
Jenseits des Politischen? Die orthodoxe Kirche im postsozialistischen Rumänien
RGOW 10/2023
Die Rumänische Orthodoxe Kirche ist nach dem Systemumbruch wiederaufgelebt. Die Kirche hat eine Reihe sozialer Initiativen gestartet, und Religionsunterricht wurde wieder an den staatlichen Schulen eingeführt. Der rumänische Staat unterstützt die orthodoxe Kirche, so dass sich zwischen den beiden Institutionen eine enge Partnerschaft entwickelt hat. Innerhalb der Bevölkerung genießt die Kirche bis heute eine große Popularität.
Jede Form von Kirchlichkeit, die im Rahmen eines Nationalstaates funktioniert, ist tiefgreifend politisch. Eine Mehrheitskirche, verstanden als Gemeinschaft von Gläubigen, die zugleich auch Bürger eines Staates sind, kann sich nicht unpolitisch geben. Das betrifft auch die zahlenmäßig zweitgrößte orthodoxe Kirche der Welt, die Rumänische Orthodoxe Kirche (RumOK).
Entstehung der Rumänischen Orthodoxen Kirche
Die Geschichte der heutigen RumOK beginnt wenig überraschend im Kontext der nationalen Erweckung im orthodoxen Südosteuropa des 19. Jahrhunderts unter osmanischer Herrschaft. Durch die sog. Tanzimat-Reformen boten die Sultane ihren Untertanen durch Gleichstellung aller religiösen Gemeinschaften die Möglichkeit zur Partizipation am politischen, sozialen und religiösen Leben im Osmanischen Reich. Religionen und Konfessionen galten in diesem Zusammenhang als „Körperschaften“ öffentlichen Rechts und Lebens, besaßen also das Recht auf Selbstverwaltung. Obwohl die Tanzimat-Reformen auf Zentralisierung und Überwindung nationalistischer Tendenzen abzielten, schlug dies ins Gegenteil um. Der Begriff Millet blieb mit radikal geänderter Bedeutung in Verwendung: stand er bis anhin für „Religion“, bedeutete Millet nach den Tanzimat-Reformen „Nation“.
Die Stunde der nationalen Erweckung hatte geschlagen, und die ethnisch-rumänische Identität wurde mit religiöser Zugehörigkeit zur Orthodoxie verbunden. 1859 vereinigten sich die Donaufürstentümer der Walachei und der Moldau in einer Personalunion unter der Herrschaft von Alexandru Ioan Cuza (1859–1866) zum neuen Fürstentum Rumänien. Die Errichtung eines rumänischen Nationalstaates und einer rumänisch-orthodoxen Nationalkirche erfolgten Schlag auf Schlag: 1864 wurden die Heiligen Synoden der Metropolien von der Walachei und der Moldau zusammengeführt; 1878 errang Rumänien seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich; 1885 wurde der RumOK durch Konstantinopel die Autokephalie verliehen; 1918 entstand das sog. Großrumänien durch die Vereinigung mit Siebenbürgen, der Bukowina und Bessarabien; 1925 erhob sich RumOK im Alleingang zum Patriarchat.
