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„Wings of Victory“: Rehabilitation für Kriegsverletzte in der Ukraine

Regula Spalinger im Gespräch mit Viktoria Kramarenko

Die ukrainische NGO „Wings of Victory“ organisiert kostenlose Transporte für schwer verletzte Patienten in stabilem Zustand zu Rehabilitationseinrichtungen. Zudem bietet die Organisation eine Schwimm- und Reittherapie an, die sich insbesondere an Arm- und Beinamputierte richtet. Dank der Therapie verbessert sich deren physischer und psychischer Zustand. Neben diesen hoffnungsvollen Zeichen berichtet Viktoria Kramarenko, die Leiterin der NGO, aber auch vom belastenden Kriegsalltag.

Um welche Patienten kümmert sich Ihre Organisation?
Viktoria Kramarenko: Von Anfang an transportieren wir schwerverletzte Patienten, allerdings unter der Bedingung, dass sie sich in einer stabilen Verfassung befinden. Aus meiner Zeit als Co-Leiterin eines Krankenhauses für Brandverletzte und ab 2016 als Sanitäterin an verschiedenen Frontabschnitten kennen mich viele Verantwortliche. So erhielten wir unmittelbar nach dem Start unseres Projekts „Aibolit“ im April 2023 eine Flut von Anfragen. Dabei waren wir oftmals mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass die Patienten in den Berichten zwar als stabil bezeichnet wurden, jedoch ein zwei- bis dreistündiger Transport dieser Patienten mit ernsthaften Risiken verbunden war. Ich tauschte mich dazu mit zahlreichen Verantwortlichen aus, so dass heute die erstversorgenden Krankenhäuser die Verantwortung übernehmen, die verwundeten Soldaten oder zivile Kriegsversehrte bis zur notwendigen Austrittsfähigkeit zu pflegen. Der Transport der liegenden Patienten wird heute auch direkt von den Spitälern übernommen. Wir transportieren daher nun fast ausschließlich sitzende, zum Teil auf Gehhilfen oder Rollstühle angewiesene Patienten. Die meisten benötigen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus unsere Hilfe, um in ein spezialisiertes Krankenhaus oder eine Rehabilitationseinrichtung zu gelangen. Beim Erstkontakt mit dem Patienten oder seinen Angehörigen nimmt eine unserer medizinisch geschulten Mitarbeiterinnen die wichtigsten Daten auf, um sicherzustellen, dass unser Fahrer und ein Angehöriger als Begleitperson genügen. Aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch um lange Wartezeiten im staugeplagten Kyjiw zu vermeiden, transportieren wir in der Regel mehrere Patienten pro Fahrt. Dringende Einzeltransporte übernehmen wir jedoch auch weiterhin. Denn häufig wenden sich Patienten an uns, weil sie bei den staatlichen medizinischen Diensten keine genügend rasche Unterstützung bekommen – dort gibt es riesige Warteschlangen.

Was sind die größten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?
Ich möchte auf jene Herausforderungen eingehen, die mein ganzes Team betreffen, ja vermutlich alle Ukrainer:innen. Das sind die schwierigen Umstände der vergangenen Jahre, die endlosen Verluste durch den Krieg. Wenn man beispielsweise unterwegs ist, kommt es immer wieder vor, dass man auf einen Begräbniszug trifft. Selbstverständlich geht man nicht einfach weiter, sondern bleibt stehen und kniet nach unserer Tradition nieder. Auch der nächtliche Luftalarm verursacht bei vielen Angst und Stress. Die Mitarbeitenden, die Kinder haben, machen sich doppelt Sorgen. Eine Mitarbeiterin, die ein Mädchen aus Butscha adoptiert hat und es zusammen mit ihrer eigenen Tochter großzieht, holt die beiden Mädchen bei Luftalarm immer aus der nahen Schule, um gemeinsam im Luftschutzkeller ihres Wohnhauses Zuflucht zu suchen. Zu den täglichen Sorgen kommen die Herausforderungen unserer Arbeit hinzu, die große medizinische und finanzielle Verantwortung umfasst. Ich bin unendlich dankbar, dass wir im vergangenen Jahr in neue Räume umziehen konnten, die im Winter warm sind, und in denen wir seit Anfang 2025 auch Massagen für Amputierte zur Lockerung der Muskeln und Stärkung des Bewegungsapparates anbieten können.

Wie begegnet Ihre Organisation den häufigen Stromausfällen aufgrund von Luftangriffen?
Wir leben in einer Kriegssituation, in der jederzeit unvorhergesehene Ereignisse eintreten können. Sobald der Strom ausfällt, werden die Dieselgeneratoren angeworfen, und in der Stadt entsteht zusätzlicher Lärm. Als Folge dieser Art der Stromproduktion steigen die Preise für Lebensmittel und weitere Produkte stark. Dank einer Spende konnten wir in unserem Büro elektrische Öko-Generatoren installieren. Für unsere Fahrzeuge haben wir einen Notvorrat an Diesel angelegt. Außerdem halten wir einen Vorrat an Verbandsmaterialien, Tragen, medizinischen Sauerstoffflaschen, einen Defibrillator sowie mehrere Erste-Hilfe-Rucksäcke griffbereit, da wir nach Raketen- und Drohnenangriffen auch schon zur Hilfe gerufen wurden.

