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Buchbesprechungen

RGOW 12/2024
Stefan Kube, Natalija Zenger, Regula Zwahlen

Vier Buchbesprechungen zu

Christian Lange u.a.: Die katholischen Ostkirchen;
Lyudmyla Ivanyuk: Das gesellschaftsdiakonische Engagement der Kirchen im Transformationsprozess der Ukraine;
Franziska Davies (Hg.): Die Ukraine in Europa;
Robert Rapljenović: Maxima Scandala in Ecclesia Catholica

Christian Lange, Dietmar W. Winkler, Karl Pinggéra, Hacik R. Gazer (Hg.)
Die katholischen Ostkirchen
Herkunft – Geschichte – Gegenwart
Freiburg/Br.: Verlag Herder 2024, 363 S.
ISBN 978-3-451-38200-0. € 28.–; CHF 41.90.

Am 21. November 1964 hat das Zweite Vatikanische Konzil das Ostkirchendekret Orientalium Ecclesiarum verabschiedet, das „den Status der katholischen Ostkirchen innerhalb der katholischen Kirchen“ stärkte und „eine Communio-Ekklesiologie ausdrückt, die zeigt, dass die katholische Kirche letztliche eine Gemeinschaft von Kirchen ist“ (S. 71). Mit katholischen Ostkirchen sind Kirchen gemeint, die aus östlichen Traditionen des Christentums entstanden, aber im Lauf der Geschichte eine „Union“ mit Rom eingegangen sind. Zum 60. Jahrestag des Ostkirchendekretes stellen 16 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die über 20 katholischen Ostkirchen in diesem lesenswerten Überblicks- und Nachschlagewerk vor.

Im ersten Teil des Buchs werden übergreifende Themen angesprochen, die alle katholischen Ostkirchen betreffen, u a. deren ekklesiologischer Status innerhalb der katholischen Kirche, das Eigenrecht der katholischen Ostkirchen (ecclesiae sui iuris) und deren liturgisches Erbe, die Beteiligung dieser Kirchen am ökumenischen Dialog sowie die Strukturen katholischer Ostkirchen im deutschsprachigen Raum. Mit Blick auf die katholischen Ostkirchen, deren Herkunftskontext der Nahe Osten ist und die in ihren Ursprungsregionen ernsthaft gefährdet sind, weist der Mitherausgeber Karl Pinggéra auf die Wichtigkeit der Diasporastrukturen im deutschsprachigen Raum hin: „Das hat zur Folge, dass die Erhaltung des eigenen liturgischen und geistlichen Erbes letztlich in der Diaspora gelingen muss. Die Seelsorgeeinheiten dieser Kirchen, so schwach sie momentan noch organisiert sein mögen, haben also eine besondere gesamtkirchliche Bedeutung und sollten von den lateinischen Diözesanbischöfen mit entsprechender Sorgfalt begleitet werden.“ (S. 146 f.)

Im zweiten Teil des Buches werden die einzelnen katholischen Ostkirchen, strukturiert nach ihrer kirchenrechtlichen und ekklesiologischen Stellung, vorgestellt. Zur Gruppe der Patriarchatskirchen zählen u. a. die Armenisch-Katholische Kirche, die Melkitische Griechisch-Katholische Kirche und die Koptisch-Katholische Kirche. Zu den Großerzbischöflichen Kirchen, die den Patriarchatskirchen rechtlich weitgehend gleichgestellt sind, gehören im östlichen Europa die Rumänische und die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche. Weitere Gruppen sind die Metropolitankirchen (u. a. die griechisch-katholischen Kirchen in der Slowakei und Ungarn), die Eparchie- und Exarchatskirchen, die unmittelbar dem Hl. Stuhl unterstellt sind (z. B. Eparchien von Križevci und Mukačevo) sowie katholische Ostkirchen ohne feste Hierarchie, wie die Apostolische Administration in Kasachstan und Zentralasien.

Stefan Kube

Lyudmyla Ivanyuk
Das gesellschaftsdiakonische Engagement der Kirchen im Transformationsprozess der Ukraine
(= Schriften zur Praktischen Theologie, Bd. 29)
Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2023, 471 S.
ISBN 978-3-339-13630-5; € 139.80.

