vom 23. März „tief besorgt“: Die Kontrollen seien „die Fortsetzung unlängst verabschiedeter Gesetze, die gegen das Versammlungsrecht verstoßen, es einschränken, und auf eine Behinderung der Menschenrechtsarbeit im Land abzielen. […] Es besteht kein Zweifel, dass die Durchsuchungen […] die NGOs in den Augen der Bevölkerung diskreditieren sollen, als seien sie vom Westen gesteuert. Solche Maßnahmen zeigen, dass Russland von Werten und Normen Abstand nimmt, die es mit seinem Beitritt zum Europa-Rat, der OSZE und der UNO unterzeichnet hat. […] Die Menschenrechtsorganisationen in Russland brauchen jetzt die unbedingte Unterstützung europäischer und internationaler Organisationen. EU, Europa-Rat, OSZE, UNO sowie Regierungen müssen ihre Besorgnis über die Kontrollen und einschränkenden Gesetze zum Ausdruck bringen. Die russischen Machthaber müssen an ihre eingegangenen Verpflichtungen zur Garantie der Versammlungsfreiheit und der Freiheit für die Menschenrechtsorganisationen erinnert werden.“

An einem Treffen mit dem russischen Ombudsmann für Menschenrechte am 28. März bezeichnete Präsident Putin die laufenden Durchsuchungen dagegen als „Routinemaßnahmen“. Sie dienten dazu festzustellen, ob die Tätigkeit der NGOs „in Übereinstimmung mit ihren Statuten und der russischen Gesetzgebung“ stünde. Die Untersuchungsbehörden sollten indessen nicht „übereifrig handeln“.

Bereits im September 2012 hatten über 150 Menschenrechtsorganisationen aus ganz Russland gegen das Gesetz über nicht-kommerzielle Organisationen protestiert und sich geweigert, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, da sie sonst als Spione gebrandmarkt werden könnten. Anfang Februar hat eine Reihe von ihnen Klage beim Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg eingereicht.

www.sclj.ru, 21. März; www.civitas.ru, 23., 27. März; www.rferl.org, 28. März; NZZ 27. März 2013 – O. S.

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