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Russland: Skandal um Tannhäuser-Inszenierung

29. April 2015

Eine Neuinszenierung von Richard Wagners Oper „Der Tannhäuser“ am Opernhaus Novosibirsk hat einen öffentlichen Skandal in Russland ausgelöst.

Die erstmals am 20. Dezember 2014 neuinszenierte Oper des Regisseurs Timofej Kuljabin stieß auf massive Kritik seitens des örtlichen Metropoliten Tichon (Emeljanov) und wurde mittlerweile auf Betreiben der Eparchie vom Spielplan gestrichen.

Stein des Anstoßes war eine Szene mit Christus im Venusberg im Kreis halbnackter Frauen sowie ein großes Bühnenbild mit der Darstellung des Gekreuzigten vor dem entblößten Körper einer Frau. Kuljabins Tannhäuser ist ein Filmemacher, der sich in seinem Schaffen über Christus und alles Heilige lustig macht und dafür von seinen Berufskollegen geächtet und verflucht wird. Die Szene mit Christus im Venusberg ist eine Sequenz aus einem Film des Regisseurs Tannhäuser innerhalb der Oper, sein Christus ist als Kunstgestalt zu verstehen und keinesfalls Christus selbst.

Aufgrund dieser Szene reichte Metropolit Tichon von Novosibirsk am 27. Februar Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft gegen Timofej Kuljabin und Boris Mesdritsch, den Direktor des Opernhauses, „wegen der Beleidigung der Gefühle von Gläubigen“ ein. In dem Schreiben heißt es: „Täglich rufen empörte Zuschauer seit der Premiere … in der Eparchie an und beschweren sich, wie es … überhaupt so weit kommen konnte, dass Christus in einer Oper mehrere Jahre im Reich der Venus verbringt, sich der Sinnenlust hingibt u. ä. […] Diese Inszenierung des Tannhäuser … verletzt die Gefühle gläubiger Menschen, beleidigt die Orthodoxe Kirche und schürt religiöse Feindschaft. […] Wir betonen, dass dies nicht die einzige Theateraufführung in Novosibirsk ist, die gegen die Normen der traditionellen russischen Moral und die Gefühle von Gläubigen verstößt, die ja auch Steuerzahler sind, mit deren Geldern dieses amoralische Tun finanziert wird. […] Zur Klärung der Situation bitten wir Sie, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen und die Schuldigen eventuell zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen.“

Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin umgehend Administrativmaßnahmen gegen Kuljabin und Mesdritsch wegen „absichtlicher öffentlicher Verletzung [von] Personen religiöser Verehrung“ ein. Das Friedensrichteramt des Bezirks Novosibirsk setzte jedoch anhand eines Gutachtens zweier namhafter Religionswissenschaftler aus Moskau die administrativen Maßnahmen außer Kraft, weil sie keine gotteslästerlichen Elemente in der Tannhäuser-Inszenierung feststellen konnten. Die Staatsanwaltschaft reagierte darauf mit einer Gegenklage. Im Kulturministerium in Moskau fand am 13. März unter der Leitung von Kulturminister Vladimir Medinskij eine öffentliche Anhörung zur Causa Tannhäuser ein, an der Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche, zwei Arbeitsgruppen des Öffentlichen Rates beim Kulturministerium für Theater und staatliche Politik sowie Fachleute aus verschiedenen Kulturbereichen teilnahmen. Das Kulturministerium hielt in einer Erklärung fest, die umstrittene Inszenierung missachte die „traditionellen Werte“ in unzulässiger Weise, daher habe der Direktor seine Aufsichtspflicht verletzt. Das Ministerium rufe die Verantwortlichen des Theaters auf, sich öffentlich bei der Eparchie und den Gläubigen zu entschuldigen und die inkriminierten Stellen der Aufführung zu ändern. Auch wenn Zensur unstatthaft sei, so behalte sich das Ministerium vor, in extremen Fällen administrative Maßnahmen zu ergreifen.

Am 29. März fand vor dem Opernhaus ein „Gebetsmeeting“ statt, zu dem Metropolit Tichon aufgerufen hatte, jedoch nicht selbst erschien. An dem Meeting nahmen ca. 3 000 Personen teil, darunter regionale Politiker und Rechtsextremisten. Gebetet wurde nicht, dafür gab ein Priester markige patriotische Sprüche zum Besten. Am 30. März wurden Kuljabin und Mezdritsch schließlich fristlos entlassen. Im Gespräch mit Erzdiakon Andrej Kurajev, der sich auf die Seite der Kunstschaffenden gestellt hatte und dafür von der Eparchie scharf kritisiert wurde, erklärte Mesdritsch, er habe mehrmals vergeblich das Gespräch mit Metropolit Tichon gesucht.

www.portal-credo.ru, 27. Februar–7. April; www.interfax-religion, 20., 27., 30. März; www.pravmir.ru, 21. März 2015 – O. S.

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