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Diakonie Polen: Hilfe auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt für ukrainische Flüchtlinge

Regula Spalinger im Gespräch mit Wanda Falk

Mit vielfältigen Programmen unterstützt die Diakonie der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen ukrainische Flüchtlinge bei der Suche nach Wohnungen und Arbeitsplätzen. Für die Flüchtlingskinder bietet die Diakonie Sprachkurse und Freizeitaktivitäten an. Die Integrationsprogramme sind lokal bei Partnerkirchgemeinden angesiedelt, wie die Generaldirektorin der Diakonie, Wanda Falk, berichtet.

Wie stellt sich momentan die Situation ukrainischer Flüchtlinge in Polen dar?
Derzeit befinden sich knapp eine Million (968 000, Stand Juli 2024) ukrainische Flüchtlinge unter vorübergehendem Schutz in Polen, die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder. Täglich überqueren laut polnischem Grenzschutz ca. 20 000 Menschen die polnisch-ukrainische Grenze in beide Richtungen, wobei der Anteil der ankommenden Flüchtlinge leicht höher ist. Nach den neuen Rechtsvorschriften können sich Flüchtlinge aus der Ukraine dank einer Fristverlängerung ab dem 1. Juli 2024 bis zum 30. September 2025 weiterhin legal in Polen aufhalten. Allerdings dürfen unterstützungsbedürftige Flüchtlinge neu nur noch in Sammelunterkünften untergebracht werden, die auf Anordnung der Woiwodschaften betrieben werden. Damit entfällt die Zahlung von Geldleistungen für die Unterbringung und Verpflegung von Flüchtlingen in privaten Unterkünften, das sog. „40+ Programm“. Für Flüchtlinge, die bereits eine Arbeitsstelle gefunden haben, ist das Mieten einer Wohnung eine weitere Möglichkeit. Doch der Mangel an verfügbarem und bezahlbarem Wohnraum in den Großstädten ist ein ernsthaftes Problem. Die Beschäftigungsquote unter den Flüchtlingen lag 2023 bei etwa 62 Prozent, ein leichter Rückgang gegenüber 2022. Flüchtlinge haben auch Zugang zum polnischen Gesundheitssystem. Dabei sind die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Sprachbarriere und den Unterschieden in den Gesundheitssystemen jedoch nicht zu unterschätzen. Trotz der staatlichen Unterstützung stehen viele Flüchtlinge immer noch vor Herausforderungen hinsichtlich der Integration, der Arbeitssuche, dem Erlernen der polnischen Sprache und der Wohnsituation.

Welche Schwerpunkte setzt die Diakonie Polen in der Flüchtlingsbetreuung?
Die Diakonie Polen führt aktuell von Juli bis Dezember 2024 ein Programm zur Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge auf dem Mietmarkt durch. Das Programm hilft konkret jenen Flüchtlingen, die sich derzeit in einer schwierigen Wohnsituation befinden und das Potenzial haben, im Laufe des Programms unabhängig zu werden. Es zielt darauf ab, die Wohnsituation von Flüchtlingen in Polen mittel- bis langfristig zu verbessern. Das Programm umfasst folgende Punkte: einen Zuschuss für die Anmietung einer neuen Wohnung für sechs Monate, administrative und rechtliche Unterstützung beim Abschluss eines Mietvertrags, Unterstützung auf dem Arbeitsmarkt zur Verbesserung der beruflichen Qualifikationen und zum Erlernen einer Sprache, Zuschüsse zu den Kosten für den Umzug und die Einrichtung einer Wohnung. Unabhängig von dieser befristeten Unterstützung führen wir Programme zur Verbesserung der beruflichen Qualifikationen ukrainischer Flüchtlinge durch, indem wir spezielle Schulungen und Sprachkurse mitfinanzieren. Darüber hinaus ermöglicht die Diakonie Polen Integrationsprojekte, die von kirchlichen Partnergemeinden durchgeführt werden. Die Unterstützung durch lokale Gemeinden spielt eine Schlüsselrolle bei der Integration von Flüchtlingen.

Wie weit ist der Aufbau von Beratungs- und Integrationspunkten für Flüchtlinge in den Kirchgemeinden fortgeschritten?
Solche Beratungspunkte wurden in den letzten zwei Jahren in unterschiedlichem Tempo in mehr als 70 Gemeinden der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen aufgebaut. Deren aktuelle Arbeit möchte ich gern an vier Beispielen schildern: Die Diakonie Koszalin in Westpommern hat bereits vor der russischen Großinvasion in die Ukraine Projekte zur Unterstützung von Migranten und Flüchtlingen durchgeführt. Heute bietet ihr Infopoint mit dem Namen Razem (Gemeinsam) zahlreiche Projekte im Bereich Integration, Beratung und Bildungsaktivitäten für Erwachsene und Kinder an. Für ukrainische Flüchtlinge sind das beispielsweise Polnischkurse, Theaterworkshops, Beratungen für Frauen mit onkologischen Erkrankungen, Beratungen durch einen Pädagogen sowie eine Logopädin, Nachhilfeunterricht für Kinder zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfung der achten Klasse (Polnisch, Mathematik, Englisch), Beratung zur Berufsausbildung, unterschiedliche Informations- und Vermittlungsdienste.

