Studienreise auf den Balkan
Religion und Politik in Serbien und Bosnien-Herzegowina
Studienreise vom 11.-20. Mai 2012 n Kooperation mit der Paulus-Akademie.
Flyer (PDF 1.76 mb) und Detailprogramm.
Reisebericht
Die Paulus-Akademie Zürich und das Institut G2W haben vom 10. bis 20. Mai 2012 eine Studienreise nach Serbien und Bosnien-Herzegowina organisiert, um die politische Lage dieser beiden Länder des einstigen Vielvölkerstaates Jugoslawien besser zu verstehen und um sich mit der Verstrickung von Religion und Politik vertraut zu machen. Durch viele Begegnungen mit Menschen vor Ort verschaffte sich die Gruppe ein besseres Bild, u. a. mit Exponenten der Serbischen Orthodoxen und römisch-katholischen Kirche, mit Vertretern der Islamischen Gemeinschaft, mit dem Schweizer Botschafter in Sarajevo und nicht zuletzt mit verschiedenen Mitarbeitenden von NGOs, unter anderen von der Caritas Schweiz.
Auch wenn sich heute politisch vieles in geordneteren Bahnen abspielt, so bleibt nach Ansicht von Andreas Ernst, Korrespondent der NZZ am Sonntag, Bosnien-Herzegowina ein ungelöstes Problem. Es fehle in dem geteilten Land an einem gemeinsamen Staatsbewusstsein und dies sei mittelfristig ein Herd für Unsicherheit in der ganzen Region. In Serbien erweckt das Alltagsleben zunächst den Anschein von Ruhe und Normalität; Andreas Ernst bemerkte jedoch: „Der Wandel von einer sozialistischen in eine demokratische Gesellschaft ist immer noch im Gang.“ Zudem wies Dušan Dinić von der Friedrich-Naumann-Stiftung auf eine tiefgreifende Unsicherheit in der serbischen Gesellschaft hin: „Auch Serbien leidet unter einer Traumatisierung.“ Schuldgefühle, politische Perspektivlosigkeit und die Wirtschaftskrise vermischten sich zu einer fatalen Selbstgeringachtung.
Die Reisegruppe traf sich auch mit Mitarbeitenden von NGOs, die sich insbesondere mit dem Dialog zwischen den Religionen und Konfessionen befassen. Jelena Jablanov Maksimović von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Belgrad hob hervor, dass sich in Südosteuropa Religion und Ethnie häufig überlappen. Dies sei von Politikern schamlos ausgebeutet worden und vor diesem Hintergrund sei es verständlich, warum die Kriege der 1990e-Jahre oftmals fälschlicherweise als Religionskriege interpretiert worden seien. Božana Ivelić vom Interreligiösen Rat in Sarajevo bestätigt diese Einschätzung: „In der Serbischen Republik [eine der beiden Entitäten innerhalb von Bosnien-Herzegowina] wurden im Krieg alle Moscheen bis auf eine zerstört – obwohl es kein Krieg der Religionen war.“
Beim Interreligiösen Rat weiß man um die Folgen dieser Politik. So ist Sarajevos Bevölkerung heute weitgehend muslimisch, was vor dem Krieg anders war. Und in Mostar steht zwar die Alte Brücke über die Neretva wieder, aber die muslimischen und katholischen Kinder haben in den gleichen Schulen verschiedene Stundenpläne. Der Interreligiöse Rat setzt sich in Projekten mit Frauen, Flüchtlingen, Jugendgruppen und Schulen für den religiösen Dialog „auf niedrigstem Niveau“ ein und engagiert er sich für eine neue Kultur des Zusammenlebens. Nüchtern stellte Božana Ivelić fest: „Es gibt kaum einen Politiker oder eine Partei in Bosnien und Herzegowina, die sich für Kooperation und Toleranz einsetzen.“
Lauter Skepsis und Hoffnungslosigkeit? Nein. Die Gastfreundschaft der Menschen, ihre spürbare Dankbarkeit für das Interesse von Mitteleuropäern am Leben im Balkan und vor allem der starke Wille, eine neue Zukunft zu gestalten, beeindruckten die Reisegruppe immer wieder von neuem. Die Teilnehmenden verarbeiteten das Gehörte bei Pausen mit türkischem Kaffee und an den üppigen Nachtessen, unterstützt von Stefan Kube, der die Gruppe kompetent durch die beiden Länder begleitete. Dem Chefredakteur der Zeitschrift RGOW sind die vielen Begegnungen mit eindrücklichen Menschen in Serbien und Bosnien und Herzegowina zu verdanken.
Hans-Peter von Däniken, Direktor Paulus-Akademie Zürich