Somit setzte sich die Idee durch, dass die RumOK die Kirche aller Rumänen innerhalb der territorialen Grenzen des Nationalstaates darstellt. Allen Generationen wurde das nationale Credo „Ein Volk, ein Staat, ein Glaube“ unterbreitet. Angesichts der hohen gesellschaftlichen Akzeptanz der Orthodoxie in Rumänien blieb das nationale Narrativ vom orthodoxen Rumänentum von mehreren Regimewechseln (konstitutionelle Monarchie, Militärdiktatur, Kommunismus, parlamentarische Demokratie) im 20. Jahrhundert unberührt.[1]
Vom Sozialismus zum Postsozialismus
In den ersten beiden Jahrzehnten des kommunistischen Rumäniens nach 1945 wurden die Kirchen stark verfolgt. Danach waren sie gezwungen, mit den Behörden beim Aufbau des sozialistischen Staates zusammenzuarbeiten. Zahlreiche Bischöfe, Priester und Pastoren mussten konfessionsunabhängig als Informanten der gefürchteten Geheimpolizei Securitate dienen. Die Partei war sich des großen Einflusses der RumOK auf die Rumänen bewusst und versuchte sie dementsprechend sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zu instrumentalisieren, z. B. durch ihre Mitgliedschaft im Ökumenischen Rat der Kirchen oder in den Diasporagemeinden der Rumänen. Aufgrund der großen Zahl an orthodoxen Priestern, die vor und während des Zweiten Weltkriegs Mitglieder der faschistischen Eisernen Garde gewesen waren, stellte sich die RumOK als erpressbar dar. Eine Kombination aus Drohungen und Belohnungen durch die kommunistischen Behörden machte trotz Ausnahmen insbesondere die kirchliche Hierarchie zu einem kooperativen Partner, während unzählige orthodoxe Priester, Mönche und Nonnen in Gefängnissen schmachteten und starben.
Die vergangenen drei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des Kommunismus brachten im östlichen Teil Europas große Veränderungen mit sich. Einen maßgeblichen Faktor stellte der Beitritt der osteuropäischen Länder zur NATO und zur Europäischen Union dar. Diese betrachteten ihre Aufnahme nicht nur als wohlverdiente und längst überfällige moralische Wiedergutmachung seitens der „älteren“ westlichen Staaten. Sie verstanden die europäische Integration auch als Schutz vor einer möglichen erneuten Expansion und einem Dominanzstreben Russlands. Der heutige Krieg gegen die Ukraine bildet die traurige Bestätigung dieser Integrationsbemühungen der Osteuropäer. Da die Westeuropäer nicht selten Schuldgefühle hegten, ihre östlichen Nachbarn nach dem Vertrag von Jalta 1945 dem sowjetischen Imperium überlassen zu haben, waren sie bereit, die Tatsache zu übersehen, dass nicht alle osteuropäischen Länder die Beitrittsvoraussetzungen vollständig erfüllten, weder wirtschaftlich noch menschenrechtlich.[2] Außerdem ergriffen die Westeuropäer die Gelegenheit, ihre Märkte nach Osten auszuweiten und von den dort angebotenen billigeren Facharbeitskräften und Investitionsbedingungen zu profitieren.
In Rumänien, das seit 2004 Mitglied der NATO und seit 2007 der EU ist, versuchte die RumOK den Prozess der Demokratisierung und Europäisierung mitzugestalten. Als mit Abstand wichtigster religiöser Akteur des Landes – ihr gehören etwa 80 Prozent der Bevölkerung an – verfolgte die Kirche hauptsächlich zwei Ziele: Einerseits galt es, die atheistisch-materialistischen Spuren des Kommunismus zugunsten konservativer christlicher Werte im Bewusstsein der Bevölkerung zu tilgen. Andererseits zeigte sich die Kirche daran interessiert, ihre nationsbildende Funktion in der rumänischen Gesellschaft auf nie da gewesene Art und Weise zu betonen, und zwar unter dem Motto: „Ohne die historische Leistung der Kirche gäbe es heute keine Rumänen und kein Rumänien.“ Ihre Popularität setzte sie ein, um ihren Einfluss auszubauen.
