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Den ersten Entwurf des Ukraine-Dokuments lehnte die russische Delegation an der Vollversammlung des ÖRK ab; bei der zweiten Abstimmung enthielt sie sich (Foto: Albin Hillert/WCC).

Frieden im ökumenischen Dialog mit der Russischen Orthodoxe Kirche

RGOW 03/2023
Regina Elsner

Zu Beginn der Teilnahme der Russischen Orthodoxen Kirche an ökumenischen Dialogen spielte die Friedensthematik unter dem Vorzeichen des Kalten Kriegs eine wichtige Rolle. Dennoch entwickelte die ROK keine eigenständige theologische Position zum Thema Frieden, das nach dem Ende der Sowjetunion denn auch aus den ökumenischen Gesprächen verschwand. Spätestens seit den 2010er Jahren und angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine erst recht zeigt sich die friedensethische Leerstelle im ökumenischen Dialog mit der ROK deutlich.

Als die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) zu Beginn der 1950er Jahre aktive Teilnehmerin ökumenischer Begegnungen wurde, bestimmte der Kalte Krieg den Alltag der europäischen Gesellschaften. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hatte 1948 auf seiner Gründungsversammlung den Satz „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ als Leitmotiv in die ökumenische Bewegung geschrieben, und alle Kirchen, die sich seit den 1920er Jahren für eine größere Nähe der christlichen Kirchen engagierten, verstanden dies als notwendigen Beitrag der Kirchen zur Bewahrung oder Wiederherstellung von Frieden. Somit lässt sich die ökumenische Bewegung dezidiert als ein Friedensprojekt bezeichnen.

Die ROK im sowjetischen „Kampf für den Frieden“
Die ROK befand sich in den frühen 1950er Jahren in einer Situation wachsender Vereinnahmung durch die politischen Eliten der Sowjetunion. Erst 1943 war ihr durch Josef Stalin eine neue Existenz nach Jahren der gezielten Unterdrückung und Verfolgung zugebilligt worden, unter der Bedingung einer Kooperation mit den staatlichen Organen. Zu den wichtigsten Elementen der neuen Tätigkeit der Kirche gehörte die Einrichtung des Amtes für externe Kirchenbeziehungen am 4. April 1946. Während die Unterdrückung der Gläubigen kaum nachließ, wurde die Kirchenleitung zu einem wichtigen Teil der sowjetischen Auslandsarbeit, für die die Themen Friedenssicherung und Abrüstung eine zentrale Rolle im Kampf der Blöcke spielten. Noch bevor die ROK ökumenische Gespräche aufnahm, war sie Teil der sowjetischen Initiative internationaler Friedenskongresse, die ausdrücklich dazu gedacht waren, die Sowjetunion und den gesamten sozialistischen Block als die wahren Friedenskräfte zu positionieren.

Die Friedensbemühungen der christlichen Kirchen in Europa wurden damit zum wichtigsten Rahmen aller ökumenischen Bemühungen der ROK im Kalten Krieg, auch mit dem Ziel, die westlichen kirchlichen Organisationen zu schwächen und schließlich zu unterwandern.[1] Die ersten ökumenischen Kontakte entstanden zwischen den evangelischen Kirchen im geteilten Deutschland und der ROK in den 1950er Jahren.[2] Ein wichtiger Auslöser dieser Gespräche war der Wunsch deutscher Kirchenvertreter wie Martin Niemöller nach einer Versöhnung mit den Menschen in der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieses Bedürfnis der Wiedergutmachung und der besonderen Verantwortung der deutschen Kirchen für gute Beziehungen zu den Kirchen in der Sowjetunion sollte bis in das 21. Jahrhundert hinein prägend bleiben.

