Russland: Patriarch Kirill und Obermufti Gajnutdin zu den Krawallen in Moskau
In seiner Predigt in der Moskauer Christus-Erlöser-Kirche am 17. Dezember zeigte er sich tief erschüttert, wies aber jeglichen Bezug der Gewalt zur Religion als «schweren Irrtum und Lüge» zurück: «Nur gottloses Heidentum kann Menschen, und wenn sie sich noch so sehr als Gläubige gebärden, gegeneinander aufwiegeln [...] Das [...] ist kein Glau- benskonflikt, sondern [...] eine Illustration dessen, wozu der Mensch fähig ist, wenn er jeden Glauben verliert. [...] Voller Schmerz möchte ich den Eltern und Angehörigen der Opfer mein zutiefst empfundenes Mitgefühl aussprechen. [...] Wenn unserem Volk nicht bewusst wird, dass die Regeln der gottlosen Welt Leben verunmöglichen, dann [...] werden Unvernunft und schrecklichste Verbrechen die Oberhand gewinnen und keine Rechtsschutzorgane und Gesetze werden die Menschen aufhalten können, sondern nur das Gewissen, der Glaube und die Überzeugung. Ich wende mich an alle – an Orthodoxe, Muslime und an die Menschen anderen Glaubens: Nur ein religiöses Leben kann derartige Verbrechen verhindern. [...] Wenn unsere Mitbürger, die einer anderen Kultur und Religion angehören, in die russischen Städte kommen, so müssen sie sich um ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zum Mehrheitsvolk bemühen und sich mit seinem geistigen und kulturellen Leben vertraut machen. [...] Sie sollten keine Enklaven bilden, sondern ehrlich mit den anderen zusammenarbeiten und versuchen, [...] mit uns allen unser Vaterland aufzubauen.» Die Einheimischen wiederum dürften nicht mit Gewalt und Brutalität auf die Neuankömmlinge reagieren, sondern müssten Solidarität zeigen [...], damit es nicht zu immer neuen Gewaltausbrüchen käme.
Der Vorsitzende des Mufti-Rats Russlands, Scheich Ravil Gajnutdin, deutete die Zusammenstöße allerdings anders. Am 16. Dezember erklärte er an einer Sitzung des Präsidiums des Interreligiösen Rats Russlands, es würden muslimische Migranten aus den GUS-Staaten angeworben, weil die Russen nicht arbeiten wollten. Demgegenüber seien die Migranten fleißig, diszipliniert, würden nicht trinken und schickten ihren Lohn nach Hause. In Russland dagegen sei in den letzten zwanzig Jahren eine Generation herangewachsen, die ungern arbeite, trinke und Drogen konsumiere. Nationalisten, die dazu aufriefen, alle Migranten aus Russland zu verjagen, rührten an den Grundlagen der Russländischen Föderation. Zumal die Muslime, die in Russland lebten – Kaukasier, Tataren oder Baschkiren – keineswegs Migranten seien, sondern Einheimische.
Gajnutdin beklagt eine wachsende anti-islamische Stimmung in Russland (s. G2W 1/2011, S. 9f.). Ende Dezember wies er in einem Interview erneut daraufhin, dass mehr als zwei Millionen Muslime in Moskau lebten, die Behörden sich jedoch einer zunehmend antiislamischen Politik befleißigten. An hohen Feiertagen seien die Muslime gezwungen, auf der Straße, im Hinterhof von Kirchen oder gar auf Tramschienen zu beten, da es zu wenig Moscheen gebe. Die jüngsten gewaltsamen Zusammenstöße seien «von Kräften organisiert worden, die gegen ein Anwachsen des Islams sind».
www.religion.ng.ru, 15. Dezember; www.portal-credo.ru, 14., 16., 17., 30. Dezember 2010 – O.S.