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Verteidigung des Völkerrechts: Botschaft der Bischofssynode der UGKK

RGOW 12/2024
Lyudmyla Ivanyuk

Die Bischofssynode der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche hat Anfang 2024 ein Schreiben zum Krieg in der Ukraine und den Fragen eines gerechten Friedens veröffentlicht. Darin nehmen die Bischöfe auch Stellung zu den Ursachen des Kriegs und den Herausforderungen für die internationale Gemeinschaft. Ein dauerhafter gerechter Frieden kann nur durch eine Wiederherstellung der Grundsätze des Völkerrechts gewährleistet werden.

Am 16. Februar 2024 hat die Bischofssynode der Ukrainischen Griechisch-Katholischen (UGKK) unter der Überschrift „Rettet den Ausgeplünderten aus der Hand des Gewalttäters” (Jer 22,3) eine Botschaft „über Krieg und gerechten Frieden im Kontext der neuen Ideologien“ veröffentlicht. Der Text, der 67 Paragrafen umfasst, wurde auf der 96. Tagung der Synode am 7./8. Februar 2024 in Lviv angenommen und in sechs Sprachen übersetzt.[1] Das Oberhaupt der UGKK, Großerzbischof Svjatoslav Schevtschuk, würdigte die Botschaft als „ein eindeutiges Dokument, das die Antwort der christlichen Kirche auf das Verbrechen des Krieges bezeugt, das heute gegen die Ukraine und unser Volk begangen wird.“[2]

Seit der Unabhängigkeit der Ukraine versteht sich die UGKK als eine der treibenden Kräfte des Wandels im Land und als integralen Teil der Zivilgesellschaft. Die UGKK war daher auch die erste Kirche, die am 24. Februar 2022 öffentlich auf die russische Großinvasion reagierte – bereits kurz nach 6 Uhr veröffentlichte sie eine Botschaft an die Gläubigen, in der sie die Aggression verurteilte und zur Verteidigung der Ukraine aufrief.[3] In den letzten Monaten hat sich die Kirche mehrfach zur Kriegsthematik geäußert, wobei sie sich sowohl auf ihre Erfahrungen im 20. Jahrhundert als auch auf die katholische Soziallehre beruft.

Adressaten der Botschaft
Die Stärke der Botschaft über Krieg und gerechten Frieden liegt in der Anerkennung interner Probleme, wobei das Dokument insbesondere die Gefahr von Gleichgültigkeit der ukrainischen Gesellschaft angesichts des andauernden Kriegs benennt: „Einige Menschen, die vom Krieg betroffen sind, vielleicht weniger als viele andere, versuchen, ihn zu ignorieren, als ob sie ihn vergessen wollten. Hinter dieser Haltung kann sich sowohl ein psychologischer Mechanismus der Selbstverteidigung als auch eine moralische Krankheit der Gleichgültigkeit verbergen“ (1).

Die Botschaft richtet sich jedoch nicht nur an die ukrainische Bevölkerung, sondern auch an die internationale Gemeinschaft. Die Hierarchen der UGKK betonen, dass Russland mit seinem Krieg gegen die Ukraine die gesamte zivilisierte Welt herausgefordert hat (63). Es handelt sich also nicht nur um ein ukrainisches Problem, da es bei diesem Krieg nicht nur um einen lokalen Konflikt zwischen zwei Nationen geht. Vielmehr sind die Grundlagen der menschlichen Zivilisation bedroht: Die russische Aggression gegen die Ukraine ist „kein Kampf um umstrittenes Territorium: Sie ist ein Angriff auf das Völkerrecht und ein Verbrechen gegen den Frieden“ (44). Deshalb betrifft der Krieg gegen die Ukraine die gesamte Staatengemeinschaft.

Der Krieg in der Ukraine hat eine Krise des internationalen Rechts ausgelöst. In ihrer Botschaft spricht die Kirche dies direkt an und verurteilt die Tatenlosigkeit der internationalen Gemeinschaft. Sie verweist auf die drohende Erosion des internationalen Rechts, wenn ein Land mit Atomwaffen diese fortwährend als Drohpotential verwendet: „Wie kann man heute von internationaler Sicherheit sprechen, wenn ein Staat, der Mitglied des UN-Sicherheitsrats ist und über eines der größten Nuklearpotenziale der Welt verfügt, um seine aggressiven Ziele zu erreichen, eine Bedrohung für diese Sicherheit darstellt und die gesamte internationale Gemeinschaft mit Atomwaffen erpresst?“ (31)