Nach ersten inoffiziellen Begegnungen kam es in den 1960er Jahren zu ersten offiziellen Gesprächen zwischen der ROK und den beiden deutschen evangelischen Kirchgemeinschaften, die immer drei Dimensionen hatten: den theologischen Diskurs über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Glaubenslehre, den gesellschaftlichen bzw. sozialethischen Diskurs über den Beitrag der Kirchen zur jeweiligen Gesellschaft, und schließlich die Begegnung an sich als Teil der Versöhnungsarbeit über den Eisernen Vorhang hinweg. Während im Dialog mit der Kirche in Westdeutschland die theologischen Fragen im Vordergrund standen, waren die Gespräche mit der Kirche in der DDR von sozialen Themen und der Rolle der Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft geprägt. Overmeyer beschreibt dazu sehr klar die vor allem von den Kirchenvertretern aus der DDR bewusst wahrgenommene manipulative Absicht des Dialogs und den Wunsch der sozialistischen Regierungen, über die Kirchen die Friedensdebatte kontrollieren zu können.

Zwischen Politik und Theologie

Die Beiträge der ROK, die für die Gespräche mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und dem Bund Evangelischer Kirchen in der DDR nahezu vollständig dokumentiert sind, machen deutlich, dass die Kirche aufgrund ihrer langen Unterdrückung und der Emigration keine theologischen Ressourcen hatte, um sich tiefgreifend mit den sozialethischen Aspekten der Friedensthematik aus orthodoxer Sicht auseinanderzusetzen. Viele Vorträge erinnern an die gleichzeitigen Slogans des sowjetischen Friedenskampfes, die kirchlich durch biblisch und liturgisch begründete Vorstellungen einer gerechten und friedlichen Welt eingebunden wurden. Während die politische Einflussnahme auf die Inhalte und Schwerpunktsetzungen der russischen Delegation in den Gesprächen auf der deutschen Seite stets diskutiert wurde und also unumstritten eine Rolle spielte, ist die Frage nach der entgegengesetzten Wirkung kaum erforscht. Schlagworte wie Diskriminierungsfreiheit, Abrüstung oder soziale Gerechtigkeit sowie allgemein die Frage nach dem gesellschaftlichen Dienst der Kirche, dem „Dienst an der Menschheit in den Bedingungen irdischer Wirklichkeit“ (Bischof Pitirim (Netschajev) von Volokolamsk auf dem zweiten Gespräch von Arnoldshain 1963) waren für die Theologie der ROK vollkommen neue Herausforderungen und forderten eine theologische Reaktion, die über das Wiederholen staatlicher Vorgaben hinausgehen musste.

Es bleibt unklar, wie und ob die Ergebnisse der Gespräche etwa in der theologischen Ausbildung rezipiert wurden, ein breiteres Interesse an sozialethische Fragestellungen insgesamt war nicht zu beobachten. Hinzu kam, dass die Teilnehmenden aller internationaler Gespräche oft über viele Jahre die gleichen Personen waren und quasi eine „geschlossene Gruppe“ von religiösen „Reisekadern“[3] darstellten. Die Frage nach der Rezeption innerhalb der ROK ließe sich ebenso an die Prozesse und Ergebnisse ihrer Teilnahme an den Treffen des ÖRK oder mit Blick auf den bilateralen Dialog zwischen der ROK und der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Finnland[4] stellen – auch hier war Frieden im Kalten Krieg ein bedeutendes sozialethisches Thema. Besonders in der Zeit, als Bischof (und später Metropolit) Nikodim (Rotov) als Vorsitzender des Außenamtes der ROK ab 1960 in den ökumenischen Beziehungen aktiv wurde, erhielten sozialethische Themen und vor allem das Friedensthema einen festen Platz in den Gesprächen des ÖRK.