Neue Strukturen und Privilegien
Während der Amtszeit von Patriarch Teoctist (Arăpașu) (1986–2007) gelang es der RumOK, eine Reihe gesetzlicher Privilegien und die Anerkennung durch den Staat als dominierende Kirche in einem multireligiösen, multikulturellen und multiethnischen Land zu erlangen. Sowohl die Verfassung als auch das Religionsgesetz von 2006 betonen an gesonderter Stelle die wichtige Rolle der RumOK für die rumänische Geschichte und Gesellschaft. Nach dem Ende des sozialistischen Regimes bestand die vordringliche Aufgabe darin, das Verhältnis der Kirche zum Staat neu aufzustellen sowie eine Erneuerung der kirchlichen Strukturen voranzubringen. Eine rasche Umstrukturierung der kirchlichen Gesetzgebung war notwendig, etwa durch die Erneuerung des Statuts: Die autonome Verwaltung wurde gesetzlich festgelegt und alle Artikel gestrichen, die eine staatliche Einmischung in innere kirchliche Angelegenheiten zugelassen hätten. Die Geistlichen traten für eine neue Staatsverfassung ein, die sie maßgeblich im Sinne einer privilegierten Sonderstellung der RumOK als Mehrheitskirche der Rumänen mitgestalten wollten. Ziel war die freie Entfaltung und die volle Autonomie der Kirche und ihres zurückerlangten Besitzes.
Sehr schnell nach dem Revolutionsgeschehen wurden im Januar 1990 Patriarch Teoctist und andere Hierarchen durch einen Synodalbeschluss ihrer Ämter enthoben. Da Teoctist als Regimefreund Ceaușescus galt, wurde durch seinen Ausschluss der Eindruck erweckt, dass umfassende Reformen geplant seien. In der Übergangszeit übernahm ein Rat die vorläufige Leitung. Als Teoctist im April desselben Jahres erneut als Patriarch eingesetzt wurde, kamen jedoch Zweifel an der Reformbereitschaft der RumOK auf.
In der Folgezeit konnten diese Vorbehalte größtenteils ausgeräumt werden, wenn man sich vor Augen führt, was unter der Leitung Teoctists für die Erneuerung der Kirche getan wurde. Vor allem ist es sein ausschließliches Verdienst, dass die RumOK ihre Einheit und somit sozialen Frieden und innere Stabilität bewahren konnte, während viele andere orthodoxe Kirchen im ehemaligen Ostblock mit Schismen konfrontiert waren und sich parallele Kirchlichkeiten entwickelten, die sich teilweise bis heute gegenseitig bekämpfen. Der Patriarch erwies sich auch in der ökumenischen Annäherung zwischen Orthodoxen und Katholiken als einer der wichtigsten Akteure, war doch Rumänien das erste orthodoxe Land, das 1999 nach dem Großen Schisma von 1054 von einem Papst besucht wurde.
Dazu kam die Schaffung neuer Bistümer. In den 1990er und Anfang der 2000er Jahre wurden viele junge Geistliche in kirchliche Ämter neuberufen. Dadurch sollte die Kirche an Glaubwürdigkeit und Dynamik gewinnen. Die Bistümer und Metropolien der rumänischen Diaspora wurden ebenfalls ausgebaut und neustrukturiert. In Nürnberg fungiert beispielsweise seit dieser Zeit die Rumänisch-Orthodoxe Metropolie für Zentral- und Nordeuropa, in Paris jene für West- und Südeuropa.
Auch im Bereich der Bildung zeigte sich die RumOK während der Zeit des Patriarchen Teoctist äußerst dynamisch. Der obligatorische Religionsunterricht wurde in die staatlichen Schulen wieder eingeführt. Zudem wurden sämtliche Bildungsstätten für Theologinnen und Theologen – mit vielen neuen Fakultäten, Priesterseminaren, Klosterschulen – ausgebaut und ins staatliche Bildungssystem eingeschrieben.[3] Hinzu kamen unzählige berufliche Ausbildungsmöglichkeiten für theologische Sozialassistenten, für Restauratoren und Denkmalpfleger kirchlicher Kunst und Architektur, Kantoren oder Krankenschwestern.
