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Athos - der Heilige Berg der Orthodoxie

RGOW 05/2024
Andreas Müller

Der Berg Athos ist der Heilige Berg für die Orthodoxie schlechthin. Die Mönche versuchen durch festgelegte Gebetszeiten und Askese der Gottesschau näher zu kommen. Die Mönchsrepublik setzt sich aus 20 Großklöstern und mehreren Skiten zusammen, wobei die Großklöster auch die Regierung des Heiligen Bergs stellen. Der Athos ist kulturgeschichtlich prägend für die monastische Kultur der Orthodoxie geworden. In jüngster Zeit macht vor allem der gestiegene russische Einfluss auf die Mönchsrepublik von sich reden.

Wenn man vom „Heiligen Berg“ spricht, so denken Orthodoxe in erster Linie an die Erhebung auf dem östlichsten Finger der Halbinsel Chalkidiki im nördlichen Griechenland: To Hagion Oros, im Deutschen bekannter als Berg Athos. Als Heiliger Berg legt sich der Athos schon aufgrund seiner besonderen Form nahe. 2 033 Meter ragt er pyramidal unmittelbar aus der Ägäis gen Himmel. Der Berg hat der ganzen, gegen Süden hin ansteigenden, 50 km langen und im Durchschnitt 10–15 km breiten Halbinsel ihren Namen verliehen. Heute befindet sich auf dem Gipfel eine Kapelle, die der Verklärung Christi geweiht ist. Wie auf dem Berg Tabor in Israel wird hier also ein Ort des Übergangs vom irdischen ins himmlische Reich gesehen, ein Ort der Gottesschau.

Die Mönche des Berges versuchen tagaus tagein durch ihre Gebete dieser Gottesschau näher zu kommen, manche von ihnen begeben sich dazu in ein unaufhörliches Gebet, das Gebet des Herzens. Häufig erlebt man auch Mönche bei der Arbeit, die das Gebet leise vor sich hinmurmeln, in der Küche, im Garten oder sonst wo. Gebet und Lebensalltag sollen sich so gegenseitig durchdringen. Manche der Mönche gelangen tatsächlich zu einer eigenen Verklärung, kommen Gott ganz nahe, indem sie ein „überlichtes Licht“ sehen oder eine Vision Christi haben, wie der russische Mönch Silouan (1866–1938), der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Athos lebte. Noch heute berichten Mitbrüder voller Bewunderung von der geistlichen Entrückung ausgewählter Asketen.

Unterschiedliche Organisationsformen
Auf dem Athos leben mehr als 2 500 Mönche, durch eine für ungewollte Gäste unüberwindbare Grenze vom Festland abgetrennt. Die Halbinsel ist durch diese Grenze nicht nur allgemein gut abgeschirmt von allen weltlichen Ablenkungen vom „Gebet“, sondern auch von fast allen Arten weiblicher Lebewesen. Nachweislich seit dem Jahr 883 dürfen nämlich nur Männer den Athos betreten, und außer Katzen und ganz wenigen Hühnern sind auch nur männliche Tiere zugelassen. Die geistliche Begründung dafür liegt darin, dass der Athos als Garten der Gottesgebärerin, d. h. der Jungfrau Maria, allein ihr als Frau vorbehalten sein soll. So dürfen jedenfalls Frauen den Berg nur von Ausflugsschiffen außerhalb einer 500 Meter-Zone oder in ganz seltenen Fällen aus dem Hubschrauber bewundern.

Das Zusammenleben auf dem Athos ist in unterschiedlichen Organisationsformen geregelt. Das erste vorbildliche Kloster wurde von Athanasios Athonitis († um 1000) im Jahr 963 gegründet – die sog. Megisti Lavra. Ihre Regeln, das sog. Typikon lehnen sich an Vorbilder aus Konstantinopel, vor allem an die Vorschriften des byzantinischen Mönchs Theodoros Studitis († 826) an. Die Ausprägung des athonitischen Mönchtums im 10. Jahrhundert entwickelte sich parallel zu vergleichbaren Erscheinungen im „Westen“, in dem in dieser Zeit die cluniazensische Klosterreform bedeutsam wurde. 972 wurde mit dem Tragos, einer kaiserlichen Urkunde, auch das Zusammenwirken der einzelnen monastischen Institutionen auf dem Athos geregelt.