Auch in den Begegnungen mit der katholischen Kirche und den innerorthodoxen Vorbereitungen auf das panorthodoxe Konzil seit 1961 war das „christliche soziale Denken“ bzw. die „friedensstiftende Pflicht“[5] der Schwerpunkt der Mitarbeit der ROK. Im Namen des gemeinsamen Kampfes für den Frieden warb Nikodim für eine Zusammenarbeit mit allen gesellschaftlichen Kräften, auch den Ungetauften und Andersgläubigen.[6] Durch die starke Orientierung der russisch-orthodoxen Position an der sowjetischen Politik erhielten konkrete politische Themen – Gerechtigkeitsdiskurse im Verhältnis zwischen der sog. ersten und dritten Welt, atomare Abrüstung oder Apartheid – eine für die orthodoxen Kirchen ungewöhnlich starke Fokussierung, die sich bis in die Gegenwart etwa bei der Ausarbeitung des Dokuments des panorthodoxen Konzils auf Kreta 2016 über „Die Mission der Kirche in der heutigen Welt“ widerspiegelt.[7]

Dennoch fällt auf, dass die ökumenischen Gespräche zwischen der ROK und anderen Kirchen immer vorrangig Gespräche zu ekklesiologischen oder sakramententheologischen Fragen blieben. Die Sozialethik spielte immer eine zweitrangige Rolle, was auch durch die Balance zwischen dem Einfluss der ROK und den theologischen Prioritäten anderer Kirchen sowie der ökumenischen Bewegung im Ganzen zu erklären ist. Als die ROK in den 1980er Jahren im Anschluss an die Veröffentlichung des Friedensworts „Gerechtigkeit schafft Frieden“ (1983) durch die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) einen direkten Dialog mit der DBK ausdrücklich zum Thema Frieden anstrebte, versuchte die katholische Seite dieses Thema sogar gezielt auszubremsen, um einer Instrumentalisierung für die politischen Zwecke der sowjetischen Regierung vorzubeugen.[8] So wurde die Friedensthematik von der ROK vor allem in den selbst initiierten oder geförderten Friedenskonferenzen im sozialistischen Block und besonders im Kontakt mit den deutschen evangelischen Kirchen verhandelt. Dort unterstrich die ROK wiederum die Bedeutung der christlichen Friedensbotschaft und legitimierte so die Rolle von Kirchen im sozialistischen Gesellschaftssystem. Eine eigenständige Theologie des Friedens wurde nie entwickelt, und es gab nie eine eigenständige theologische Auseinandersetzung mit Frieden durch russische Theolog:innen jenseits der ökumenischen Dialoge.

Ende des Kalten Kriegs – Ende der Ökumene des Friedens?
Wie wenig diese Haltung, die teilweise bis hin zum Pazifismus reichte, durch eine theologische sozialethische Fundierung gestützt war, wurde mit dem Ende des Kalten Krieges deutlich. Fast schlagartig verschwand das Thema Frieden sowie andere damit verbundene sozialethische Themen aus den ökumenischen Dialogen.[9] Martin Illert beschreibt eindrücklich den allgemeineren Wandel der Ausrichtung im Dialog der EKD mit der ROK: „Es ist bemerkenswert, dass die Theologie der Transformation, die in der Epoche der Stagnation hervorgetreten war, im Augenblick des gesellschaftlichen und politischen Umbruchs in den Hintergrund trat. Die orthodoxe Kirche nahm die theologische Rede von der ‚Umgestaltung‘ inmitten des gesellschaftlichen und politischen Umbruchs nicht auf, sondern arbeitete zunehmend mit statistischen Konzepten.“[10]

Tatsächlich schien es so, dass die sozialethischen Impulse des Kalten Krieges ausschließlich dem Druck des sozialistischen Systems zuzuschreiben waren, da die ROK so ihre gesellschaftliche Daseinsberechtigung unter Beweis stellen musste. In der religiösen Renaissance in den 1990er Jahren erübrigte sich diese Notwendigkeit, und die Kirche konzentrierte sich auf Fragen der Wiederherstellung ihrer Strukturen und Infrastruktur, Themen der moralischen Orientierung der Menschen und schließlich auf die Konsolidierung eines abgesicherten Staat-Kirche-Verhältnisses. Dies hatte Auswirkungen auf die ökumenischen Beziehungen. Zum einen zeigte die ROK ein schwindendes aktives Interesse an den theologischen Dialogen und hatte keine Probleme, etwa den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche und mit der EKD kurzfristig auszusetzen, wenn es zu praktischen Konflikten (um katholische Bistümer in Russland 2002 oder um die Frauenordination in der EKD 2009) kam.