Moderner hybrider Totalitarismus
Als Ursachen des russischen Angriffskrieges, der „deutliche Anzeichen eines Völkermords aufweist“ (11, 32),[4] benennt das Dokument die Ideologie der „russischen Welt“ sowie der „Ideologie des Raschismus[5] mit ihrem Kult des Führers und der Toten, einer mythologisierten Vergangenheit, dem dem Faschismus innewohnenden Korporatismus, totaler Zensur, Verschwörungstheorien, zentralisierter Propaganda und einem Krieg zur Vernichtung einer anderen Nation“ (17). Klar benennt der Text auch die Mitverantwortung der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) und ihres Oberhaupts, Patriarch Kirill, an der Entwicklung und Verbreitung der Ideologie der „russischen Welt“ (16).[6]

Das Dokument appelliert an die kritische Reflexion der Christen. Andernfalls gehe die Fähigkeit verloren, zwischen Wahrheit und Täuschung, Gut und Böse zu unterscheiden. Daher sei es dringlich „‚die Geister zu prüfen‘ (1 Joh 4,1), um zwischen politischer Ideologie, die sich in pseudochristlicher Rhetorik verbirgt, und wahrem Glauben an Christus unterscheiden zu können“ (12). Dabei verweisen die Bischöfe auch auf die Schwachstellen des bisherigen ökumenischen Dialogs mit der ROK: „Seine Teilnehmer, die guten Willens und mit guten Absichten dabei waren, blieben taub für die Warnungen, dass das Moskauer Patriarchat, wie zu Zeiten der UdSSR, diesen Dialog nur instrumentalisiert. Schließlich erreichten wir den Punkt, an dem diese Instrumentalisierung offensichtlich wurde und die quasi-ideologische Formel des ‚Dialogs um jeden Preis‘ dem evangelischen Prinzip des ‚Dialogs in der Wahrheit‘ zuwiderlief“ (18).

Die moderne russische Tyrannei wird im Text als „neuer russischer Totalitarismus“, „postmoderner Totalitarismus“ oder auch als „moderner hybrider Totalitarismus“ und „postkommunistischer Totalitarismus“ bezeichnet. Das Hauptmerkmal des Totalitarismus ist die Missachtung der menschlichen Freiheit und Würde. Die beiden totalitären Ungeheuer des 20. Jahrhunderts sind das nationalsozialistische Deutschland und die „Sowjetunion mit dem kommunistischen Russland im Zentrum“ (6). Doch während das nationalsozialistische Deutschland besiegt und in Nürnberg vor Gericht gestellt wurde, einen schmerzhaften Läuterungsprozess durchlief und zu einem demokratischen Staat wurde, durchlief die Sowjetunion bzw. Russland keinen derartigen Läuterungsprozess. Der neue russische Totalitarismus wird in dem Dokument durch zwei Merkmale charakterisiert: 1) anstelle einer bestimmten utopischen Ideologie besteht das Ziel darin, die Menschen zu entmenschlichen, um sie zu „willenlosen, gegenüber moralischen Werten, … gleichgültigen Instrument[en] für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu machen“ (9); 2) die Propaganda und Schaffung einer anderen, virtuellen Realität, die sich mit Hilfe der Informationstechnologie radikal von der Realität unterscheidet, sowie die Leugnung der Existenz einer objektiven Wahrheit (10).

Legitime Selbstverteidigung und gerechter Friede
Mit Bezug auf Papst Pius XII. und die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils ruft das Dokument zum Umdenken auf – und zwar mit Blick auf die praktische Relevanz. Vage verbale Erklärungen und eine vage politische Sprache seien machtlos, und diplomatische Neutralität ohne klare Werte und Leitlinien werde allmählich in moralischen Relativismus oder sogar Schwäche umschlagen. Zentral ist die Bedeutung des Handelns (Orthopraxis) als notwendiger Bestandteil des Wandels und des Friedensstiftens, des Erreichens eines gerechten Friedens.

Bei der Analyse der Frage von Gewalt und gewaltlosem Widerstand betonen die Bischöfe der UGKK, dass Krieg ein grober Verstoß gegen die Gebote Gottes ist, deren Einhaltung als Voraussetzung für die Bildung einer gerechten Gesellschaft angesehen wird. Darüber setzen sich die Bischöfe auch mit der Frage der Neutralität auseinander, wobei sie auch die Position des Vatikans im Blick haben: „Die Neutralität sollte jedoch nicht so weit ausgedehnt werden, dass sie zu einer passiven Billigung von Unrecht und Verbrechen wird, da es ein moralisches Gebot ist, sich einer ungerechten Aggression gegen ein Land zu widersetzen und die Werte zu verteidigen, auf denen die internationale Gemeinschaft beruht“ (43).

Die Bischöfe der UGKK betonen, dass die Sicherheits- und Verteidigungskräfte der Ukraine im Lichte der Lehren der katholischen Kirche rechtmäßig den Staat und Bevölkerung verteidigen. Patriotismus wird als eine Tugend und die Verteidigung des Vaterlandes als eine heilige Pflicht für alle Ukrainer dargestellt. In ihrer Botschaft weisen die Bischöfe zudem darauf hin, wie wichtig es ist, die Worte Jesu über die Feindesliebe richtig zu verstehen: „Die Vergebung bedeutet also nicht die stillschweigende Billigung der Taten des Täters und die Unterwerfung unter das Böse, sondern deren Überwindung durch die Kraft Christi. Sie bedeutet lediglich, dass der Christ Gott die Wiederherstellung der Gerechtigkeit anvertraut…“ (28).

