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Auf Sendung. Ukrainische Medien vor und nach der russischen Großinvasion

RGOW 3-4/2024
Denis Trubetskoy

Die größten Fernsehsender in der Ukraine gehörten vor der russischen Großinvasionen verschiedenen Oligarchen. Deren unterschiedliche politische Interessen garantierten jedoch auch eine Pluralität der Meinungen. Nach dem 24. Februar 2022 wurde eine einheitliche Nachrichtensendung auf fast allen Sendern eingeführt, deren Akzeptanz aber mit Dauer des Kriegs abnimmt. Seriöse Online-Medien decken trotz der Einschränkungen des Kriegsrechts weiterhin Korruptionsskandale auf.

Sowohl vor der Majdan-Revolution 2013/14 als auch danach war die ukrainische Medienlandschaft von bunter Pluralität, aber gleichzeitig von den Interessen großer Unternehmer mit unterschiedlichen politischen Positionen geprägt.[1]Während der Markt der Printmedien bereits vor zehn Jahren aus wirtschaftlichen Gründen kurz vor dem unausweichlichen Aussterben stand, gehörten die größten Fernsehgruppen meist einem der Oligarchen – sei es Rinat Achmetov, der reichste Mann der Ukraine, der dazu tendierte, den jeweiligen aktuellen Machthaber zu unterstützen, Ihor Kolomojskyj, dessen Imperium die Fernsehsendungen der Produktionsfirma des heutigen Präsidenten Volodymyr Zelenskyj ausstrahlte, der ehemalige Präsident und Zelenskyjs politischer Erzfeind Petro Poroschenko oder auch der kremlnahe Unternehmer und Politiker Viktor Medvedtschuk, der ab 2018 über einen Zwischenmann gleich drei Informationssender aufkaufte.

Pluralität durch Oligarchenkonkurrenz
Keine dieser Gruppen arbeitete journalistisch sauber, obwohl das Ausmaß der Voreingenommenheit nicht überall gleich hoch war. Ausgeglichen wurde dies dadurch, dass sich die dominierenden politischen Positionen der Sender radikal unterschieden – sogar bis zur offenen prorussischen Einstellung der Medvedtschuk-Kanäle, die lediglich darauf achteten, den Rahmen der ukrainischen Gesetzgebung etwa in Bezug auf den Status der annektierten Krim zu respektieren. Vor allem aufregende politische Talkshows, die zur besten Sendezeit ausgestrahlt wurden und anders als in Deutschland oft drei bis fünf Stunden dauerten, waren zwischen 2014 und 2022 fester Bestandteil der ukrainischen politischen Kultur. Eine bedeutende, von politischen Interessen unabhängige und eher auf Wirtschaftsgewinne orientierte Alternative gab es im Fernsehen kaum: Zu groß waren die Kosten, um mit den schicken Oligarchensendern konkurrieren zu können. Zudem schwächelte der Werbemarkt ohnehin aufgrund des Kriegs im Donbass und später der Covid-Pandemie. Der nach dem Majdan etablierte ukrainische öffentlich-rechtliche Rundfunk, der heutzutage Suspilne heißt, zeigte sich zwar inhaltlich immer wieder von seiner guten Seite, konnte aber nie mit Quoten glänzen.

Gleichzeitig entwickelte sich der Markt qualitativer Internet-Medien rasant, obwohl sie wie die Fernsehsender vom schwächelnden Werbemarkt betroffen waren. Bereits länger existierende Portale wie Ukrajinska Pravda, das sich schon in den Nullerjahren einen Namen machte, wurden durch neue Projekte wie NV (The New Voice of Ukraine) ergänzt, das ursprünglich als Zeitschrift gestartet war und aktuell vor allem ein Online-Medium mit einem beliebten YouTube-Kanal ist. Bemerkenswert war außerdem, dass sich mit Projekten wie Bihus.info oder Schemy („Machenschaften“) ganze Redaktionen ausschließlich dem Thema Antikorruptionsbekämpfung widmeten. Eine Recherche von Bihus.info zur Korruption in der Rüstungsbranche beeinflusste etwa 2019 die Niederlage des Präsidenten Petro Poroschenko, auch wenn sie wohl nicht wahlentscheidend war. Von einem idealen Zustand war die Medienlage in der Ukraine zwar weit entfernt, zumal einige Morde an Journalisten wie z. B. der Mord am prominenten Reporter Pavlo Scheremet im Sommer 2016 in Kyjiw bis heute prinzipiell nicht aufgeklärt sind. Dennoch befand sich die Medienlandschaft in der Ukraine in einer deutlich besseren Situation als in den allermeisten anderen ehemaligen Sowjetrepubliken.

