Ukraine: Ukrainische Kirchen plädieren für die EU-Integration
Die Oberhäupter der bedeutendsten ukrainischen Kirchen und Religionsgemeinschaften haben am 30. September einen „Appell an das ukrainische Volk“ veröffentlicht, in dem sie sich für die europäische Integration ihres Landes aussprechen:
„Seit Alters her bildet das ukrainische Volk einen Teil des europäischen zivilisatorischen Raumes und hat in Wechselbeziehung zu Europa […] das Leben unserer Gesellschaft und unseres Staates aufgebaut. Jetzt steht unser Land am Scheideweg. Wir glauben, die Zukunft der Ukraine, ein unabhängiger Staat im Kreis freier europäischer Staaten zu sein, ergibt sich ganz natürlich aus unseren historischen Wurzeln. Wir sind davon überzeugt, dass diese Wahl zu keinem Antagonismus zwischen der Ukraine und unserem historischen Nachbarn Russland führen oder als solcher betrachtet werden kann, zumal Russlands Staatlichkeit, Geschichte und Kultur gleich eng mit Europa verknüpft sind. Wir hoffen, dass das russische Volk und sein Staat das Recht der Ukraine als eines unabhängigen Staates anerkennen und respektieren werden, ihren eigenen Weg in die Zukunft zu wählen – ebenso wie die Ukraine die Unabhängigkeit und Souveränität der Russischen Föderation anerkennt und respektiert.“
Das Wort EU kommt in dem Appell zwar nicht vor, gleichwohl kann der Text als Unterstützung des geplanten Assoziierungsabkommens mit der EU gelesen werden. Allerdings verfüge „das vereinte Europa nicht nur über Positives, vieles müsste verändert und verbessert werden, ebenso wie in unserem eigenen ukrainischen Haus. Die traditionellen religiösen, kulturellen, familiären und ethischen Werte, auf denen das Leben der europäischen Völker jahrhundertelang beruhte, sind ein kostbarer Schatz, den wir wertschätzen und gemeinsam pflegen, schützen und mehren müssen. Wir wissen, dass wir in dieser Hinsicht in Europa zahlreiche Gleichgesinnte haben, und wir möchten unsere Bemühungen mit den ihren vereinen.“
Der Appell trägt die Unterschriften von Metropolit Volodymyr (Sabodan), Oberhaupt der Ukrainischen Orthodoxen Kirche – Moskauer Patriarchat (UOK-MP), Patriarch Filaret (Denisenko), Oberhaupt der Ukrainischen Orthodoxen Kirche – Kiewer Patriarchat, Großerzbischof Svjatoslav Schevtschuk, Oberhaupt der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, dem römisch-katholischen Kiewer Erzbischof Petro Malchuk, Oberrabbiner Jakob Dov Bleich sowie weiterer Spitzenvertreter protestantischer Kirchen und der Muslime. Die Unterschrift von Metropolit Volodymyr stieß jedoch in seiner eigenen Kirche auf Kritik. Rund 200 Mönche der UOK–MP aus Donezk kritisierten, dass der Metropolit mit dem Appell nicht die Position der Kirche, sondern seine Privatmeinung vertrete, die er „mit Vertretern schismatischer, sektiererischer, heterodoxer, nichtchristlicher religiöser Gruppen“ teile. Ausdrücklich warnten die Geistlichen vor dem geplanten Assoziierungsabkommen mit der EU: Sollte es unterzeichnet werden, würde dies zu einer „militanten Interessenvertretung der sexuellen Perversion und des Missbrauchs von Kindern“ führen. Demgegenüber erklärte der Sprecher der UOK–MP, Erzpriester Georgij Kovalenko, der Zeitung Kommersant, von einer privaten Initiative des Metropoliten könne keine Rede sein, der Metropolit handle im Auftrag der Kirche und der meisten Gläubigen.
Mehr Rechte für Homosexuelle („Homo-Ehe“) und die Aufgabe moralischer Werte zugunsten eines westlichen Liberalismus lehnen die ukrainischen Glaubensgemeinschaften gleichwohl ab. Erst Mitte September hatte Großerzbischof Schevtschuk vor Kommunalpolitikern davor gewarnt, „die Krankheiten der westlichen Gesellschaften“ zu übernehmen: „Wir irren uns, wenn wir glauben, wir müssten uns für diese Krankheiten entscheiden, um europäischen Wohlstand zu erreichen.“ Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung ihres Appells reisten die Religionsvertreter (mit Ausnahme des gesundheitlich angeschlagenen Volodymyr) nach Brüssel, wo sie u. a. von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy empfangen wurden. Patriarch Filaret und Großerzbischof Schevtschuk sprachen sich dabei eindeutig für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens aus. Durch diesen Vertrag werde die Ukraine auf dem „Weg der Demokratie gefestigt“, so Filaret. Es sei bereits viel geschehen. Der Rest könne mit der Hilfe Europas geschafft werden. Schevtschuk mahnte, Europa dürfe sich in „diesem wichtigen Augenblick unserer Geschichte nicht von der Ukraine abwenden“.
Der Besuch beeindruckte auch die EU-Abgeordneten. So sagte Rebecca Harms, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, der katholischen Nachrichtenagentur KNA: „Es ist wohl einmalig, dass sich eine solche Gruppe von Spitzenvertretern aller Religionen eines Landes so für ein politisches Projekt wie das Assoziationsabkommen einsetzt.“ Das Gespräch sei für sie eine Ermutigung, weiter dafür zu streiten, dass die Ukraine die Bedingungen für den Abschluss des Abkommens erfülle. Alle Glaubensvertreter hätten „auch die Forderungen des EU-Parlaments nach dem Ende selektiver Justiz und der Freilassung von Frau Tymoschenko unterstützt“.
www.risu.org.ua, 30. September – 7. Oktober; www.irs.in.ua, 30. September; KNA-ÖKI, 7. Oktober 2013 – O. S.