Nach der noch heute gültigen Verfassung der Autonomen Mönchsrepublik auf griechischem Staatsgebiet von 1924, dem Katastatikos Chartis, sind 20 eigenständige Großklöster auf dem Hl. Berg zugelassen. In diesen leben, arbeiten und beten die Mönche gemeinsam. Aller Besitz gehört dem Großkloster, die Mönche bekommen davon nur bei Bedarf und durch Entscheid des Abtes. Diese Form der Askese nennt man Koinobitismus. Im 20. Jahrhundert sind alle Großklöster zu dieser Form der Lebensweise zurückgekehrt. In manchem von ihnen sah es noch vor wenigen Jahrzehnten anders aus. Dort lebten die Mönche idiorhythmisch, was bedeutet, dass jeder der Mönche seinem „eigenen Rhythmus“ folgte. Idiorhythmisch lebende Mönche finden sich heute nur noch außerhalb der Großklöster. Konzentriert sind sie in den ab dem 16. Jahrhundert gegründeten zwölf Skiten anzutreffen, die verschiedenen Großklöstern angeschlossen sind. Die Mönche verfügen dort über eigenen Besitz, wohnen in vom Großkloster gepachteten Häusern (Kalyvia) und versammeln sich meist nur einmal in der Woche im sog. Kyriakon, einer großen, zentral gelegenen Kirche, die für den Sonntag (griech. kyriaki himera) zur Verfügung steht. In der Skiti übernimmt die Leitungsfunktion der sog. Dikaios, der jährlich neu gewählt wird. Durch die weniger stark reglementierte Lebensweise gehen die Skitioten auf eigene Verantwortung hin auch bestimmten handwerklichen Tätigkeiten nach. Sie produzieren Schnitzereien und Devotionalien, Weihrauch, Honig, Öl u. v. m. Sogar schriftstellerisch tätige Mönche sind in den Skiten anzutreffen. Der bedeutendste Hymnograph der Orthodoxen Kirche des 20. Jahrhunderts, Vater Gerasimos Mikrayannanitis (1905–1991), verfasste seine liturgischen Texte beispielsweise in der abgelegenen kleinen Skiti der Hl. Anna. Neben den Skiten gibt es noch kleinere Organisationsformen auf dem Heiligen Berg bis hin zu derjenigen der Einsiedler, die in ihren Kellien meist die strengsten Formen der Askese üben.

Die Großklöster haben eine zentrale Verwaltung in der „Hauptstadt“ Karyes, in der unterschiedliche Gremien über die Zukunft auch einzelner Klöster im Streitfall entscheiden können. Der „oberste Vorsteher“ auf dem Heiligen Berg, der Protepistatis, der in Karyes residiert, wird jährlich neu gewählt. Er leitet den Athos zusammen mit drei weiteren Mönchen, die sog. Epistasie. Diese Epistasie bildet den Exekutivausschuss für die Hiera Koinotis („Heilige Gemeinschaft“), die eigentliche Regierung des Berges, die sich aus Vertretern der 20 Großklöster zusammensetzt. Sie lässt sich als Legislative verstehen. Daneben gibt es noch als eine Art „Oberhaus“ die Versammlung der Äbte, die sich zweimal jährlich versammelnde Hiera Synaxis.

Durch Gebetszeiten geregelter Tagesablauf
Ein wesentlicher Teil des Tagesablaufs der Mönche wird durch das Gebet bestimmt. Die Anfangszeiten eines Tages sind je nach Jahreszeit unterschiedlich, im Oktober beginnt man mit den ersten Horen des Stundengebets beispielsweise in vielen Klöstern gegen zwei Uhr nachts. Die Zeiten sind nicht in allen Klöstern gleich, zumal die Klöster ihre Uhrzeit selbst festlegen. Sie benutzen nämlich die byzantinische Zeit. In dieser beginnt der Tag mit dem Sonnenuntergang. In 19 der 20 Klöster ist dementsprechend beim Sonnenuntergang Mitternacht. Da dieser täglich ein wenig später oder früher liegt, wird die Uhr einmal in der Woche nachgestellt. Lediglich im Iviron-Kloster benutzt man eine weitere fremde Zeit, die von den Chaldäern übernommen worden sein soll. Dort ist bei Sonnenaufgang zwölf Uhr mittags.

Der Tagesablauf im Kloster ist jeweils streng in einem sog. Typikon geregelt. Die Stundengebete finden in allen Klöstern nicht alle drei Stunden statt, sondern sind zusammengekettet und verteilen sich in der Regel auf zwei große Blöcke am Tag. Morgens beginnt man mit dem Mesonyktikon (entspricht der westlichen Matutin), an die sich unmittelbar der Orthros, im Westen mit der Laudes zu vergleichen, anschließt. Dieser liturgische Block gipfelt in der Göttlichen Liturgie, der täglich stattfindenden Abendmahlsfeier. Anschließend, meist gegen sieben Uhr morgens weltlicher Zeit, wird zu Mittag gegessen. Dann ist der Tag frei für Arbeit, Schlaf und Gebet. Gegen drei Uhr nachmittags folgt der zweite große liturgische Block: Zunächst werden die einzelnen Gebete des Tages an unterschiedlichen Orten der Kirche gebetet: die erste, dritte, sechste und neunte Stunde. Dieser liturgische Block mündet in die Vesper, den Esperinos. Nach der Vesper gibt es ein Abendessen, anschließend das Apodeipnon, etwa der Komplet zu vergleichen. Dieses ist in manchen Klöstern mit dem täglich gesprochenen Akathistos Hymnos, dem Lobpreis der Gottesgebärerin verbunden, der (wie der Name sagt) im Stehen gebetet wird. Für den Akathistos begibt man sich gelegentlich in eigene Räume oder Raumteile, im Iviron-Kloster etwa in eine eigens für die bedeutende Marienikone (Portaitissa) gebaute Kapelle. Die Nacht dient den Mönchen dann zum eigenen Gebet.

