Russland: Patriotische Rede von Patriarch Kirill am Allrussischen Volkskonzil
Unter dem Vorsitz von Patriarch Kirill tagte vom 11. bis 12. November 2014 das XVIII. Allrussische Volkskonzil im Konzilssaal der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale zum Thema „Einheit der Geschichte, Einheit des Volkes, Einheit Russlands“. Das Allrussische Volkskonzil, 1993 unter maßgeblicher Beteiligung des damaligen Metropoliten und jetzigen Patriarchen Kirill ins Leben gerufen, ist nach eigenen Angaben „das größte Gesellschaftsforum Russlands zur Förderung des Austauschs zwischen Regierung, Verwaltung, Parteien, Religionsgemeinschaften, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur“.
In seiner immer wieder von Beifall unterbrochenen Eröffnungsrede erklärte Patriarch Kirill: „2014 wurde ein neues, dramatisches und vom Ende des ‚postsowjetischen Friedens‘ geprägtes Kapitel der Weltgeschichte aufgeschlagen. Dieser Friede war fragil, […] es kam zu keinem gegenseitigen Verständnis und Respekt zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen und Zivilisationen. Die selbsternannten Sieger im Kalten Krieg suggerieren jedermann, der von ihnen definierte Entwicklungsweg für die Menschheit sei der richtige und einzig mögliche. Da sie im globalen Informationsraum dominieren, zwingen sie der Welt ihre Sicht von Wirtschaft und Staatsaufbau auf und suchen jeden Willen zur Verteidigung von Werten und Idealen zu unterdrücken, der ihren Werten und Idealen widerspricht, die, wie wir alle wissen, mit der Idee der Konsumgesellschaft im Zusammenhang stehen. In dieser historischen Lage müssen wir die Einheit unseres Landes hüten wie unseren Augapfel. […] Ein Volk, das im Verständnis seiner Geschichte gespalten ist, verliert die Fähigkeit zum Bewahren seiner Einheit. Einheit und Tradition als Kraft, welche die Werte und den kulturellen Code der Nation weitergibt, sind wesentliche Voraussetzungen dafür, dass eine Gesellschaft in jeder historischen Phase ihre Ganzheit und Einigkeit bewahrt. Wir beobachten in der Ukraine, wie es zur tragischen Spaltung kommt, wenn Menschen ihr gemeinsames Verständnis von Geschichte verlieren, sich deshalb überwerfen und einander befehden. […]
Zu allen Zeiten hat Russland seine zivilisatorische Basis trotz aller Reformen, Revolutionen und Gegenrevolutionen bewahrt. Modelle des Staatsaufbaus, die Titel der Regierenden und die Gewohnheiten der führenden Klasse wechselten einander ab, doch die russische Gesellschaft und die Russen bewahrten ihre nationale Identität. Die Liebe zur Heimat, Brüderlichkeit und Pflichtbewusstsein, die Bereitschaft, ‚sein Leben für seine Freunde hinzugeben‘ – das alles ist gleichermaßen charakteristisch für die Helden der Schlacht auf dem Kulikovo Pole, von Borodino und von Stalingrad. Es sind diese Eigenschaften des Nationalcharakters, die auch heute die meisten Russen auszeichnen. […] Wenn wir von der ‚spirituellen Klammer‘ unserer Einheit [Orthodoxie] sprechen, so müssen wir uns stets vergegenwärtigen, dass der wichtigste Urheber unserer vaterländischen Kultur das russische Volk ist. Bei aller Offenheit unserer Kultur […] dürfen wir nie vergessen, dass unsere vaterländische Kultur ohne die Existenz des russischen Volkes und ohne Orthodoxie niemals hätte entstehen können und keine Zukunftsperspektive hat. Die Kulturpolitik unseres Staates, der nach Bewahren seiner Einheit strebt, muss dieser Tatsache Rechnung tragen. […]“
www.patriarchia.ru, 11. November 2014 – O. S.