Zum anderen schienen auch die nicht-orthodoxen Gesprächspartner dem Friedensthema nach dem Fall des Eisernen Vorhangs keine entscheidende ökumenische Bedeutung im Unterschied zu Fragen der Kirchenstruktur und der Sakramente mehr zuzumessen. Neue Anstöße für die ökumenische Friedensethik gaben zwar die Kriege im Nahen Osten und auf dem Balkan, was jedoch kaum zu einer Wiederaufnahme des Themas generell im Dialog mit den orthodoxen Kirchen führte. Ganz im Gegenteil ließ sich eine Beschränkung des Konzepts einer „ökumenischen Friedensethik“ auf die katholischen, evangelischen und Friedenskirchen in Westeuropa und dem globalen Süden beobachten.

Dazu trug auch bei, dass nach 1990 teilweise eine Aufarbeitung der politischen Instrumentalisierung der ökumenischen Dialoge durch die Sowjetunion begann, so dass die Konzentration auf theologische und historische Themen im Gespräch mit der osteuropäischen Orthodoxie auch der Skepsis vor einer übermäßigen Politisierung von sozialethischen Themen entsprach. Die Hinwendung zu moralischen Fragen in Form einer angestrebten „strategischen Allianz“ zwischen römisch-katholischer Kirche und ROK oder in den ökumenischen konservativen Netzwerken zwischen ROK und evangelikalen Gruppierungen spiegelt schließlich die Tendenz wider, Abgrenzungen und Bedrohungsszenarien aufrechtzuerhalten, die in gewisser Weise dem Blockdenken des Kalten Krieges entsprechen.

Als unter der Ägide des ÖRK in den 2000er Jahren ein neuer friedensethischer Dialog mit den orthodoxen Kirchen angestoßen wurde, zeigten sich die Schwierigkeiten, eine gemeinsame theologische Sprache dafür zu finden. Die Konsultationen zum „Gerechten Frieden“ des ÖRK 2007 und 2010 schlossen auch Vertreter der ROK mit ein. Die ROK hatte inzwischen mit der Sozialkonzeption von 2000 einige Grundlagen zu ihrer Vorstellung von Krieg und Frieden vorgelegt, auf die sich Alexander Vasjutin, der Vertreter der ROK in der Konsultation, bezog. Demnach sei das Konzept des „Gerechten Friedens“ für die ROK nicht akzeptabel, da dessen Gerechtigkeitsvorstellung säkular und politisch statt theologisch fundiert sei.[11] Seine Hauptkritik zielte auf die Bedeutung der individuellen Menschenrechte für die Idee des gerechten Friedens. Im Unterschied dazu betonte die ROK u. a. in ihrer Sozialkonzeption, dass moralische Werte der Gemeinschaft höher stehen als individuelle Freiheiten. Der wahre Kampf um Gerechtigkeit schließe den Kampf gegen das moralisch Böse ein, und die Kirche beansprucht die Beurteilung von Kriegen nach eben jenen moralischen Werten.[12] Die reservierte Haltung Vasjutins in dem Konsultationsprozess illustriert den Stand des ökumenischen Gesprächs mit der ROK über friedensethische Themen bis heute: alle sozialethischen Themen wurden in den vergangenen 30 Jahren durch individualethische Fragen von Moral und sog. traditionellen Werten verdrängt bzw. absorbiert. Spätestens seit der ÖRK-Konsultation zum Gerechten Frieden gab es keine gezielte thematische Beschäftigung mit Friedensethik in einem offiziellen Dialog mit der ROK.