Die Frage, welche Rolle die Kirchen und religiösen Organisationen sowie die ökumenische Kooperation bei der Schaffung von Frieden in der Ukraine spielen, steht in diesem Buch im Zentrum. Es handelt sich um eine Dissertation im Fachbereich Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, die die Autorin 2019 verteidigt hat. Die Forschungen wurden 2014 bis 2018 durchgeführt und konzentrieren sich auf einen Vergleich der sozialdiakonischen Engagements der drei damaligen größten Kirchen, der Ukrainischen Orthodoxen Kirche – Moskauer Patriarchat (UOK–MP), der Ukrainischen Orthodoxen Kirche – Kyjiwer Patriarchat (UOK–KP) und der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (UGKK). Obwohl sich die kirchliche Landschaft seither gewandelt hat, bietet die Studie eine breite Übersicht über die vor dem Krieg vorhandenen sozialdiakonischen Strukturen. Die Autorin zeigt, dass das kirchliche sozialdiakonische Engagement nach der „Orangen Revolution“ von 2004 und vor allem nach der „Revolution der Würde“ 2014 große Entwicklungsschübe erfahren hat, was sich auch im gesellschaftlichen Vertrauen in die Kirchen widerspiegelt (S. 156, 433).

In einem ersten Teil werden der ostkirchliche sozialdiakonische Ansatz der „Liturgie nach der Liturgie“ im Rahmen ökumenischer Kooperationen seit den 1960er Jahren sowie die karitativen Zugänge von drei Kirchenvätern präsentiert. Die unterschiedlichen Positionierungen der Kirchen gegenüber Staat und Zivilgesellschaft, die auch zu Hindernissen bei der ökumenischen Zusammenarbeit führen, werden im zweiten Teil auch mittels qualitativer Interviews mit Experten erörtert. Im dritten Teil nimmt die Autorin einen Vergleich der je vorhandenen Soziallehren in den Blick. Der umfangreiche vierte Teil stellt die sozialdiakonischen Tätigkeitsbereiche und Strukturen der drei Kirchen vor. Für alle neu sind die sog. „ATO-Zielgruppen“, womit die Betreuung der Einwohner und Binnenflüchtlinge der von Russland besetzten Gebieten gemeint ist, in denen seit 2014 die ukrainische „Antiterroristische Operation in der Ostukraine“ (ATO) wirkt. Stark ausgebaut wurde auch der Bereich der Militärseelsorge.

Im fünften Teil wird die positive praktische Erfahrung ökumenischer Kooperation auf dem Majdan und das große Potential konfessioneller Pluralität reflektiert, das laut der Autorin durch eine Institutionalisierung der ökumenischen Diakonie besser genutzt werden sollte (S. 439). Ivanyuk hat in dieser Studie beeindruckendes Material zusammengetragen, was ihr den Charakter eines nützlichen Nachschlagewerks verleiht.

Regula Zwahlen

Franziska Davies (Hg.)
Die Ukraine in Europa
Traum und Trauma einer Nation
Darmstadt: wbg 2023, 360 S.
ISBN 978-3-8062-4565-3. € 29.–; CHF 39.50.

Spätestens seit dem Beginn des umfassenden Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine und der daraus folgenden Aufmerksamkeit für die Ukraine ist klar geworden, wie dürftig das Wissen über die Ukraine im deutschsprachigen Raum ist. Die Ignoranz gegenüber der Ukraine hat laut der Herausgeberin Franziska Davies „strukturelle Gründe“ und eine „eigene Geschichte“ (S. 8). In Deutschland sei ein mystifizierend romantischer Blick auf Russland verbreitet, das außerdem als ebenbürtiger Partner anerkannt wurde und werde. Davies spricht dabei von einer „traditionellen deutschen Russland-Fixierung“, die „teilweise mit antiamerikanischen Verschwörungstheorien“ einhergehe (S. 16). Eine wichtige Rolle für diese aktuellen Konstellationen spielt das Erbe imperialer Politik, konstatiert Martin Aust. Dieses sei in Deutschland weniger offensichtlich als in Russland, wo vielfach eine Rückkehr zu imperialer Größe propagiert werde, aber trotzdem wirksam. „Denkmuster aus der Zeit der Imperiumsbildungen und des kolonialen Überlegenheitsgefühls gegenüber der Mitte des östlichen Europas“ hätten sich „in den Köpfen der Deutschen“ erhalten, führt Aust weiter aus (S. 80 f.). Es sei nun die Aufgabe von „Politik und Gesellschaft Deutschlands, in den Spiegel der Beziehungsgeschichte Deutschlands zu Ländern im östlichen Europa zu schauen, das dramatische Scheitern von 30 Jahren Russlandpolitik einzugestehen und zu einer neuen Politik anzusetzen“ (S. 81).