Als wichtiger moralischer Bezugspunkt im Zusammenhang mit dem Kampf für Gerechtigkeit, Frieden und dem Schutz der Menschenwürde wird in dem Dokument Metropolit Andrej Scheptyzkyj (1865–1944), einer der angesehensten Leiter der UGKK, angeführt. Durch die Förderung von Frieden und Barmherzigkeit setzte sich Scheptyzkyj für die Verteidigung der Unterdrückten ein. Scheptyzkyjs ethischer Rahmen unterstützt das Streben nach Frieden, bietet aber auch eine moralische Rechtfertigung für Handlungen, die darauf abzielen, sich gegen ungerechte Unterdrückung und Gewalt zu wehren. Seiner Ansicht nach lässt sich eine legitime Verteidigung in Fällen rechtfertigen, in denen friedliche Mittel und Wege der friedlichen Koexistenz ausgeschöpft sind, und es notwendig ist, das Leben und die Würde von Menschen zu schützen. Scheptyzkyj anerkannte das Recht auf Selbstverteidigung und einen gerechten Verteidigungskrieg als ein notwendiges und moralisch zulässiges Mittel zur Verteidigung gegen Aggression. Die bewaffnete Verteidigung ist das letzte Mittel, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Die zulässige Verteidigung ist Teil eines umfassenden Verständnisses von Gerechtigkeit.

Ein gerechter Friede wird in der Botschaft der Bischöfe der UGKK jedoch als mehr als nur ein Sieg über die Aggression angesehen. Das Konzept des gerechten Friedens wird durch Tugenden wie Geben und Barmherzigkeit erweitert, die der Apostel Paulus als die Gerechtigkeit Gottes bezeichnet (Röm 3,21–26). Ein gerechter Friede kann nur langfristig entstehen und zielt darauf ab, zerstörte Beziehungen wiederherzustellen und die durch den Krieg verursachten Wunden zu heilen: „Ein solcher [gerechter] Frieden muss dauerhaft und unantastbar sein und die Grundsätze des Völkerrechts wiederherstellen. Er umfasst nicht nur die Niederlage des Aggressors und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine, sondern auch Maßnahmen, die auf die Wiederherstellung angemessener Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland und die Heilung der durch den Krieg verursachten Wunden abzielen: Offenlegung der Wahrheit und Anerkennung der Verbrecher, internationale Strafgerichte, Wiedergutmachung, politische Entschuldigung und Vergebung, Gedenkstätten, neue Verfassungen und lokale Versöhnungsforen“ (52).

Anmerkungen:
[1])    https://ugcc.ua/en/data/rettet-den-ausgeplnderten-aus-der-hand-des-gewalttters-jer-22-3-die-botschaft-der-bischofssynode-der-ugkk-in-der-ukraine-ber-krieg-und-gerechten-frieden-im-kontext-der-neuen-ideologien-950/

[2])    https://ugcc.ua/data/glava-ugkts-pro-viynu-i-spravedlyvyy-myr-ukraynu-i-svit-4733/

[3])    https://ugcc.ua/data/zvernennya-blazhennishogo-svyatoslava-z-pryvodu-pochatku-viyny-v-ukrayni-782/

[4])    Der Begriff „Genozid“ tauchte bereits in der Botschaft der Bischofssynode der UGKK vom 15. Juli 2022 auf, https://docs.ugcc.ua/1591/: „Die Absichten des Aggressors sind eindeutig genozidal: Die Taktik der Kriegsführung seit den ersten Tagen zeigt, dass er nicht gegen eine Armee, sondern gegen ein Volk kämpft.“

[5])    „Raschismus“ ist eine Wortschöpfung aus „Russland“ und „Faschismus“.

[6])    Namhafte orthodoxe Theologinnen und Theologen haben die Rede von der „Russischen Welt“ gleich zu Beginn des russischen Angriffskriegs als „Irrlehre“ verurteilt, https://publicorthodoxy.org/wp-content/uploads/2022/03/2022.03.22-Declaration-German.pdf

Lyudmila Ivanyuk, Dr., 2019 Promotion der Universität Wien (Bereich der Pastoraltheologie und Sozialethik), unterrichtet derzeit DaF an der Nationalen Lesja-Ukrajinka-Universität Wolhynien.

Bild: Ukrainische Flagge am Zaun der Russischen Botschaft in Prag (Foto: Jiří Sedláček, Wikimedia Commons CC 4.0).

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