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Russland: Metropolit Ilarion (Alfejev) verurteilt Wiederaufleben der Stalin-Verehrung

11. August 2015

Metropolit Ilarion (Alfejev), der Leiter des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, hat die zunehmende Stalin-Verehrung in Russland scharf kritisiert. „Ich denke, um wieder nüchtern zu werden, sollte man zur Gedenkstätte Butowo-Poligon [Hinrichtungsstätte zur Zeit der „Großen Säuberung“ unter Stalin] am Rande Moskaus fahren. Dort gibt es ein Museum, Fotografien von Menschen, dort wird erzählt, was passiert ist – täglich wurden nachts 200, 300, 400 Menschen hergeführt und erschossen, darunter auch 15–16-jährige Kinder. Durch ein Wunder Gottes hat man hier ein Denkmal errichtet, und wir kennen diejenigen, die dort umkamen. Ich denke, dass es für diese Verbrechen keinerlei wundersame Rechtfertigung gibt. Und nicht geben kann“, so der Metropolit in einem Fernsehinterview.

Bei seiner Kritik bezog sich Metropolit Ilarion auf eine Umfrage des Levada-Zentrums vom März 2015. Demnach bekundeten 39 Prozent der Russen ein positives Verhältnis zu Stalin (2% Begeisterung, 30% Verehrung, 7% Sympathie) gegenüber 28 Prozent im Jahr 2012. Die Einschätzungen Stalins unterscheiden sich stark nach Alter, Wohnort, Einkommens- und Bildungsniveau der Befragten: Ein positives Verhältnis zu Stalin ist vorwiegend bei über 55-jährigen, ungebildeten, armen Landbewohnern vorhanden, während jeder zweite Jugendliche gegenüber Stalin gleichgültig eingestellt ist. 45 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass die Opfer des sowjetischen Volkes in der Stalin-Epoche zwecks Erreichung gewisser Ziele in kürzester Zeit gerechtfertigt waren (2012 waren es 25 Prozent). Die Meinung, dass Stalin ein Verbrecher war, ist unter Moskauern (51%), Vermögenden (62%) und gut gebildeten Russen (33%) am stärksten vertreten. 69 Prozent der Gesamtbevölkerung haben sich jedoch gegen eine Initiative ausgesprochen, die Stadt Wolgograd in Stalingrad zurück zu benennen (s. RGOW 3/2013, S.10).

Laut Priester Kirill (Kaleda), Vorsteher der Kirche der heiligen Neumärtyrer und Glaubensbekenner in Butowo, zeugen die Umfrageergebnisse vom tiefen Bildungsstand der russischen Bevölkerung und von der schlechten Kenntnis der eigenen Geschichte. In vielen Familien sei das Schicksal von Verwandten, die unter dem Stalin-Terror gelitten hätten, verschwiegen worden.

Die Menschenrechtsorganisation Memorial hat zu einem gesetzlichen Verbot der Stalin-Verehrung aufgerufen (s. RGOW 6–7/2015, S.4). In der Stadt Lipezk wurden 3000 Unterschriften gegen die von der Kommunistischen Partei initiierte und am 6. Mai aufgestellte Stalin-Büste gesammelt. In der Nacht vor der offiziellen Einweihung wurde diese von einer Unbekannten mit rosaroter Farbe überschüttet.

www.levada.ru, 31. März;
pravmir.ru, 2., 7. April, 7. Mai; novayagazeta.ru, 1. Juni 2015 – R.Z.

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