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Russland: Verletzung religiöser Gefühle soll unter Strafe gestellt werden

18. Oktober 2012
Eine Gruppe Abgeordneter hat am 24. September einen parteiübergreifenden Gesetzesentwurf in die Duma eingebracht, wonach die Verletzung religiöser Gefühle sowie die Schändung sakraler Bauten und Gegenstände unter Strafe gestellt werden soll.

Der Entwurf sieht vor, dass die Beleidigung religiöser Gefühle mit bis zu 7450 Euro Geldstrafe und bis zu drei Jahren Haft geahndet wird. Die Schändung religiöser Gegen- stände und Einrichtungen soll mit Geld- strafen bis zu 12 400 Euro und bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Bislang steht auf Blasphemie ein Bußgeld von höchstens 25 Euro. Die geplante Verschärfung begründete der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für religiöse Organisationen, Jaroslav Nilov, mit der Ermordung von islamischen Geistlichen (s. RGOW 10/2012, S. 6) und einer Reihe von Angriffen auf christliche und jüdische Gotteshäuser.

Die Duma nahm am 26. September zu dem Gesetzesentwurf Stellung: Die Abgeordneten beklagten eine Zunahme von religiöser Verunglimpfung und Gewalt gegen Glaubensgemeinschaften. Solche Angriffe zielten auf eine Destabilisierung Russlands. Dabei verwiesen die Duma-Abgeordneten auf den Auftritt der Punkband Pussy Riot in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale (s. RGOW 5/2012, S. 4). In einer Entschließung sprachen sich die Parlamentarier für eine Verschärfung des Strafrechts aus, konkretisierten dies aber nicht.

Die Synodalabteilung für Information des Moskauer Patriarchats veröffentlichte ebenfalls eine Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf: «Die Meinungsfreiheit ist nicht nur ein Wert in Bezug auf politisch-rechtliche Aussagen, sondern sie ist auch ein Instrument des Dialogs zwischen Religionen und Weltanschauungen. Dieser Dialog impliziert, dass man die Dogmen eines anderen Glaubens ablehnen und sie von theologischer Warte auch kritisieren kann. Daher lehnt die Russische Orthodoxe Kirche es ab, dass eine vernünftige Einschränkung der Meinungsfreiheit, wie sie überall auf der Welt üblich ist, umgewandelt wird in ein staatlich geschütztes ‹Monopol auf religiöse Wahrheit›, wie man es uns heute vorzuwerfen versucht. Allerdings dürfen die Kritik religiöser Überzeugungen und die Kritik an deren Nichtvorhandensein niemanden verletzen, verehrungswürdigen Gegenständen oder Orten keine Gewalt antun sowie niemanden verhöhnen oder verleumden [...]. Der Schutz der Gefühle von Gläubigen wie Nicht-Gläubigen [...] ist eine wichtige Aufgabe des säkularen Staates, der keine religiösen Thesen verteidigt, sondern die menschliche Würde, die für die allermeisten untrennbar mit dem Glauben verknüpft ist. [...] Die Religionsgemeinschaften Russlands sind am allerwenigsten daran interessiert, dass das Gesetz zu Zwecken eingesetzt würde, die unvereinbar sind mit jenen, für die es geschaffen wurde. [...] Wir treten dafür ein, dass für die Verletzung religiöser Gefühle so wenig Menschen wie möglich strafrechtlich verfolgt werden. Es wäre besser, wenn es das nicht gäbe. Eine Verschärfung des Strafrechts allein reicht nicht aus, entscheidend sind Bildung, Erziehung und die Ausbildung im Geist des Respekts gegenüber religiösen Vorstellungen.»

Erzdiakon Andrej Kuraev, Professor an der Moskauer Geistlichen Akademie, warf gegenüber der orthodoxen Webseite Pravmir.ru die Frage auf, wie sich die Verletzung religiöser Gefühle überhaupt rechtlich definieren lasse, und wer kompetent und befugt sei, den Begriff festzulegen? Wie stehe es um das gesetzlich verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung, wo stoße dieses an seine Grenzen? Er befürchte, dass das Gesetz aufgrund seines nebulösen Charakters letztlich zur Schaffung eines Ministeriums religiöser Angelegenheiten führen könnte, was fatal an die Sowjetzeit erinnere.

www.portal-credo.ru, 24.–26. September; Kathpress, 26. September; www.pravmir.ru, 28. September 2012 – O.S.

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