Der Essayband versammelt Beiträge von Forschenden, insbesondere Historikerinnen und Historikern, aus der Ukraine, Belarus, Deutschland und Polen, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Komplexität der ukrainischen Geschichte aufzeigen und sie in der europäischen Geschichte verorten. Dabei werden Themen wie die Ukraine in der Habsburgermonarchie, russischer und ukrainischer Nationalismus, die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine, die Geschichte der Krim oder der Kampf für die Demokratie in der Ukraine und in Belarus behandelt. Auch der Vereinbarung von Perejaslav von 1654, die von Russland als die Wiedervereinigung der beiden „Brudervölker“ inszeniert wird, ist ein Aufsatz gewidmet. Formal reichen die Beiträge von historischen Arbeiten über essayistische Texte bis zu einer Portraitsammlung von Ukrainerinnen, die vor dem Krieg nach Deutschland geflüchtet sind. Die Autorinnen und Autoren sind ausgewiesene Fachleute und ihre Texte geeignet, Wissenslücken zu schließen und zu einem vertiefteren Verständnis der Geschichte und Gegenwart der Ukraine beizutragen. Es ist zu hoffen, dass das Buch nicht nur Fachkreise, sondern ein möglichst breites Publikum erreicht.

Natalija Zenger

Robert Rapljenović
Maxima Scandala in Ecclesia Catholica
Los-von-Rom-Bewegungen des Fin de Siècle im Spannungsfeld zwischen Nationalismus, Fortschrittsglauben und Identitätssuche
(= Eastern Church Identities, Bd. 4)
Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh, Brill 2020, 552 S,
ISBN 978-3-506-70477-1. € 162.62; CHF 203.–.

Der Titel dieses Buches, das 2018 als Dissertation an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt angenommen wurde, geht auf eine Äußerung von Julius Drohobeczky, dem griechisch-katholischen Bischof von Križevci (1891–1914/17) im heutigen Kroatien, zurück. Damit kommentierte er den über zehnjährigen Konflikt (1899–1910) um die Kirchgemeinde Ricmanje im Hinterland von Triest, die vom römisch-katholischen zum griechisch-katholischen Ritus wechseln wollte, was ihr zeitweilig auch gelang. In seiner Arbeit untersucht Rapljenović die Motive zu diesem angestrebten Bekenntniswechsel, den Konfliktverlauf, die involvierten Akteure (rebellierende Dorfgemeinschaft und deren Anführer, lokale Bischöfe, Hl. Stuhl, Regierungsstellen der Donaumonarchie) und vergleicht sie mit weiteren südslawischen Los-von-Rom-Bewegungen in den Dörfern Podraga, in der Nähe von Ricmanje gelegen, und Santovo (ung. Hercegszánto) im heutigen Dreiländereck von Ungarn, Serbien und Kroatien. Als größerer Vergleichsrahmen dienen die alldeutsche Los-von-Rom-Bewegung unter der politischen Führung von Georg von Schönerer sowie die russophile Bewegung in Galizien. Die leitende Forschungsfrage ist dabei: „Warum kam es am Fin de Siècle in der Doppelmonarchie zu diesen Los-von-Rom-Bewegungen?“ (S. 2)

Zur Bearbeitung dieser Frage geht Rapljenović in einem Dreischritt vor: In einem ersten mikrohistorischen Schritt rekonstruiert er anhand von reichhaltigem Quellenmaterial die Konflikte um Bekenntniswechsel in den drei Dörfern: Während die Bewohner von Ricmanje mit ihren Forderungen nach einem Übertritt zum griechisch-katholischen Ritus und der Einführung der glagolithischen Liturgie letztlich am Widerstand Roms scheiterten, worin sich auch ein Konflikt kirchenpolitischer Grundhaltungen widerspiegelte, konnte der angedrohte Bekenntniswechsel zur Orthodoxie in Podraga vermieden werden, weil das Bistum Laibach den Forderungen der Gemeinde nach einer unabhängigen Pfarrei nachkam. In Santovo traten dagegen über 1 000 Personen zur Orthodoxie über. Dabei spielte auch die unterschiedliche Politik in der ungarischen Reichshälfte eine Rolle, da die Konversion der kroatischen katholischen Bevölkerung der Magyarisierungspolitik nutzte.

In einem zweiten Schritt vergleicht der Autor die drei Fälle Ricmanje, Podraga und Santovo mit Blick auf die Dorf- und Kirchenräume, die unterschiedlichen Akteure und die verschiedenen Handlungsaspekte. Im dritten Teil verortet Rapljenović die drei Konfliktfälle im größeren Kontext von Nationalismus, Fortschrittsglauben und Nachwirkungen der josephinischen Reformen.

Stefan Kube

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