Russland: Russische Orthodoxe Kirche bittet um «Barmherzigkeit» für Pussy Riot
Kurz nach der Urteilsverkündigung veröffentlichte der von Patriarch Kirill geleitete Oberste Kirchenrat der Russischen Orthodoxen Kirche – ein Gremium, das erst 2011 wieder eingeführt worden war (s. G2W 6/2011, S. 7) – eine Erklärung, in der er um Milde mit den drei Musikerinnen bat: «Ohne die Rechtmäßigkeit der Gerichtsentscheidung zu bezweifeln, wenden wir uns an die staatlichen Organe mit der Bitte, im Rahmen des Gesetzes Barmherzigkeit gegenüber den Verurteilten zu zeigen, in der Hoffnung, dass sie auf eine Wiederholung der blasphemischen Handlungen verzichten.» Zugleich bekräftigte der Kirchenrat jedoch, dass es sich bei dem Auftritt «um Gotteslästerung und ein Sakrileg, um mutwillige und absichtliche Beleidigung von Heiligtümern und grobe Animosität gegenüber Millionen von Gläubigen und ihren Gefühlen» gehandelt habe.
Die Festlegung des Strafmaßes sei Aufgabe des Gerichts und nicht der kirchlichen Behörden. Die Kirche wolle diese Aufgabe nicht übernehmen. Sie sei aber, so der Oberste Kirchenrat, dazu berufen, die Aktion der Band religiös und moralisch zu beurteilen: Gotteslästerung sei eine schwere Sünde, an der sich ein orthodoxer Christ weder beteiligen noch sie gutheißen dürfe. Es bestehe ein Unterschied zwischen den Sünden gegen einen Menschen und den Sünden gegen Gott. Ein Christ sei aufgerufen, dem Missetäter zu vergeben, der gegen ihn gesündigt habe. Doch die Vergebung der Sünde gegen Gott sei nicht ohne aufrichtige Reue des Sün- ders möglich. Der Oberste Kirchenrat dankte allen, die die begangene Gotteslästerung verurteilt und friedlich dagegen protestiert hätten. Auch Mitleid mit den Gefangenen sei angebracht: Gott wolle stets die Rettung der Sünder und rufe sie zur Buße auf. So strebe auch die Kirche «nach Versöhnung und Heilung der Wunden, die durch Sakrileg und Feindseligkeit geschlagen wurden».
Erzpriester Vladimir Vigiljanskij, früher Leiter des Pressedienstes der Russischen Orthodoxen Kirche, erklärte, er bedaure «aufrichtig dieses Urteil». Ihm täten die jungen Frauen leid und er hoffe, der Präsident werde sie begnadigen. Es sei «besser, diese Angelegenheit mit einer hohen Geldstrafe zu regeln als auf diese Art». Er versicherte, dass das Patriarchat keinerlei Druck auf das Gericht ausgeübt habe.
Kirchenvertreter aus Deutschland kritisierten dagegen den Prozess und das Urteil gegen Pussy Riot: Der Auslands- bischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Martin Schindehütte, erklärte, die Haltung der Russischen Orthodoxen Kirche zu dem Gerichtsverfahren sei ihm «völlig unverständlich». Die «Verletzung religiöser Gefühle» sei durchaus eine ernsthafte Störung des gesellschaftlichen Zusammenlebens, deshalb ließe sich die Aktion von Pussy Riot in der Christus-Erlöser-Kathedrale nicht einfach übergehen. Aber der Prozess gegen die Bandmitglieder wie das beantragte Strafmaß von ursprünglich drei Jahren gingen «weit über jede denkbare angemessene Reaktion hinaus». Schindehütte kündigte an, die EKD wolle im Dialog mit der Russischen Orthodoxen Kirche die unterschiedlichen Sichtweisen erörtern und für mehr Gelassenheit angesichts solcher Provokationen werben. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Vorsitzender der bischöflichen Kommission «Iustitia et Pax», bezeichnete das Urteil ebenfalls als «völlig überzogen und unangemessen».
www.pravmir.ru, 17. August; www.portal-credo.ru, 18. August; KNA-ÖKI, 20. August; Kathpress, 22. August; epd-Wochenspiegel Nr. 34/2012 – O.S.