Sie bieten verschiedene Rehabilitationsangebote für Kriegsverletzte an. Wie sehen diese aus?
Unser erstes Rehabilitationsprojekt war die Schwimmtherapie. Vor einem Jahr sah ich mir alle Schwimmbäder Kyjiws persönlich an. Doch einzig beim Hallenbad, das zum Sportkomplex „Olimpijskij stil“ gehört, gab es geeignete Parkplätze, und wir stießen mit unserem Anliegen auf offene Ohren. Seit Februar 2024 können die Teilnehmenden an unserem Schwimmprogramm jederzeit auf für sie reservierten Parkplätzen parken. Wir durften sogar in einem ihrer nicht vollständig genutzten Räume unsere Physio- und Fitnessgeräte aufstellen. Die Schwimmtherapie wird von einem erfahrenen Trainer begleitet und ist sehr gut für Arm- und Beinamputierte. Die Therapie hilft die seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose) zurückzubilden, und das Muskelsystem kann sich im Wasser am besten entspannen. Die Schwimmtherapie hilft auch psychisch enorm, so dass es unseren Patienten gelingt, wieder fünf bis sechs Stunden ohne Schlafmittel zu schlafen. Wir beobachten, wie durch die Schwimmtherapie das Interesse am Leben wieder geweckt wird.

Bei früheren Projekten mit beeinträchtigten Menschen machte ich zudem die Erfahrung, dass Reittherapie eine große Heilkraft besitzt, insbesondere bei Menschen mit Autismus oder schweren traumatischen Erlebnissen. Im Frühjahr 2024 konnte ich als Privatperson ein Pferd erwerben und in einem Reitstall in der Nähe von Kyjiw unterbringen. Die Stute mit dem Namen Barcelona ist hochgewachsen, kräftig und hat einen wunderbar geduldigen Charakter. Unter den ersten Patienten, die diese Therapie nutzten, waren sowohl Amputierte als auch ehemalige Soldaten, die aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt waren und schwere Traumata erlitten hatten. Bein- oder Armamputierten helfen die rhythmischen Bewegungen des Reitens, um die Wirbelsäule aufzurichten.

Welche Veränderungen aufgrund der Rehabilitation beobachten Sie?
Vor kurzem habe ich jene zehn Männer getroffen, die vor einem Jahr mit der Schwimmtherapie begannen. Sie haben eine kolossale Veränderung durchgemacht! Alle haben begonnen zu lächeln, leben auf und erzählen viel eher von sich aus. Viele haben auch schon wieder eine neue Arbeitsstelle angetreten. Auch in den Familien unserer ehemaligen Patienten zeigen sich Veränderungen: Sie werden nicht mehr nur als ehemalige Kämpfer wahrgenommen, die verstümmelt wurden, sondern als starke Menschen, auf die man sich verlassen kann und die zum Vorbild für andere geworden sind.

Welche Perspektiven gibt es für Kriegsverletzte, erneut ein selbstbestimmtes und finanziell unabhängiges Leben aufzubauen?
Aufgrund des Kriegs gibt es in der Ukraine zahlreiche Männer, die nach ihrer Verwundung aus dem Militär ausgeschieden sind. Viele haben Familie und tragen viel Verantwortung für Frau, Kinder und oft auch ihre Eltern. Ich weiß, wie schwer es für sie finanziell ist. Noch während meiner Tätigkeit als Co-Leiterin eines Kyjiwer Spitals lernte ich den Geschäftsmann Pavlo Parchomenko kennen, der aufgrund eines Arbeitsunfalls ein Bein verloren hatte. Wir stammen beide aus Irpin. Zusammen mit Pavlo bieten wir neu den Kurs „Generate Your Business“ an, einen Kurs zur Gründung eines eigenen Geschäfts. Anfang Jahr haben wir den ersten fünftägigen Pilotkurs mit 14 Teilnehmenden – Männern und Frauen zwischen 24 und 60 Jahren – durchgeführt. Wichtiger Bestandteil war die Erstellung eines soliden Businessplans. Dazu zogen wir einen Finanzexperten bei. Veteranen haben die Möglichkeit, auf Antrag staatliche Zuschüsse für den Aufbau einer Firma zu erhalten. Doch ich weiß aus eigener Erfahrung, wie anspruchsvoll das Verfassen solcher Anträge ist. Über die nächsten Monate wird Pavlo die Teilnehmenden weiter während der individuellen Umsetzungsschritte begleiten. Da das Interesse an solchen Kursen sehr hoch ist, planen wir, in Zukunft regelmäßig solche Trainings durchzuführen.

Welche weiteren Pläne haben Sie für 2025?
Ich träume davon, dass es uns gelingt, ein gutes Occasions-Spezialfahrzeug für unsere Transporte zu finden. Ein sog. Behindertenbus mit elf Sitzplätzen sowie Rollstuhlrampe am Heck ist für unsere Zwecke die beste Lösung, da sich – wie beschrieben – die Situation bezüglich Krankentransporte seit dem letzten Jahr stark verändert hat. Daher transportieren wir nun fast ausschließlich sitzende und Rollstuhlpatienten. Aufgrund der Zusammenarbeit mit Forum RGOW bin ich überzeugt, dass wir dieses Ziel erreichen können.

Sie können die Arbeit der NGO „Wings of Victory“ mit einer Spende auf das Konto des Forums RGOW (IBAN CH22 0900 0000 8001 51780) mit dem Vermerk „Wings of Victory“ unterstützen.

Bild: „Wings of Victory“ bietet auch eine Reittherapie an (Foto: Wings of Victory).