Der kirchliche Dienst im sozial-karitativen Bereich wurde ebenfalls ausgebaut. Innerhalb der patriarchalen Administration wurde ein Sektor für Diakonie, karitative und soziale Hilfe neu geschaffen. Die während der sozialistischen Herrschaft unterbundenen kirchlichen sozialen Einrichtungen, Verbände und Vereine konnten ihre Tätigkeiten nun wieder aufnehmen. Militär- und Gefängnisseelsorge wurden wieder eingeführt. Die größten staatlichen Krankenhäuser und Kliniken bekamen eigene Kapellen oder gar Kirchen mit eigenen Krankenhauspriestern. Die diakonische Arbeit wurde ausgebaut, von der Armenspeisung bis hin zu Anstalten für alleinerziehende Mütter und Waisenkinder.
Politik und Orthodoxie
Auch bei der Förderung der nationalen Idee war die RumOK unter Patriarch Teoctist aktiv. 1992 errichtete sie in der ex-sowjetischen Republik Moldau die Metropolie von Bessarabien und mischte sich somit in die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats ein – eine Jurisdiktion, die allerdings sehr fraglich ist und im 19. Jahrhundert auf nicht-kanonische Art und Weise zustande gekommen war.[4] Kurz, die Metropolie von Bessarabien wurde gegründet, um dem russischen religiösen Einfluss in der Nachbarrepublik entgegenzuwirken.
Bereits damals bestand in der rumänischen Gesellschaft die Hoffnung – und seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird sie immer stärker –, dass die Republik Moldau schließlich wieder Teil Rumäniens wird, wie es in der Zwischenkriegszeit der Fall war. Die Gründung der kirchlichen Institution in einem anderen Land führte zu einem zehnjährigen Konflikt zwischen der neuen Metropolie und mehreren moldauischen Regierungen. Gespannte staatliche und kirchliche Beziehungen zwischen Bukarest und Chișinău und ähnlich heikle Beziehungen zwischen dem rumänischen Patriarchat und dem Patriarchat von Moskau dauern bis heute an. Was jedoch die aktuelle proeuropäische Annäherungspolitik unter der moldauischen Präsidentin Maia Sandu nicht hindert, sondern im Gegenteil befeuert. Sandu gehört einer Generation moldauischer Bürger an, die ihre Ausbildung in Rumänien erhalten hat, wobei sie auch die gemeinsame nationalen Zugehörigkeit von Moldauern und Rumänen verinnerlichte. In diesem Sinne arbeiten die moldauischen Behörden unter Sandu an der Verringerung des russischen Einflusses im Land, z. B. durch Anbindung der Republik Moldau an die Energie-Ressourcen Rumäniens, durch Ausweisung russischer Diplomaten, durch den Import westlicher Militärausrüstung und durch die Favorisierung der Metropolie von Bessarabien.
Das Engagement der RumOK im sozialen und symbolisch nationalen Bereich bescherte der Institution große Anerkennung in der Bevölkerung. Beim Tod von Patriarch Teoctist 2007 führte die RumOK die Popularitätsumfragen mit ca. 84 Prozent der Befragten an.
Unter Patriarch Daniel (Ciobotea) hat sich die RumOK für ein anderes Modell der Beziehungen zwischen Kirche und Staat entschieden, ein partnerschaftliches Modell, bei dem Kirche und Staat gleichberechtigt an der Förderung des sozialen Wohlergehens mitwirken. Statt nach ausdrücklicher Privilegierung der RumOK in Konkurrenz zu anderen Konfessionen und Religionen durch den Staat zu streben, wie es zur Zeit Teoctist der Fall gewesen war, entschied sich der neue Patriarch für eine pragmatische Zusammenarbeit mit staatlichen Strukturen. Die Kirche bewegt sich eher in die Richtung eines korporatistischen Organismus mit starker steuerlicher Zentralisierung, einer Erhöhung der Ausgaben sowie der Erschließung neuer Geldquellen. Ein eigener Medienkonzern, eine Agentur für organisierte Pilgerfahrten und eine eigene Verbrauchsindustrie für kirchlichen Bedarf (Kerzen, Eucharistie-Wein, Bücher, Ikonen, liturgische Bekleidung und Geschirr) verschaffen dem Haushalt der Kirche beträchtliche finanzielle Mittel. Diese Mittel werden von Staat und Kommunen aufgestockt, denn insbesondere während der Wahlkampagnen ist es der politischen Klasse wichtig, als Förderer der Kirche zu erscheinen. Unter Patriarch Daniel ist die gute Zusammenarbeit der Kirche mit den staatlichen Behörden nicht nur fortgesetzt, sondern intensiviert worden. Das finanzielle Potential der Kirche, das auf riesigem Eigentum und steuerlichen Erlässen beruht, kommt unter anderem großen Projekten nationaler Tragweite zugute.