Ökumenische Sackgasse?
Angesichts der friedensethischen Leerstelle in den Gesprächen mit der ROK kann die Ratlosigkeit der ökumenischen Gemeinschaft im Umgang mit der ROK nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht überraschen. Es scheint, als hätten die ökumenischen Partner nicht wahrgenommen, dass die ROK die im Kalten Krieg verhandelten Friedensthemen fast nahtlos in die sog. „culture wars“, die Kriege zwischen liberalen und traditionellen Werten übertragen hatte. Es fehlte in den ökumenischen Gesprächen damit ein tiefergehender Konsens darüber, was gemeint ist, wenn von Frieden, Gerechtigkeit und Krieg gesprochen wird. Die Diskussion darüber wurde vermieden. Die in der westlichen Friedensethik diskutierten Konzepte wie „Frieden durch Recht“, Transitional Justice, Vergangenheitsaufarbeitung oder Schutzverantwortung tauchten in den ökumenischen Gesprächen ebenso wenig auf wie die zunehmende Militarisierung des Themas „traditionelle Werte“ in Russland. 2007 wurde der heilige Seraphim von Sarow zum Schutzpatron der Nuklearstreitkräfte Russlands erhoben, der Russland beim Schutz der eigenen Zivilisation schützen sollte. Seit 2012, als die offene Unterstützung der Leitung der ROK für die repressive Politik Russlands gegen die eigene Zivilbevölkerung weithin sichtbar wurde, hätten individuelle Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Populismus oder strukturelle Gewalt ökumenisch thematisiert werden können bzw. müssen. Selbst nach 2014 und der Unterstützung der ROK für die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim wurden Fragen des Krieges nicht in den ökumenischen Dialogen besprochen.

Das eher spiritualisierte Verständnis von Frieden, was die ökumenischen Thematisierungen durchzieht, kam aber auch dem Bestreben entgegen, die Debatten zu entpolitisieren. Der ROK wurde zugebilligt, die kanonische Deutungshoheit über die Ukraine und Belarus zu haben, ohne die politischen Implikationen dieser Vereinnahmung wahrzunehmen. Die ROK nutzte die Angst der ökumenischen Bewegung vor einer Politisierung, die man gerade nach den Erfahrungen des Kalten Krieges vermeiden wollte. Schließlich betonte die ökumenische Bewegung die Gemeinschaft der christlichen Kirchen als Abgrenzung gegen den wachsenden Säkularismus, christlicher Frieden sollte sich von weltlichen, politischen Vorstellungen unterscheiden. Damit unterstützte man jedoch gleichzeitig diejenigen Bedrohungsszenarien, die durch die ROK zunehmend militärisch aufgeladen wurden.

Das Scheitern der ökumenischen Sprache über Krieg und Frieden zeigte sich zuletzt am deutlichsten bei dem Besuch des damaligen Generalsekretärs des ÖRK, Ioan Sauca, in Moskau im Oktober 2022. Er hatte, ähnlich wie Papst Franziskus, zuvor mehrfach vor der „Sprache der Politik“ in kirchlichen Gesprächen gewarnt. Beide setzten dann allerdings weiterhin auf ein Gespräch mit der – zutiefst politisierten – Kirchenleitung der ROK, die wie bereits im Kalten Krieg eine geschlossene Elite darstellt und deren Funktion als Repräsentanz der Glaubensgemeinschaft in diesem Krieg hinterfragt werden muss. Die Sprache über den Krieg bleibt dabei auf so deklarativer Ebene, dass die Gesprächspartner problemlos eine Einigung finden können, die sowohl für die russische Seite als auch für den ÖRK kommunizierbar ist: „Krieg kann nicht heilig sein.“[13] Dort, wo eine differenziertere Sprache erkämpft wurde, wie bei dem Schlussstatement der ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe im September 2022, verweigerte die ROK am Ende durch Enthaltung ihre Zustimmung, so dass diese scheinbaren Konsenspapiere keinesfalls das gewünschte Hoffnungszeichen sind. Solange Fragen von Wahrheit, Ideologie, das Wissen der Kirche um Kriegsverbrechen, die fehlende Kritik an einem terroristischen Staat und die innerkirchlichen Unterdrückungsmechanismen nicht offensiv angesprochen werden, verfehlt das ökumenische Gespräch sein Ziel, gemeinsam christliches Zeugnis abzulegen. Ohne die Thematisierung dieser Fragen würde sich dann jedoch ein ökumenischer Dialog über andere Themen verbieten.

