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Russland: Russland trauert um ermordeten Erzpriester Adelheim

03. September 2013

Eine der profiliertesten Stimmen der russischen Orthodoxie ist verstummt: Am 5. August wurde der beliebte und über die Grenzen Russlands hinaus bekannte 75-jährige orthodoxe Erzpriester Pavel Adelheim in seinem Haus von einem jungen Mann mit mehreren Messerstichen ermordet.

Als Motiv für seine Tat gab der Täter an, Satan habe ihn dazu angestiftet. Nach Angaben der Untersuchungsbehörden gilt der Täter als geistesgestört, viele Fragen zu dem Motiv und den Hintergründen der Tat sind allerdings noch ungeklärt. Der gewaltsame Tod von Erzpriester Adelheim reiht sich in eine ganze Kette von Morden ein, die seit den 1990er Jahren an engagierten, regime- und kirchenkritischen orthodoxen Geistlichen verübt und meist nicht restlos aufgeklärt wurden.

Bewegte Biographie

In der Lebensgeschichte Adelheims spiegelt sich die russische Geschichte im 20. Jahrhundert wider: Geboren 1938, entstammte Adelheim väterlicherseits einer russlanddeutschen Familie. Sein Vater und Großvater wurden in der Stalin-Zeit als Volksfeinde erschossen, seine Mutter kam für mehrere Jahre in Haft und er selbst in ein Kinderheim. Ende der 1940er Jahre wurde er zusammen mit seiner Mutter nach Kasachstan verbannt, wo sie bis zu Stalins Tod lebten. Bereits in Kasachstan wendete sich der junge Pavel einer orthodoxen Gemeinde zu. 1956 ging er ans Kiewer Priesterseminar, aus dem er jedoch drei Jahre später auf Betreiben des damaligen neuernannten Rektors, Igumen Filaret (Denisenko), trotz Bestleistungen ausgeschlossen wurde. Wenig später wurde er allerdings von Erzbischof Ermogen (Golubev) – einem berühmten Hierarchen, der die Kirchenverfolgungen unter Chruschtschow anprangerte und dafür 17 Jahre in Klosterhaft verbüßen musste, – in Taschkent zum Diakon und nach Abschluss seines Studiums an der Moskauer Geistlichen Akademie 1964 zum Priester einer Gemeinde in Usbekistan geweiht. „Wegen antisowjetischer Hetze“ wurde er 1970 zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt. Während eines Gefangenenaufstandes 1971 verlor er infolge einer schweren Verletzung sein rechtes Bein. Nach seiner Entlassung aus der Haft diente Adelheim anfangs in verschiedenen Gemeinden der Eparchie Taschkent, bevor er 1976 Geistlicher der Eparchie Pskov wurde, in der er bis 2008 die Gemeinde zu Ehren der Hl. Myrrhenträgerinnen leitete und zu einer Zentralgestalt der religiösen Aufbruchsbewegung wurde. So gründete er eine Schule für Chorleiter sowie ein Heim für invalide Waisenkinder. Weitherum bekannt und geschätzt wurde er als vorbildlicher, bescheidener und hingebungsvoller Seelsorger, dessen Tür jedermann, insbesondere Notleidenden, offenstand.

Vor Auseinandersetzungen mit der kirchlichen Hierarchie und dem politischen Regime scheute Adelheim nicht zurück. Der „Freundeskreis Adelheim“ betonte in einer Stellungnahme, dass das Leben des Priesters vom konsequenten Kampf für die Wahrheit, wie er sie verstand, gekennzeichnet war. So forderte Adelheim in zahlreichen Artikeln und Predigten die Rückbesinnung der Kirche auf die Entscheidungen des Landeskonzils von 1917/18: die Ausrichtung des kirchlichen Lebens nach dem Sobornost-Prinzip, die Wiedereinrichtung eines unabhängigen Kirchengerichts, das Mitspracherecht der Laien und die Stärkung der Gemeinden. Er trat für die Aufarbeitung der sowjetischen Vergangenheit ein und war ein Kritiker des Nahverhältnisses zwischen Kirchenleitung und Kreml. Im Herbst 2011 prangerte er die Änderungen im Kirchenstatut als unsozial und unkanonisch an, da diese seiner Ansicht nach den Bischöfen zu viel Macht zuschrieben und die Priester und Gemeinden de facto entrechteten (s. RGOW 2/2012, S. 25–27).

Mit dem Amtsantritt von Erzbischof Evsevij (Savvin) in der Eparchie Pskov 1993 begann eine jahrzehntelange, vor Zivil- und Kirchengerichten ausgetragene Auseinandersetzung zwischen Adelheim und dem Bischof um die bischöfliche Macht und ihre Grenzen. 2008 setzte der inzwischen zum Metropoliten ernannte Evsevij Erzpriester Adelheim als Gemeindevorsteher ab.

In jüngster Zeit setzte sich Adelheim auch zunehmend für die politische Opposition in Russland ein, z. B. für den Oppositionspolitiker Alexej Navalnyj oder für die Freilassung der Aktivistinnen von Pussy Riot. In einem Interview erklärte Adelheim, es zeichne sich eine Konfrontation zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und der Zivilgesellschaft ab. Er plädiere daher dafür, die Punk-Aktivistinnen nicht ins Gefängnis zu stecken, sondern sich mit ihnen zusammenzusetzen, um ihnen zu erklären, dass man in der Kirche kein Happening veranstalten, sondern zu Gott beten soll.

Trauer und Bestürzung

Die russische Öffentlichkeit reagierte mit Trauer und Bestürzung auf die Ermordung von Erzpriester Adelheim. Das Moskauer Patriarchat gab bekannt, Adelheim sei „ein Opfer seiner pastoralen Pflicht geworden“. Erzdiakon Andrej Kuraev, Professor an der Moskauer Geistlichen Akademie, erklärte auf seinem Blog, der „letzte freie Priester des Moskauer Patriarchats wurde ermordet“: Welcher Geistliche könne es heute noch wagen, seinem Bischof zu sagen, er habe Unrecht?

Erzpriester Vladimir Vigiljanskij, früherer Leiter des Pressedienstes des Moskauer Patriarchats, gedachte des Verstorbenen als eines Mannes, der mit seinem Bischof ständig gestritten und „seine Position nicht immer klar artikuliert“ habe. Auch habe er sich „nie von gewissen antikirchlichen Kräften“ distanziert, die seinen Konflikt mit dem Bischof für ihre Ziele ausgenutzt und ihn als „Kritiker auf den Schild gehoben“ hätten. Dass er sich von ihnen nicht distanziert habe, sei irritierend gewesen.

Am 8. August wurde Adelheim an der Kirchenmauer seiner Gemeindekirche beigesetzt, zahlreiche Trauernde aus dem In- und Ausland gaben ihm das letzte Geleit.

Olga Stieger

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