Ein solches Projekt ist der nicht-kritikfreie Bau der Catedrala Mântuirii Neamului, von dem auch deutsche Medien ausführlich berichteten.[5] Eine „Kathedrale der Erlösung des Volkes“ war in Rumänien seit dem Jahr 1925, als die rumänische Orthodoxie zum Patriarchat wurde, geplant. Patriarch Teoctist hatte die ersten Schritte unternommen – nach viel Hin und Her das Grundstück erworben und den Grundstein geweiht –, während Patriarch Daniel den eigentlichen Bau des Gotteshauses verwirklichte. Die Kathedrale ist mit 120 m Länge, 70 m Breite und 120 m Höhe das größte orthodoxe Kirchengebäude weltweit. Es ist ein Bau der Superlative: Er besitzt beispielsweise eine Glocke von über 25 Tonnen Gewicht und übertrifft somit die Petersglocke des Kölner Domes als größte freischwingende Kirchenglocke der Welt. Die Finanzierung wurde vom Patriarchat übernommen, jedoch mit Kofinanzierung durch Großspender und den rumänischen Staat. Bei der Einweihung der Kathedrale 2018 waren 40 000 Gläubige zugegen, obwohl in der Kirche selbst nur 5 000 Platz hatten. Der Ökumenische Patriarch Bartholomäus konzelebrierte.[6]
Die Kathedrale ist ein prestigeträchtiges Projekt, in dem sich Politik und Orthodoxie die Hand reichen im Namen der rumänischen Nation, als ideale Verbindung von ethnischem Rumänentum und orthodoxem Glauben. Die Kathedrale steht in unmittelbarer Nähe des Parlamentspalastes, der in den 1980er Jahren vom Diktator Nicolae Ceaușescu gebaut worden war. In einer symbolischen Geste überragt die neue Kathedrale dessen Palast und will damit zeigen, dass der Glaube die atheistische Vergangenheit des Landes besiegt hat. Die Bauarbeiten begannen am 3. September 2010. Die Fertigstellung war für Ende 2018 geplant, aber noch immer wird an dem Gotteshaus gebaut. Am 23. November 2022 berichtete der rumänische Sender „Pro TV“, dass die Baukosten bis anhin ca. 200 Millionen Euro betrugen, von denen weit über 70 Prozent aus Steuergeldern kamen.[7]
Soziale Projekte und Initiativen
Doch fließt das Geld der rumänischen Kirche nicht nur in symbolische Monumente. Das vom Patriarchen Teoctist angelegte Netzwerk von medizinischen und sozialen Einrichtungen wird unter Patriarch Daniel weiter ausgebaut. Im Jahr 2015 berichtete die patriarchale Verwaltung von 150 Tafeleinrichtungen und Bäckereien, 52 Kliniken und Apotheken, 97 Einrichtungen für Kinderbetreuung, 16 Begegnungs- und Freizeitzentren für Senioren, 50 Altersheimen, 25 Stadttreffpunkten, 37 Familienzentren, 40 Kindergärten und Horteinrichtungen, zwei Bildungseinrichtungen für Erwachsene sowie 54 weiteren Ausbildungseinrichtungen.[8]
Die RumOK unter Patriarch Daniel war allerdings auch an problematischen Projekten beteiligt. Im Jahr 2016 legte eine von der RumOK initiierte Bürgerinitiative namens „Die Koalition für die Familie“ (Coaliția pentru Familie) dem Parlament über drei Millionen Unterschriften von Bürgern vor und beantragte eine Änderung der Verfassung, um den Begriff der „Familie“ neu zu definieren. Die rumänische Verfassung, die 1991 verabschiedet worden war, definierte „Familie“ wie folgt: „Die Familie beruht auf der in freier Zustimmung geschlossenen Ehe zwischen den Gatten, auf ihrer Gleichheit und auf dem Recht und der Pflicht der Eltern, die Erziehung, Bildung und Anweisung von Kindern zu gewährleisten.“[9] Die Initiatoren des Änderungsantrags wollten, dass der Verfassungstext explizit enthält, dass die Familie auf der in freier Zustimmung geschlossenen Ehe zwischen einem Mann und einer Frau beruht.
