Russland: Patriarch Kirill und Präsident Medvedev zum Multikulturalismus
– das lässt sich an der Situation in Westeuropa klar ablesen; […] führende Politiker sprechen bereits zu Recht vom Zusammenbruch des Multikulturalismus. Als Modell funktioniert er nicht, eine Verschmelzung findet nicht statt: Man schüttet verschiedene Komponenten in ein Glas, um einen Cocktail zu mixen, doch er misslingt – die Einzelteile sind zwar da, aber kein Cocktail. Vielleicht hätte man nicht mixen sollen? Aus einem Türken oder Araber lässt sich nun einmal beim besten Willen kein Angelsachse machen. Doch vielleicht gibt es ein anderes Modell für die Beziehungen zwischen den Zivilisationen, wenn nämlich jeder Mensch nach seinen Überzeugungen lebt. Man bietet ihm nicht an, nach einem Modell zu leben, das ihm in kultureller oder philosophischer Hinsicht fremd ist, sondern man lässt ihn sich selbst sein, erwartet jedoch von ihm – wie von jedem, der in einer multikulturellen Gesellschaft lebt – Offenheit gegenüber seinen Mitmenschen und die Fähigkeit, mit ihnen zu leben und zu arbeiten.
Auch wir in Russland leben in einer multinationalen Gesellschaft. Zum Glück hat es bei uns in den letzten 1000 Jahren keinen Religionskrieg gegeben. Wir lebten stets zusammen, jeder pflegte seine Bräuche und bewahrte seine Tradition; und wenn es nicht Menschen gäbe, die versuchten, einander gewaltsam ihre religiösen Überzeugungen aufzuzwingen, gäbe es überhaupt keine Probleme. Wir leben nach dieser Tradition, die aber leider zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch islamistische Gruppen, die nach Russland kommen und ihren Anhängern einen andern Beziehungsstil zu Nichtmuslimen beibringen, höchst gefährdet ist.
Ich danke Gott, dass die überwältigende Zahl der Muslime in Russland heute unsere jahrhundertealte Tradition der Zusammenarbeit weiterführt. Wir tun alles, um diese Tradition zu bewahren, und halten es für sehr wichtig, den Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften zu intensivieren und Probleme gemeinsam zu diskutieren. Zu diesem Zweck haben wir den Interreligiösen Rat Russlands gegründet, in dessen Rahmen wir ProLanbleme erörtern, die alle Religionsgemeinschaften gleichermaßen betreffen […]. Ich will damit nicht sagen, unser Modell sei ideal – weit davon entfernt: auch in Russland wurden in letzter Zeit terroristische Anschläge verübt. […] Es ist der böse Wille, der das Thema der interreligiösen Beziehungen heute außerordentlich radikalisiert, davon bin ich überzeugt. Er ist es, der den Missbrauch des religiösen Faktors zu politischen Zwecken erst möglich macht.»
Der russische Präsident Dmitrij Medvedev erklärte während seines Besuchs am 11. Februar in der russischen Teilrepublik Baschkortostan gegenüber Ethnologen und Leitern der baschkirischen Kultureinrichtungen, für Russland sei die These vom Misserfolg des Zusammenlebens verschiedener Kulturen «inakzeptabel ». Die Menschen in Russland dürften sich vom Gerede über den Zusammenbruch des Multikulturalismus nicht provozieren lassen. Auch wenn dies in Europa lebhaft diskutiert werde, so ließen sich dadurch auch Traditionen zerreden.
www.patriarchia.ru, 15. März; William Yoder: Obzor SMI, 11. Februar; KNA-ÖKI, 14. März 2011 – O.S.