Russland: Religionsgemeinschaften erhalten ihr Eigentum zurück
Die Duma beschloss am 19. November 2010 in dritter Lesung ein entsprechendes Restitutionsgesetz. Laut dem neuen Gesetz sollen alle Religionsgemeinschaften auf Antrag ihre durch das kommunistische Regime enteigneten Sakralgebäude und -gegenstände zurückerhalten, die sich noch in staatlichem Besitz befinden. Für die Unterhaltungs- und Restaurierungskosten müssen die Religionsgemeinschaften künftig selbst aufkommen (s. G2W 11/2010, S. 8f.). Das Restitutionsgesetz erhielt eine breite Zustimmung im Parlament, einzig die 42 kommunistischen Abgeordneten stimmten gegen die Gesetzesvorlage.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes geht ein mehrjähriges Tauziehen zu Ende: Museumsdirektoren, Restauratoren und Wissenschaftler hatten das Gesetzesvorhaben zum Teil erbittert bekämpft, da der Russischen Orthodoxen Kirche ihrer Ansicht nach die Sachkompetenz zur Pflege der empfindlichen Kunstschätze fehle (s. G2W 4/2010, S. 24-25). Die Kommunistische Partei hatte gefordert, «Volkseigentum» dürfe nicht verschleudert und die Orthodoxe Kirche nicht zum «Milliardär» gemacht werden. Demgegenüber bezeichnete Patriarch Kirill die Annahme des Restitutionsgesetzes als «wichtigen Markstein der jüngsten Geschichte» und als «Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit ». Er dankte Präsident Medvedev, Ministerpräsident Putin und den Abgeordneten der Duma für ihren «prinzipientreuen » Beschluss.
Der entscheidenden Abstimmung im Parlament waren noch einmal scharfe Auseinandersetzungen vorausgegangen: So kritisierten Mitarbeiter von Museen und Bibliotheken, dass man ihnen die revidierte Gesetzesvorlage für die zweite Lesung erst am 15. November vorgelegt habe, zwei Tage vor der Lesung selbst. In diese entscheidende Gesetzesversion habe keine ihrer Korrekturen mehr Eingang gefunden. Erzpriester Vsevolod Tschaplin, der Vorsitzende der Synodalabteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, wies die Kritik zurück und erklärte gegenüber der Zeitung «Rossijskaja gazeta», hinter der Kritik bestimmter Museumsverantwortlicher am Restitutionsgesetz stünde Eigennutz und Furcht, dass das ganze Ausmaß des illegalen Verkaufs von Kunstgegenständen aus Museumsbeständen ans Tageslicht käme oder deren nachlässige und unsachgemäße Behandlung und Lagerung in den Museen selbst. Die von den Museums- und Bibliotheksverantwortlichen eingebrachten Korrekturen seien sehr wohl in das neue Gesetz eingeflossen.
Nun steht Russland vor der größten Eigentumsrückgabe seit der Privatisierungswelle in den 1990er Jahren. Größter Nutznießer ist das Moskauer Patriarchat. Dem Staat gehören insgesamt 6584 Sakralbauten, weitere 4417 den Regionen. Auf mehr als 10 600 davon hat die Russische Orthodoxe Kirche Anspruch. Die römisch-katholische Kirche hat Anspruch auf 144 Kirchgebäude, die Lutheraner auf 13, die Muslime auf 165 Moscheen, die Juden auf 15 Synagogen und die Buddhisten auf 21 Tempel. Das Gesetz gibt allen Religionsgemeinschaften zwei Jahre Zeit, um den zuständigen Behörden die erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Ausgeschlossen von der Rückgabe sind allerdings die 13 Denkmäler des Unesco-Welterbes wie z. B. das Kirchenensemble auf dem Kremlgelände und die Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz sowie 64 weitere zum Kulturerbe Russlands zählende Objekte. Dies betrifft vor allem Ikonen und Manuskripte, die zum Fundus der staatlichen Museen, Bibliotheken und Archive gehören.
Nach der Oktoberrevolution von 1917 hatten die neuen kommunistischen Machthaber das gesamte Eigentum der Religionsgemeinschaften verstaatlicht und die meisten Gotteshäuser in Ställe, Clubs oder Kinos umgewandelt. Auch zahlreiche Ikonen wurden geraubt und verschwanden zum Großteil in den Kellern der Museen. Seit dem Ende der Sowjetunion erhielt die Russische Orthodoxe Kirche zwar die meisten Kirchen zurück – jedoch oft nur zur unbefristeten kostenlosen Nutzung. Der Staat blieb also Eigentümer.
Die Katholiken werden vermutlich nicht alle 144 Kirchgebäude zurückerlangen. Erst vor zwei Jahren hatte beispielsweise die Stadt Kazan die Errichtung der neuen Heiligkreuz-Kirche und eines großzügigen Gemeindezentrums mit Pfarrwohnung in der Innenstadt finanziert, dagegen wird die alte katholische Kirche der Stadt auch künftig als Windkanal für Flugapparate genutzt werden. Eine Auslagerung des Labors scheint bislang unmöglich. Die Behörden können die Rückgabe laut Gesetz weiterhin aus internen Gründen verweigern. Auch die ehemalige St. Peter-und-Paul-Kathedrale in Moskau bleibt in Privatbesitz; einst als Kino genutzt, dient sie heute als Bürogebäude. Schlecht sieht es auch um Rückgabe ehemaliger katholischer Kirchen im Gebiet Kaliningrad aus, dort hat sich vielmehr ein erbitterter Konflikt zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und der katholischen Kirche entwickelt (s. vorhergehende Meldung).
www.portal-credo.ru, 17.–23. November; www.patriarchia.ru, 18. November; www.religio.ru, 22. November; KNA-ÖKI, 22. November 2010 – O. S.