Im ostpolnischen Gemeindezentrum Białystok wurde ein Integrationszentrum für ukrainische Flüchtlinge eingerichtet. Der evangelische Verein Betel in Pisz (Masuren) betreibt ein Büro für kostenlose Rechtsberatung für Flüchtlinge aus der Ukraine. In diesem Büro arbeitet ein Rechtsanwalt aus der Ukraine. Für einzelne Fälle wurden auch polnische Anwälte eingesetzt. Bei der Kirchgemeinde in Węgrów östlich von Warschau wurde eine Flüchtlingshelferin angestellt, die den Flüchtlingen in verschiedenen Angelegenheiten hilft und sie auch rechtlich berät. In verschiedenen evangelischen Kirchgemeinden werden zudem Sprachkurse für Flüchtlinge durchgeführt, z. B. in Słupsk, Syców, Radom.

Unter den Geflüchteten sind besonders viele Kinder. Wie hilft die Diakonie Polen diesen?
Als kirchliches Hilfswerk der Evangelisch-Augsburgischen Kirche koordinieren wir Bildungs- und Freizeitaktivitäten für die ukrainischen Flüchtlingskinder. Durchgeführt werden diese auf der Basis der rund 130 Partnergemeinden. Ziel der Integrationsprogramme ist es, den Kindern bei der Anpassung an ihre neue Umgebung zu helfen. Dazu gehört die Unterstützung beim Erlernen der Sprache, beim Aufbau von Beziehungen zu Gleichaltrigen und bei der Integration in die örtlichen Gemeinschaften. Ab dem 1. September 2024 – dem Beginn des Schuljahrs – hat Polen die Schulpflicht für ukrainische Flüchtlingskinder eingeführt. Das bedeutet, dass ca. 80 000 neue Schüler an die Schulen kommen. Aufgrund der Schulpflicht müssen in Polen lebende ukrainische Kinder genauso wie polnische Kinder Kindergärten, Grund- und weiterführende Schulen besuchen. Eine Ausnahme bilden die Schüler der letzten Klasse im ukrainischen Bildungssystem, die ihre Ausbildung online fortsetzen können. Unsere Partnerkirchgemeinden haben daher in den letzten Monaten schwerpunktmäßig Sprachkurse und Vorbereitungsklassen für die Flüchtlingskinder organisiert.

Die Kirchengemeinde Syców in Niederschlesien hat während des Sommers für ukrainische Flüchtlingsfrauen mit Kindern eine Erholungsreise in die Küstenstadt Ostrowo organisiert. Einige dieser Frauen haben immer noch keine feste Anstellung, sondern nur Gelegenheitsarbeiten wie Reinigungsarbeiten oder in der Gastronomie. In der Gemeinde erhalten diese Frauen Unterstützung durch einen Psychologen, einen Polnisch-Sprachkurs, einen Schneiderei- und Nähkurs, um ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Die Kinder besuchen die Schule und nehmen zusätzlich an einem Polnischkurs teil. Die Frauen und Kinder sind sich der immer schwieriger werdenden Lage in der vom Krieg verwüsteten Ukraine und der Unmöglichkeit einer baldigen Rückkehr zu einem normalen Leben in ihrem Land bewusst. Seit ihrer Ankunft in Polen 2022 konnten sie nirgendwo mehr Urlaub machen. Der Aufenthalt am Meer wirkte sich positiv auf ihren emotionalen Zustand aus.

Die ukrainische Stadt Charkiv steht in letzter Zeit wieder vermehrt unter russischem Beschuss. Können Sie weiterhin Hilfstransporte dorthin durchführen?
Die Lage in Charkiv ist äußerst schwierig. Dank der Bemühungen vieler Organisationen und Einzelpersonen erreicht die humanitäre Hilfe dennoch die Bevölkerung. Wir bereiten derzeit einen weiteren Transport nach Charkiv vor, der Hygieneartikel sowie Grundnahrungsmittel für kranke Menschen zu Hause umfasst. Der Transport der Sachspenden wird mit zwei Bussen nach Boryslav in der Westukraine gebracht und dort von der evangelischen Gemeinde in Charkiv abgeholt. Für den Transport nach Charkiv organisieren wir in Warschau die Fahrzeuge, Fahrer und die Verladung der Sachspenden. Die Logistik koordiniert Diakonie Polen in Zusammenarbeit mit dem Direktor der Warschauer Diakonie, Diakon Paweł Gumpert, und in der Ukraine mit dem lutherischen Bischof Pavlo Shvarts.

Das Motto der Diakonie Polen ist: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 40). Aktives Handeln zugunsten der Bedürftigen ist nicht nur ein tägliches Zeugnis unseres in der Liebe aktiven Glaubens, sondern auch etwas, das das christliche Leben in Versöhnung und Frieden prägen sollte. Dies ist eine Aufgabe für jeden Einzelnen von uns. Wir freuen uns, dass die Diakonie Polen dank der Unterstützung vieler Spenderinnen und Spender von Forum RGOW Flüchtlingen aus der Ukraine helfen kann. Diese Einheit im Helfen kann die Welt zum Besseren verändern.

Sie können die Flüchtlingshilfe der Diakonie Polen mit einer Spende auf das Konto von Forum RGOW (IBAN CH22 0900 0000 8001 51780) mit dem Vermerk „Diakonie“ unterstützen.

Bild: Michał Karski