Laut dem Verfassungsgericht Rumäniens erfüllte die Initiative die rechtlichen Voraussetzungen. Das Parlament beschloss mit überwältigender Mehrheit, ein Referendum über die Änderung der Verfassung abzuhalten. Die Frage war, ob die Wähler der Änderung der Definition von „Familie“ zustimmen oder nicht. Das Referendum scheiterte jedoch letztendlich, allerdings nicht, weil die Wähler die Änderung der Verfassung abgelehnt hätten, sondern weil die Mindestbeteiligung von 30 Prozent der Wahlberechtigten nicht erreicht wurde. Warum die Initiative in einer Kultur, die von patriarchalen und religiösen Werten geprägt ist, scheiterte, darüber lässt sich nur spekulieren. Die meisten meinen, es liege daran, dass das ursprünglich rein kirchliche Projekt zu einem politischen Projekt der höchst umstrittenen Partei der rumänischen Sozialdemokraten umfunktioniert wurde. Die Partei, die ihren Rückhalt in der Bevölkerung teilweise wegen Korruption, Europa-Kritik und pro-russischer Haltung verloren hatte, erhoffte sich von diesem demagogisch-populistischen Projekt neue Popularität. Die Rumänen, die trotz ihrer starken Religiosität doch sehr Europa-affin sind, haben diese merkwürdige Verbindung zwischen der rumänischen Linken und der konservativen RumOK durch Ignorieren bestraft. Ebenfalls im Bereich des Spekulativen bleibt, „was-wäre-wenn“ die RumOK die Änderung der Verfassung in Sachen Familie als Verbindung zwischen Mann und Frau allein in Angriff genommen hätte? Hätte die Kirche die Modifikation mit moralischen Werten der Orthodoxie und der rumänischen Tradition untermauert, hätte sie die Änderung im Referendum womöglich durchboxen können, statt es als anti-westliches politisches Projekt einer Europa-skeptischen Partei kompromittiert zu sehen.
Wiedererstarkte Kirche
In den 1990er Jahren sah sich die RumOK mit großen Herausforderungen konfrontiert, als sie sich mit ihrer Vergangenheit unter dem kommunistischen Regime auseinandersetzen musste. Trotz anfänglicher destabilisierender Umwälzungen mit dem Rücktritt und anschließenden Comeback von Patriarch Teoctist hat sich die RumOK in der postkommunistischen Zeit doch gut durchgesetzt, was nicht zuletzt auf die tief verwurzelte Religiosität und Kirchentreue der Gläubigen zurückzuführen ist, die ihr Rumänen-Sein nicht von der Zugehörigkeit zur rumänischen Orthodoxie abkoppeln wollen.
Der verpflichtende Religionsunterricht an öffentlichen Schulen war ein mächtiges Mittel, das Nationsnarrativ „Ein Volk, eine Kirche, ein Land“ bereits in den jungen Köpfen der Schüler gedeihen zu lassen. Auf allen voruniversitären Ebenen entstand somit eine Art moralische Wiedergutmachung, die der rumänische Staat den Kirchen im Allgemeinen und der orthodoxen Kirche insbesondere für das angeblich durch die kommunistische Indoktrination entstandene moralische Vakuum „schuldete“. Ein weiterer Bereich, in dem sich die RumOK hervorgetan hat, sind ihre privilegierten sozialen und politischen Partnerschaften mit dem Staat, die in der „Kathedrale der Erlösung des Volkes“ ihren symbolischen Niederschlag finden.
