Russland: Russische Orthodoxe Kirche feiert Gottesdienste gegen antikirchliche Angriffe
Grund für die «Gebetswache» war unter anderem, dass Anfang März ein Unbekannter in der Kleinstadt Veliki Ustjug im Nordwesten des Landes zahlreiche Ikonen in einer Kirche zerstört hatte. Zudem drang Ende März ein mit einem Messer bewaffneter Mann in eine Kirche im südwestrussischen Newinnomyssk ein, beschädigte ein Kreuz und Ikonen und schlug einen Priester zusammen. Das größte Aufsehen erregte jedoch ein Skandalauftritt der feministischen Punkband «Pussy Riot» in der Christus-Erlöser Kathedrale (s. RGOW 5/2012, S. 4f.): Am 21. Februar hatten die fünf Bandmitglieder vor der Ikonostase in Mini- kleidern und Gesichtsmasken getanzt. Bei der von ihnen «Punk-Gebet» genannten Aktion sangen sie: «Gottesmutter, verjage Putin!». Sicherheitskräfte hatten die Aktion nach wenigen Minuten abgebrochen.
In Moskau zelebrierte Patriarch Kirill den Gottesdienst unter freiem Himmel im Beisein mehrerer Bischöfe und tausender Gläubiger vor der Christus-Erlöser-Kathedrale. Er sagte: «Wir stehen unter Beschuss von Verfolgern.» Die heutigen Angriffe auf die Kirche seien zwar nicht vergleichbar mit denen zu Sowjetzeiten. Aber die liberale Ideologie sei gefährlich, weil «Gotteslästerung und Verspottung von Heiligtümern als rechtmäßige Äußerung der Freiheit des Menschen angesehen werden, als etwas, dass in der modernen Gesellschaft verteidigt werden soll.» Zudem ordnete der Patriarch an, dass die beschädigten Ikonen, die bei der Prozession um die Kathedrale mit- geführt wurden, nie restauriert werden. Die Spuren der Beschädigung sollten für immer an den Kampf erinnern, den jeder Christ mit sich selbst und seinen Sünden führe. «Wir bedrohen niemanden. Wir demonstrieren nicht unsere Stärke», so der Patriarch. Russland erlebe jedoch derzeit einen «schicksalhaften Moment» seiner Geschichte.
In seinem Aufruf zu den Gottesdiensten hatte der Oberste Kirchenrat an die Gläubigen appelliert, der entfesselten Kampagne «antikirchlicher Kräfte», die hinter den gotteslästerlichen Vorkommnissen und den jüngsten zahlreichen tendenzi- ösen und verleumderischen Medien- berichten über den Patriarchen und an- dere Kirchenvertreter ständen, die Stirn zu bieten: «Die Russische Orthodoxe Kirche [...] nimmt aktiv an der Lösung aktueller Sozialprobleme teil. [...] Doch dies weckt [...] nicht nur Freude und Akzeptanz. Kirchenfeindliche Kräfte fürchten das Erstarken der Orthodoxie im Land, sie stört die Wiedergeburt der nationalen Identität und großangelegte Volksinitiativen. Es gibt nicht viele solche Menschen, doch einige unter ihnen verfügen über Einfluss und sind bereit, ihre Finanz-, Informations- und administrativen Ressourcen zu nutzen, um kirchliche Hierarchen und Kleriker zu diskreditieren, um Spaltungen auszulösen und die Menschen von der Kirche zu entfremden. Diesen Kräften schließen sich jene an, welche die falschen Werte eines aggressiven Liberalismus vertreten, denn die Kirche ist unbeugsam in ihrer Position der Verweigerung gegenüber solchen antichristlichen Erscheinungen, wie z. B. gleichgeschlechtliche Verbindungen, Freiheit in der Äußerung aller Begierden, unmäßiger Konsum, Propaganda einer vollkommen Freizügigkeit und der Unzucht.» Der Gegensatz zwischen der Kirche und antichristlichen Kräften werde immer schärfer, und vor und nach den Wahlen hätten die Angriffe sogar noch zugenommen, was auf deren politische und antirussische Beweggründe verweise. Geistliche würden systematisch diskreditiert, die öffentliche Meinung manipuliert und ein Teil der Tatsachen verschwiegen.
Mit der Gebetswache reagierte die Kirchenleitung auf mehrere kritische Presseberichte zur Rolle der Russischen Orthodoxen Kirche: Neben der harten Reaktion der Kirche auf den Auftritt von «Pussy Riot» geht es dabei um die engen Kontakte des Patriarchen zur politischen Führung und die Unterstützung Putins bei den Präsidentschaftswahlen. Zudem sorgte das Lavieren des Patriarchen um seine Breguet-Uhr, die er angeblich nicht besitzt, für Aufregung: Sie war auf den offiziellen Fotos des Patriarchats von seinem Handgelenk wegretuschiert worden, jedoch nicht ihr Reflex von der glänzenden Oberfläche eines Tisches, an dem der Patriarch saß. Zudem stießen mehrere öffentliche Auftritte von Erzpriester Vsevolod Tschaplin und anderer Geistlicher mit ihren provokanten Aussagen viele Gläubige und die russische Öffentlichkeit vor den Kopf.
Die Redakteure mehrerer Zeitungen, u. a. Echo Moskvy, Nezavisimaja gazeta, Novye Izvestija, welche die von der Kirche kritisierten Beiträge veröffentlicht hatten, wiesen darauf hin, dass sie lediglich über Fakten berichteten: Die offizielle kirchliche Seite könne diese weder entkräften noch als Verleumdung hinstellen, insofern könne man nicht von einer «antikirchlichen Kampagne» sprechen.
www.religare.ru, 3. April; www.interfax- religion.ru, 4. April; KNA-ÖKI, 23. April; www.portal-credo.ru, 23. April 2012 – O.S.