Russland: Obermufti Gajnutdin zur Lage der Muslime in Russland
Viele Orthodoxe glaubten, da sie in der Mehrheit seien, sei Russland ein orthodoxes Land. Für die Muslime hingegen sei Russland sowohl ein orthodoxes als auch ein muslimisches Land. Der Islam sei keine Religion von Zuwanderern und Migranten, sondern von alteingesessenen Russländern. Die Muslime wünschten sichdaher mehr Wohlwollen seitens der Orthodoxen, die nicht glauben sollten, dass allein die Orthodoxie eine Existenzberechtigung habe.
Laut Obermufti Gajnutdin ließe sich die Ungleichheit zwischen Orthodoxen und Muslimen überwinden, wenn auf allen Ebenen von Staat und Gesellschaft deutlich würde, dass die muslimischen Völker den russischen Staat mit aufgebaut hätten, und es ohne sie «weder eine Rus‘, noch ein Russland gegeben hätte». Der Islam sei lange vor der Taufe Russlands «in unser Land gekommen», die erste Moschee sei bereits im 8. Jahrhundert in Derbent in Dagestan errichtet worden. Die 20 Millionen Muslime des Landes hätten somit das Recht, sich als Alteingesessene zu bezeichnen und gleiche Rechte zu fordern.
Der Bau von dringend benötigten Moscheen werde vor allem in Moskau mit seinen zwei Millionen Muslimen von russischen Nationalisten blockiert. Gegenwärtig könnten die Imame und Muftis viel zu wenige Gläubige erreichen und ihnen eine vernünftige geistliche Erziehung angedeihen lassen. Gegen Unwissenheit und Radikalismus ließe sich aufgrund solch widriger äußerer Umstände nur wenig ausrichten, und daher verwundere es laut Gajnuitdin auch nicht, wenn sich ein Teil der jungen Muslime von den Behörden im Stich gelassen und sich zu zweifelhaften Imamen hingezogen fühle. Der Islamismus sei eine zerstörerische Ideologie, die im nördlichen Kaukasus verbreitet werde und der es um politische, nicht religiöse Ziele gehe.
In einer Replik zu diesen Ausführungen erklärte Erzpriester Vsevolod Tschaplin, der Leiter der Synodalabteilung des Moskauer Patriarchats für die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Gesellschaft, praktisch kein orthodoxer Christ sei der Ansicht, der Islam habe in Russland keine Daseinsberechtigung. Die vielen muslimischen Völker Russlands hätten, juristisch gesprochen, Russland tatsächlich mit begründet. Selbstverständlich seien die religiösen Gemeinden Russlands gleich vor dem Gesetz, doch gebe es «eine Ungleichheit, die sich aus unterschiedlicher Größe ergibt». Diese Ungleichheit dürfe jedoch keinesfalls die Gleichberechtigung und die vollwertige Teilnahme aller Religionsgemeinschaften am Leben des Landes behindern. Er sei völlig einverstanden mit Scheich Gajnutdin, dass es zu wenig Moscheen in Moskau gebe, und mit ein wenig gutem Willen ließen sich zahlreiche Bauplätze finden. Es sei jedoch wichtig, sie dort zu errichten, wo sich die Anwohner am wenigsten gestört fühlten.
www.religio.ru, 18. Februar; www.religare.ru, 18. Februar 2011 – O.S.