Die Kirche ist in Rumänien mächtig, das belegen auch statistische Daten. Ihr gesellschaftliches Engagement verschafft ihr Popularität und implizit politischen Einfluss. Sie wird auch in der Weltorthodoxie beachtet; mit ihren ca. 25 Mio. Gläubigen weltweit ist sie die zweitgrößte orthodoxe Kirche. Im ukrainischen Kirchenkonflikt zwischen dem Moskauer und dem Ökumenischen Patriarchat wahrt sie eine neutrale Äquidistanz zu den beiden streitenden Parteien und will offensichtlich nicht in den Konflikt involviert werden. Dies hängt auch mit der eigenen Agenda der Religionspolitik in der Republik Moldau zusammen: Die RumOK will die moldauische Kirche einschließlich der transnistrischen Diözesen in ihre eigene Jurisdiktion überführen und sie nicht nach dem ukrainischen Modell auf den Weg der Autonomie/Autokephalie vorantreiben.
Anmerkungen:
[1]) Grigore, Mihai-D.: Als die Rumänisch-Orthodoxe Kirche groß wurde. Das Jahr 1918 und die Etablierung der nationalen Kirchlichkeit. In: Kirchliche Zeitgeschichte/Contemporary Church History 35, 2 (2023), S. 310–328.
[2]) Vgl. Grigore, Mihai-Dumitru: Positionen zu den Menschenrechten in der rumänischen Orthodoxie. In: Makrides, Vasilios N.; Wasmuth, Jennifer; Kube, Stefan (Hg.): Christentum und Menschenrechte in Europa. Perspektiven und Debatten in Ost und West. Frankfurt/M. 2016, S. 137–148.
[3]) Pătuleanu, Constantin: Religionsunterricht und theologische Ausbildung in Rumänien. In: RGOW 49, 9 (2021), S. 20–22.
[4]) Grigore, Mihai-D.: Orthodox Brothers: Ecclesiastical Jurisdiction, National Identity and Conflict between the Romanian and Russian Orthodox Churches in Moldavia. In: Wood, John Carter (ed.), Christianity and National Identity in Twentieth-Century Europe. Göttingen 2016, S. 91–112, hier S. 93–99; Ders.: Gespaltene Orthodoxie in der Republik Moldau. In: RGOW 46, 11 (2018), S. 11–14.
[5]) https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/die-neue-nationalkathedrale-in-bukarest-soll-sogar-den-palast-uebertrumpfen-15437319.html
[6]) https://www.domradio.de/artikel/weihe-der-kathedrale-zur-erloesung-der-nation-bukarest
[7]) https://stirileprotv.ro/stiri/actualitate/pana-acum-catedrala-mantuirii-neamului-a-costat-200-de-milioane-euro-300-de-sfinti-din-piatra-vor-fi-suflati-in-aur.html
[8]) https://patriarhia.ro/images/pdf_2016/Referat_sinteza_Social_Filantropic_CNB_2016.pdf; vgl. die interaktive Karte: https://social-filantropic.patriarhia.ro/
[9]) https://www.cdep.ro/pls/dic/site2015.page?den=act2_1&par1=2#t2c2s0sba48
Weiterführende Literatur:
Henkel, Jürgen: Einführung in Geschichte und kirchliches Leben in der Rumänischen Orthodoxen Kirche. Münster 2007; Velicu, Adrian: The Orthodox Church and National Identity in Post-Communist Romania. Cham 2020.
Mihai-D. Grigore, PD Dr., Assoziierter Wissenschaftler der Gerda Henkel Stiftung am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz.
Bild: Parlamentspalast und Kathedrale der Erlösung des Volkes in Bukarest. (Foto: Stefan Kube)