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Ukraine: Kirchliche Stimmen zum Brandanschlag in Odessa

18. Juni 2014

In der Hafenstadt Odessa ist es am 2. Mai zu schweren Auseinandersetzungen zwischen prorussischen Demonstranten und Anhängern der ukrainischen Regierung gekommen.

Nach Straßenschlachten flüchteten sich die prorussischen Demonstranten in das Gewerkschaftshaus, das von ihren Gegnern mit Molotov-Cocktails in Brand gesetzt wurde. 46 Menschen starben und 214 wurden verletzt, davon 27 schwer.

Das Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, verurteilte den Anschlag und die blutigen Konflikte in der Ostukraine: „Aufs Neue fließt Blut in der Ukraine. Die Zusammenstöße im Gebiet Donezk und die tragischen Ereignisse in Odessa haben zum Tod dutzender Personen und zur weiteren Destabilisierung im Land geführt. Viele sind verzweifelt und fürchten um ihr Leben und das ihrer Nächsten.“ Zumindest indirekt kritisierte der Patriarch dabei auch das Vorgehen der ukrainischen Regierung, da diese den Bürgern im Osten des Landes das Recht auf Meinungsfreiheit verwehre: „Die Verantwortung für das, was jetzt geschieht, liegt in erster Linie bei denen, die sich statt für Dialog für Gewalt entscheiden. Besondere Sorge bereitet der Einsatz schweren Kriegsgeräts, wo Bürger einander befehden. Oftmals greift der zur Gewalt, der politischem Radikalismus anhängt, und den Bürgern das Recht auf Meinungsäußerung abspricht. Unter den Bedingungen der heutigen Ukraine darf nicht nur eine der politischen Positionen zur einzig möglichen und allgemein verpflichtenden erklärt werden. Das ist für das Land fatal. Ich bin davon überzeugt, dass man ein für alle Mal auf Versuche verzichten muss, den eigenen Standpunkt mit Gewalt durchzusetzen. Ich rufe alle Seiten auf, die Waffen niederzulegen und alle Fragen auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Kurzfristig betrachtet, braucht die Ukraine zumindest einen Waffenstillstand – langfristig gesehen einen stabilen und unveräußerlichen Frieden. Die Ukraine kann nur dann gesunden und den Weg zum Aufbau eines würdigen Lebens für ihre Bürger beschreiten, wenn sie zum gemeinsamen Haus für Menschen verschiedener politischer Überzeugungen wird, die sich in vielem voneinander unterscheiden. Es gibt keine Alternative zum Dialog.“

Demgegenüber machte Patriarch Filaret, Oberhaupt der Ukrainischen Orthodoxen Kirche–Kiewer Patriarchat, vor allem Putin und die russischen Geheimdienste für die Eskalation der Gewalt im Osten und Süden des Landes verantwortlich: „Die jüngsten tragischen Ereignisse in der Ukraine können keinem gleichgültig sein. Wegen bewaffneter Auseinandersetzungen fließt erneut Blut, Menschen sterben. Gegen unser Land wird wieder ein nicht erklärter Krieg geführt. Nachdrücklich sei betont, dass jeder Bürger das Recht hat, seine politische Meinung friedlich und ohne Waffengewalt zu äußern. Doch jeder Anschlag auf den verfassungsmäßigen Aufbau, die Einheit, die territoriale Unversehrtheit und Integrität der Grenzen der Ukraine sind kein politisches Handeln, sondern ein Verbrechen, das beendet und gesetzlich verurteilt werden muss. […]

Zahlreiche unwiderlegbare Beweise, auf die sich auch die internationale Gemeinschaft in ihren Schlussfolgerungen stützt, bestätigen, dass hinter diesen Gewaltausbrüchen und terroristischen Aktionen die Geheimdienste der Russischen Föderation stehen, für deren Taten die politische Führung Russlands und sein Präsident persönlich verantwortlich sind. Die Mitarbeiter der russischen Sondereinheiten, die von ihnen rekrutierten Agenten aus der Reihe ukrainischer Bürger und russische Söldner tun alles, um die Auseinandersetzungen anzuheizen, zu provozieren, die Zahl der Opfer zu vergrößern. Ihr Ziel ist es, die ukrainische Staatlichkeit zu zerstören, den Boden zu bereiten für einen offenen Einmarsch Russlands in die Ukraine und die Besetzung unseres Landes.

Die von den russischen Machthabern kontrollierten Medien setzen ihre in einem solchen Ausmaß nie dagewesene Lügenkampagne fort, die ebenfalls ein integraler Bestandteil des nicht-erklärten Krieges gegen die Ukraine ist. Die an dieser Kampagne Beteiligten seien daran erinnert, dass das bewusste Mehren der Lüge Dienst am Satan ist. Während die russische Staatsmacht Böses tut, versucht sie, die Wahrheit zu vertuschen – genauso, wie sie es bei der Annexion der Krim tat, als sie sich weigerte, die Zugehörigkeit der Besatzungstruppen zu Russland zuzugeben. […].

Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Dialog, wir müssen die Feindschaft überwinden und alle Kräfte bündeln, um eine bessere Ukraine aufzubauen. Doch die verfassungsmäßige Ordnung, die Einheit und territoriale Integrität der Ukraine sind Axiome, die niemand das Recht hat, infrage zu stellen, unabhängig von politischen Überzeugungen. In diesen Fragen kann nur der Wille des ganzen ukrainischen Volkes entscheiden, jedoch keine einzelne Partei, Gruppe oder die Bewohner bestimmter Gebiete. Ich möchte betonen: In der Ukraine empfindet jetzt niemand Feindschaft gegenüber Russland als Land oder den Russen als Nation, und es darf sie auch in Zukunft nicht geben. Sprachkenntnisse und unterschiedliche politische Meinungen sollten ebenfalls dem Wohl und der Einheit des ukrainischen Volkes dienen und kein Vorwand sein für das Schüren von Hass. […]

Die dem Patriarchat Moskau unterstehende Ukrainische Orthodoxe Kirche vermied dagegen einseitige Schuldzuweisungen und rief zu Spenden für die Opfer von Odessa auf.

www.patriarchia.ru, 3. Mai; www.risu.org.ua, 4. Mai; KNA-ÖKI, 5. Mai 2014 – O. S.

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