Die erste große Veränderung vor dem russischen Großangriff fand rund ein Jahr zuvor, im Februar 2021, statt, als sich der ukrainische Sicherheitsrat für die Sperrung der prorussischen Sender von Medvedtschuk entschied. Im Kern wurde dieser Entscheid von der ukrainischen Medienbranche begrüßt, weil die Sender 112, NewsOne und ZIK tatsächlich offen mit dem Kreml sympathisierten. Es wurde jedoch kritisiert, dass die Sperrung aufgrund eines Entscheids des Sicherheitsrates und nicht aufgrund eines Gerichtsentscheids erfolgte. Heutzutage herrscht Konsens darüber, dass die Annullierung der Sendelizenzen auf diesem Wege richtig war: Ein Jahr vor dem russischen Großangriff konnte es sich die Ukraine nicht erlauben, Zeit angesichts eines womöglich sehr langen Gerichtsprozesses zu verlieren. Juristische Fragen blieben jedoch bestehen. Wirklich relevant sind sie aber aus heutiger Sicht nicht mehr: Denn der nach dem russischen Überfall erst aus dem Hausarrest geflohene und dann festgenommene Medvedtschuk, ein enger persönlicher Freund Vladimir Putins, befindet sich nach einem Gefangenenaustausch in Russland.

Die Sperrung von Medvedtschuks Sendern machte aber die ukrainische Fernsehwelt nicht weniger bunt. So waren die letzten Monate vor dem großen Krieg von einer Kampagne geprägt, die quotenstarke Sender von Rinat Achmetov gegen Präsident Zelenskyj führten. Die Achmetov-Medien hatten zwar den neuen Staatschef zu Beginn seiner Amtszeit eher unterstützt, doch war der auch heute noch reichste Mann der Ukraine mit einem Gesetz unzufrieden, das den Begriff „Oligarch“ rechtlich einführte und dabei bedeutenden Einfluss auf Medien als eines der Kriterien festschrieb, wer als Oligarch eingestuft werden sollte. Ein entsprechendes Oligarchenregister, dessen Mitglieder theoretisch keine politischen Parteien mehr finanzieren werden dürften, wurde trotz der Verabschiedung des Gesetzes in der Praxis nie geschaffen – und es ist auch nicht zu erwarten, dass dies in der absehbaren Zukunft passiert.

Trotzdem hat Achmetov im Juli 2022 auf das Oligarchengesetz verwiesen, als er sich überraschend gänzlich und quasi von heute auf morgen aus dem Mediengeschäft zurückzog. In Wirklichkeit ist davon auszugehen, dass sein Rückzug einen rein pragmatischen Hintergrund hatte: Die teuren medialen Instrumente des innenpolitischen Einflusses waren in der Kriegssituation, in der die Innenpolitik in den Hintergrund trat, nicht mehr nötig. Zumal der aus Donezk stammende Achmetov, dessen Aktiven sich vor allem im Bereich der Schwerindustrie und damit im vom Krieg überdurchschnittlich betroffenen Südosten der Ukraine befinden, seit dem 24. Februar 2022 einiges an Vermögen eingebüßt hat. Ähnliches geschah mit anderen Oligarchen: Die von Zelenskyj angepeilte Entoligarchisierung der Ukraine findet am Rande des russischen Angriffskrieges somit fast von selbst statt.

Fernsehmarathon nach Beginn der Großinvasion
Eine einschneidende Veränderung für die ukrainische Medienlandschaft bedeutete der russische Großangriff am 24. Februar 2022. Die heutige Dauernachrichtensendung „Einheitliche Nachrichten“, umgangssprachlich Fernsehmarathon, die seit Mitte März 2022 für alle Informationssender verpflichtend ist, aber auch von vielen anderen nationalen Sendern ausgestrahlt wird, ist am ersten Morgen der Invasion ganz spontan und ohne staatlichen Einfluss entstanden. Das Management der wichtigsten Mediengruppen hatte sich untereinander abgesprochen: Weil die Sender ihre Mitarbeitenden in die Westukraine, primär nach Lwiw, evakuieren mussten und keiner deswegen durchgehend senden konnte, entschied man sich für eine gemeinsame Produktion. Das funktionierte anfangs gut: In einer Zeit der totalen Unsicherheit verschaffte das spontane, aber gut gemachte Programm durch Schalten zu den Chefs der regionalen Verwaltungen Orientierung, was überhaupt passiert und wie die Lage ist. Der Regierung gefiel der Fernsehmarathon deswegen – und so laufen Einheitliche Nachrichten bis heute.

