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Russland: Misshandlungsskandal im Frauenkloster Bogoljubovo

20. Januar 2011
Die Russische Orthodoxe Kirche wird von einem Misshandlungsskandal im Internat des Frauenklosters Bogoljubovo  bei Vladimir (200 Kilometer nordöstlichvon Moskau) erschüttert:

Nach Misshandlungsvorwürfen hat Erzbischof Evlogij (Smirnov) von Vladimir und Suzdal die Leiterin des Klosters, die Nonne Georgija (Kurtschevskaja), und dessen geistlichen Leiter, Archimandrit Pjotr (Kutscher), am 13. November 2010 von ihren Pflichten entbunden. Den beiden wie mehreren weiteren Nonnen werden Verletzung der Aufsichtspflicht und Kin- desmisshandlung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Auch die Kirchenleitung in Moskau ist um Aufklärung in dem Misshandlungsskandal bemüht.

Der Fall wurde bereits 2009 ins Rollen gebracht, als die 17-jährige Valentina Perova aus dem klösterlichen Internat entflohen war und in einem offenen Brief an Präsident Medvedev, Patriarch Kirill und die Generalstaatsanwalt- schaft schwere Vorwürfe wegen Kin- desmisshandlung gegen die Nonnen erhoben hatte: Die Kinder und Jugendlichen müssten schwere Feldarbeit verrichten, würden u. a. mit Gürteln geschlagen oder bei Wasser und Brot für 24 Stunden eingesperrt; dagegen würden ihre schulische Bildung, die Hygiene und die medizinische Versor- gung vernachlässigt. Zudem seien die Unterbringung und das Essen kaum kindgerecht. Ihren offenen Brief verfasste Valentina Perova mit Hilfe von Priester Vitalij Rysev, dem Leiter eines anderen Internats in Suzdal. In mehreren Interviews bestätigte Rysev die Richtigkeit der Vorwürfe.

Obwohl die Vorwürfe schon damals große Empörung in der russischen Öffentlich- keit ausgelöst hatten, leitete die zuständi- ge Gebietsstaatsanwaltschaft zunächst keine Ermittlungen ein. Die Staatsanwaltschaft wie auch eine Kommission der Eparchie Vladimir erklärten wiederholt, sie könnten bei den Kindern keinerlei Misshandlungen feststellen – daher werde auch keine Anklage erhoben. Die meisten der 80 Kinder aus dem Internat in Bogo- ljubovo, vorwiegend Mädchen, wurden auf andere Schulen verteilt, u.a. auch auf das Internat in Suzdal.

Erst als im Oktober 2010 erneut zwei Mädchen aus dem klösterlichen Internat entflohen und die Misshandlungsvorwürfe wiederholten, reagierten die Staatsanwaltschaft und die Eparchie. Priester Rysev hatte zuvor gefordert, Archimandrit Pjotr zur kirchlichen und gerichtlichen Verantwortung zu ziehen, und erklärt, es werde massiv Druck auf die Kinder als auch auf die örtliche Staatsanwaltschaft ausgeübt, damit nichts ans Licht der Öffentlichkeit komme. Darufhin enthob Erzbischof Evlogij Archimandrit Pjotr, die Nonne Georgija, aber auch Priester Rysev ihrer Ämter.

Archimandrit Pjotr, der im Mittelpunkt der Misshandlungsvorwürfe steht, zählt – neben dem mittlerweile von der Kirchenführung wegen seiner extremen Ansichten abgesetzten Bischof Diomid (Dzjuban) (s. G2W 1/2009, S. 9) und Bischof Pitirim (Volotschokov) von Syktyvkar und Vorkuta (s. G2W 10/2010, S. 9) – zu den Wortführern der ultrakonservativen nationalistischen Orthodoxen in Russland. Dem 83-jährigen Archimandriten werden gute Beziehungen zur Miliz und zum Militär nachgesagt; es besteht daher der Verdacht, dass der Archimandrit über seine Verbindungen Druck auf die örtliche Staatsanwaltschaft ausüben ließ, um die Ermittlungen einzustellen.

Archimandrit Pjotr wurde 1975 zum Priester geweiht und wirkte ab 1979 in mehreren Frauenklöstern als Beichtvater. 1996 begann er mit dem Wiederaufbau des Klosters Bogoljubovo, wo er neben den Nonnen eine wachsende Schar von Anhängern aus ganz Russland um sich scharte, die sich in den umliegenden Dörfern niederließen. Pjotrs Anhänger vermachten ihr gesamtes Hab und Gut dem Kloster. Ihre Kinder schickten sie in das klösterliche Internat, in das auch einige Waisenkinder aufgenommen wurden. Zudem gelang es Archimandrit Pjotr, einen einflussreichen Kreis von Spendern und Mäzenen, vor allem aus Vladimir und Moskau, aufzubauen, so dass das Kloster Bogoljubovo zu einem der größten und reichsten Klöster des Landes wurde.

www.religare.ru, 28.10.–1.12.; www.portal-credo.ru, 30.9.–1.12.; www.religion.ng.ru, 3.11., 17.11.2010 – O.S.

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