Ukraine: Offener Brief jüdischer Intellektueller an Putin
In Reaktion auf die Vorwürfe der russischen Regierung, dass in der Ukraine „Nationalisten“ und „Faschisten“ die Macht übernommen hätten, und dass die russischsprachige Bevölkerung unterdrückt würde, haben sich mehrere jüdische ukrainische Intellektuelle in einem offenen Brief an Präsident Putin gewandt.
Sie betonen, dass russischsprachige Bürger in der Ukraine weder gedemütigt würden noch in ihren Rechten eingeschränkt seien. Auch der Vorwurf eines wachsenden Antisemitismus in der Ukraine treffe nicht zu: „Offenbar verwechseln Sie die Ukraine mit Russland, wo die jüdischen Organisationen im letzten Jahr einen Anstieg des Antisemitismus festgestellt haben.“
Weiter heißt es in dem offenen Brief: „Man jagte und jagt uns Angst ein, dass in der Ukraine ‚Banderovcy‘ [Anhänger von Stepan Bandera (1909–1959), ukrainischer Nationalist und Nazi-Kollaborateur] und ‚Faschisten‘ die Macht an sich reißen wollten und uns Juden Pogrome bevorstünden. Uns ist klar, dass sich die politische Opposition … aus unterschiedlichen Gruppen zusammensetzt, auch aus nationalistischen. Doch selbst die extremsten wagen es nicht, ihren Antisemitismus oder andere Formen der Fremdenfeindlichkeit kundzutun. Wir wissen mit absoluter Sicherheit, dass unsere wenigen Nationalisten unter strenger Kontrolle der Zivilgesellschaft sowie der neuen ukrainischen Regierung stehen – was man von den russischen Neonazis, die von Ihren Geheimdiensten unterstützt werden, nicht sagen kann.“
Zudem weisen die Unterzeichner daraufhin, dass in der neuen ukrainischen Regierung, die Präsident Putin für illegitim halte, auch Vertreter der diversen Minderheiten vertreten seien: „Der Innenminister ist Armenier, der Vize-Premier Jude, zwei Minister sind Russen. Die neuernannten Gouverneure der ukrainischen Regionen zählen auch nicht alle zur Titularnation.“
Die Stabilität im Land werde nicht von den neuen politischen Kräften bedroht, sondern von der Politik der russischen Regierung: „Ihre Politik des Aufhetzens zu Separatismus und der rigorose Druck auf die Ukraine stellt für uns Juden sowie die Gesamtbevölkerung eine Bedrohung dar, auch für die Menschen auf der Krim und im Südosten des Landes […]. Wir schätzen Ihre Sorge um die Sicherheit und den Schutz der Minderheitenrechte. Aber wir wollen nicht, dass man uns mithilfe der Spaltung der Ukraine und der Annexion ihres Territoriums ‚verteidigt‘. Nachdrücklich appellieren wir an Sie: Mischen Sie sich nicht in die inneren Angelegenheiten unseres Landes ein, ziehen Sie die russischen Streitkräfte wieder … ab und hören Sie auf, den prorussischen Separatismus zu unterstützen.“
www.censor.net, 5. März 2014 – O. S.