Doch ob nach zwei Jahren des großen Kriegs das rund um die Uhr ausgestrahlte Dauerprogramm, das aus Nachrichten, Schalten, Studiogesprächen und Dokumentationen besteht, in dieser Form noch angebracht ist, ist fraglich. Ein völliges Abschaffen der gemeinsamen Übertragung kommt aufgrund der Herausforderungen des Verteidigungskrieges zwar nicht wirklich in Frage. In der Expertencommunity mehren sich jedoch längst die Vorschläge, ob der Marathon nicht auf gemeinsame Nachrichtenblöcke und eine größere Sendung am Abend reduziert werden könnte. Nicht umgesetzt wird das aber nicht zuletzt deswegen, weil finanziell angeschlagene Sender an den nicht unbedeutenden staatlichen Subventionen für die Produktion des Marathons interessiert sind. Dabei müssen sie nur zeitlich begrenzte Sendeslots produzieren und können damit im Vergleich zur Produktion eines eigenen Vollprogramms zusätzlich sparen.

Der Fernsehmarathon ist zwar deutlich näher an den tatsächlichen Kriegsrealitäten als die russische Propaganda, jedoch zeichnet er öfters ein zu optimistisches Bild und verliert dadurch an Vertrauen in der Bevölkerung. Laut einer im Februar durchgeführten Umfrage des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie war die Zahl der Menschen, die den gemeinsamen Nachrichten vertrauen, zum ersten Mal kleiner als umgekehrt: 36 zu 47 Prozent.

Aus weiteren Meinungsumfragen geht hervor, dass Telegram als wichtigste Informationsquelle für die Ukrainer das Fernsehen überholt hat. Diese Entwicklung ist nicht ungefährlich: Telegram ist in der Ukraine anders als in Deutschland keine unseriöse Plattform und wird ohne Ausnahme auch von allen seriösen Medien benutzt. Die Nase vorn haben dort allerdings oft anonyme Kanäle mit Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Followern, die ständig ungeprüfte Informationen verbreiten und so bewusst oder unbewusst auch als Instrument der russischen hybriden Kriegsführung dienen könnten.

Korruptionsrecherchen auch im Krieg
Positiv ist dagegen, dass sich qualitative Online-Medien trotz der Einschränkungen des Kriegsrechts, die aber praktisch nicht signifikant sind und eher Aspekte wie das Aufnahmeverbot von Bewegungen der ukrainischen Armee betreffen, sich trotz der schwierigen Wirtschaftssituation und am Rande des Fernsehmarathons als alternative Informationsquellen behaupten und weiterhin mit Korruptionsrecherchen glänzen. Eine davon, die Story über die Lebensmitteleinkäufe zu überhöhten Preisen für Soldaten im Hinterland, hat letztlich zu einem vollständigen Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums im September 2023 geführt. Es ist zwar nicht so, dass eine Art Selbstzensur in Zeiten des Angriffskrieges gar kein Thema bei unabhängigen Medien ist. Doch dabei geht es zumeist darum, dass eine große Korruptionsrecherche nicht etwa vor großen internationalen Verhandlungen zu Waffenlieferungen veröffentlicht wird – und nicht darum, dass man grundsätzlich auf eine Veröffentlichung verzichtet.

Daher unterscheidet sich die Welt der ukrainischen Internet-Medien gar nicht so stark von derjenigen vor dem 24. Februar 2022. Allerdings sind insbesondere investigative Journalisten in der Ukraine weiterhin Gefährdungen ausgesetzt. Zuletzt wurde beispielsweise eine Abteilung des Inlandsgeheimdienstes SBU dabei erwischt, das Team des Investigativmediums Bihus.info regelmäßig abgehört und in einem Hotelkomplex nahe Kyjiw heimlich gefilmt zu haben. Präsident Zelenskyj kritisierte dieses Vorgehen in einer seiner Abendansprachen deutlich, und die entsprechende Abteilung des SBU wurde schnell aufgelöst. Ob es aber strafrechtliche Konsequenzen für die entlassenen Mitarbeiter geben wird, ist aktuell unklar. Die Ermittlungen laufen jedenfalls.

 Anmerkung:
[1])    Tokariuk-Shelest, Olga: Im Visier: Die Medien in der Ukraine. In: RGOW 43, 10 (2015), S. 7–10.

Denis Trubetskoy berichtet als freier Politikkorrespondent für deutschsprachige Medien aus der Ukraine.

Bild: Russische Bombardierung des Fernsehturm Kyjiws am 1. März 2022 (Foto: Mvs.gov.ua)

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