Russland: Ultraorthodoxe zerstören Skulpturen von Vadim Sidur
Militante orthodoxe Aktivisten der Gruppe „Gottes Wille“ haben in Moskau mehrere Skulpturen der Ausstellung „Skulpturen, die wir nicht sehen“ zerstört, da sie sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten. Am 14. August, dem Eröffnungstag der Schau, hielten Dmitrij Zorionov, der sich Enteo nennt, und seine Mitstreiter die Besucher zunächst davon ab, sich die Kunstwerke anzusehen, schließlich zerschlugen sie mehrere Werke des sowjetischen Untergrundkünstlers Vadim Sidur, die ihrer Meinung nach gegen das Gesetz zum Schutz religiöser Gefühle (s. RGOW 7–8/2013, S.5) verstoßen. Mindestens vier Plastiken seien völlig zerstört worden, berichtete die Pressesprecherin des Ausstellungssaals „Manege“. Der Schaden könne noch nicht genau beziffert werden, die beschädigten Skulpturen würden von einem Experten begutachtet. Die „Manege“ besteht auf der Eröffnung eines Strafverfahrens gegen die Aktivistengruppe. Die Polizei bewacht nun die Ausstellung, die planmäßig bis zum 6. September geöffnet bleiben soll.
Enteo hatte sich kurz vor Ausstellungsbeginn über Twitter an die Medien gewandt und die Ausstellung als „schreckliche Gotteslästerung“ bezeichnet. Dabei hatte er auch seine Absicht, sie zu sabotieren, kundgetan. Am 16. August erschienen Enteo und seine Unterstützer erneut vor der „Manege“ und verlangten vor den versammelten Journalisten die Schließung der Ausstellung.
Der Vandalismus rief nicht nur in den Medien und der Kulturszene viele Reaktionen hervor, auch russische Parlamentarier und Politiker verurteilten den Angriff. Michail Fedotov, der Vorsitzende des Menschenrechtsrats beim russischen Präsidenten, verglich den Kunstvandalismus Enteos mit demjenigen des Islamischen Staates und sieht die Voraussetzungen für ein Strafverfahren gegeben. Auch einige bekannte Geistliche der Russischen Orthodoxen Kirche verurteilten die Aktion und verlangten, dass die Kirchenleitung offiziell Stellung beziehe. Vsevolod Tschaplin, der Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, rief beide Seiten auf, sich an die Gesetze zu halten. Eventuelle Gesetzesübertretungen der ultraorthodoxen Aktivisten seien zu ahnden, aber ebenso Verstöße der Ausstellungsmacher. Später besuchte er selbst die Schau und bemerkte, einige der Skulpturen könnten religiöse Gefühle verletzen oder seien nicht geeignet, öffentlich gezeigt zu werden.
Die Arbeiten der Bildhauer Vadim Sidur, Nikolaj Silis und Vladimir Lemport aus den 1950er und 1960er Jahren, denen die Ausstellung gewidmet ist, durften zu ihrer Entstehungszeit nicht gezeigt werden. Die Werke des Nonkonformisten Sidur (1924–1986), der im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte und verwundet worden war, behandeln vor allem Kriegstraumata. Einzelne Stücke greifen christliche Ideen auf, die der Sowjetstaat damals bekämpfte. Seit 1987 gibt es in Moskau ein Sidur-Museum.
www.interfax.ru, 15., 17. August; www.portal-credo.ru, 14., 15., 16., 17. August;
www.novayagazeta.ru, 15. August;
www.gazeta.ru, 14. August 2015 – N.Z.