Anmerkungen:
[1])    Livcov, Viktor: RPC i ėkumeničeskaja dejatel’nost’ meždunarodnych prosovetskich organizacij. In: Vlast’ 1 (2008), S. 79–82.

[2])    Vgl. Overmeyer, Heiko: Frieden im Spannungsfeld zwischen Theologie und Politik. Die Friedensthematik in den bilateralen theologischen Gesprächen von Arnoldshain und Sagorsk. Frankfurt/M. 2005.

[3])    Beljakova, Nadezhda; Bremer, Thomas; Kunter, Katharina: „Es gibt keinen Gott!“ Kirchen und Kommunismus. Eine Konfliktgeschichte. Freiburg/Br. 2016, S. 128.

[4])    Vgl. dazu Hurskaninen, Heta: Ecumenical Social Ethics as the World Changed. Socio-Ethical Discussion in the Ecumenical Dialogue between the Russian Orthodox Church and the Evangelical Lutheran Church of Finland 1970–2008. Turku 2013; Kvist, Hans-Olof: Die Bedeutung der Friedensproblematik im Dialog zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands. In: Kirchliche Zeitgeschichte 4,1 (1991), S. 241–249.

[5])    Nikodim (Rotov): Zajavlenie glavy delegacii Russkoj Pravoslavnoj Cerkvi na vsepravoslavnym soveščanii, 24. 09. 1961, Rhodos. In: Sorokin, Vladimir (Hg.): Mitropolit Nikodim i vsepravoslavnoe edinstvo. St. Peterburg 2008, S. 19–31, hier S. 29.

[6])    Nikodim (Rotov): Sotrudničestvo kreščennych i nechristian v sovmestnom služenij blagu čelovečestva. In: Bogoslovskie Trudy 10 (1973), S. 156–159.

[7])    Vgl. Zur Entstehungsgeschichte des Dokuments Agadjanian, Alexander: The Orthodox Vision of the Modern World: Context, History, and Meaning of the Synodal Document on the Church Mission. In: Makrides, Vasilios; Rimestad, Sebastian (eds.): The Pan-Orthodox Council of 2016. A New Era for the Orthodox Church? Berlin 2021, S. 145–162.

[8])    Overmeyer, Heiko: The Issue of Peace in Ecumenical Dialogues During the Cold War and Its Implications for the Lives of Churches. In: Kirchliche Zeitgeschichte 19,1 (2006), S. 107–144, hier S. 108.

[9])    Vgl. zum russisch-finnischen Dialog Kvist, Bedeutung (Anm. 4), S. 242.

[10])   Illert, Martin: Dialog – Narration – Transformation. Die Dialoge der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR mit orthodoxen Kirchen seit 1959. Leipzig 2016, S. 128, 130.

[11])   Vasyutin, Alexander: Understanding the Concept of Just Peace in the Contemporary Teaching of the Russian Orthodox Church. In: Asfaw, Semegnish; Chehadeh, Alexios; Simion, Marian Gh. (eds.): Just Peace: Orthodox Perspectives. Geneva 2012, S. 261–272.

[12])   Elsner, Regina: Kontextuelle und essentielle Unterschiede orthodoxer Sozialethik. In: RGOW 48, 11 (2020), S. 15–18.

[13])   https://www.oikoumene.org/de/news/his-holiness-patriarch-kirill-wcc-acting-general-secretary-meet-in-moscow-agreeing-that-war-cannot-be-holy

Regina Elsner, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS), Berlin.

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