Nicht nur die Tageszeiten, auch der Kalender auf dem Athos entspricht nicht dem weltlichen, dem Gregorianischen Kalender, der von Papst Gregor XIII. (1502–1585) eingeführt wurde. Vielmehr benutzt man – wie auch in manchen autokephalen orthodoxen Kirchen – noch den Julianischen Kalender. In Griechenland selbst befolgen diesen ausschließlich die schismatischen Altkalendarier. Von ihnen ist auch das Athos-Kloster Esphigmenou besetzt, in dem sie vermittels einer kleinen schwarzen Flagge mit einem weißen Kreuz die Trauer über den in der Orthodoxie betriebenen „schändlichen Ökumenismus“ zum Ausdruck bringen. Dementsprechend findet sich am Kloster auch ein Spruchband „Orthodoxie oder Tod“. Seit 2002 ist das für den Athos geistlich zuständige Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel darum bemüht, die Esphigmeniten als „Schismatiker“ vom Athos zu entfernen bzw. entfernen zu lassen. Nicht nur in diesem, sondern in allen Athos-Klöstern werden die unbeweglichen Feste des Kirchenjahres wie z. B. Weihnachten 13 Tage später gefeiert als auf dem angrenzenden Festland.

Eigener Weg in die Moderne
Fremd ist der Athos dem westlichen Pilger nicht nur hinsichtlich dieser Praxis, die die Orthodoxie auseinanderzureißen scheint. Fremd bleibt er einem auch angesichts der Behandlung von nicht-orthodoxen Christen. So werden häufiger nicht-orthodoxe Pilger von Gottesdiensten und gelegentlich sogar von den gemeinsamen Mahlzeiten ausgeschlossen. Dies wird meist mit Bezug auf „altkirchliche Kanones“ begründet. Um Feindbilder zu stärken, wird oft auf die Zeit der Kreuzzüge hingewiesen und die Märtyrer, die es in dieser Zeit auch auf dem Athos gegeben habe. Als evangelischer oder katholischer Christ gilt man auf dem Athos als „Häretiker“, dessen Taufe nicht anerkannt wird. Konvertiten werden noch einmal getauft. Der Athos gilt als „Arche der Orthodoxie“, da er diese gegen alle Angriffe von außen bewahrt habe.

Ab 1972 blühte das Mönchsland Athos nach einer tiefen Krise erneut auf. Erste Aufbrüche in eine neue Zeit hatte es schon 1963 zum 1 000-jährigen Athos-Jubiläum gegeben, als zumindest eine Betonpiste von dem Haupthafen Daphni nach Karyes angelegt wurde. Der Aufbruch in die Moderne sollte aber nicht so weit gehen, dass Asphaltstraßen oder gar PKWs zugelassen worden wären. Bis heute befährt man den Athos auf Lehmpisten, zum Teil allerdings mit Jeeps, die asketische Ansprüche bei weitem übertreffen. Der Athos fand so einen ganz eigenen Weg in die Moderne, auf dem lange über die Einführung von elektrischem Licht (das es in den Kirchen noch immer nicht gibt) oder Computern gerungen wurde. Einige Klöster sind inzwischen ökologisch höchstmodern aufgestellt und verfügen sogar über Medienkanäle im Internet. Dennoch bestimmt die Mönchskultur eine typische Verbindung von teilweise mittelalterlichen, in jedem Fall asketischen Praktiken und zeitgenössischen Einrichtungen.

Dies gilt auch im geistlichen Bereich: Besonders nach dem Fall der griechischen Militärjunta im Jahr 1974 kam es zu einem spirituellen Aufbruch auf dem Heiligen Berg. Dazu trug der Schülerkreis des Johannes des Hesychasten (1897–1959) entscheidend bei, der sich in der Annen-Skiti und später der Nea Skiti gesammelt hatte. Zu diesem Kreis gehörte u. a. der aus Zypern stammende Altvater Josiph von Vatopedi (1921–2009), der sein Kloster wieder in ein Koinobion verwandelte und dort für einen enormen Aufschwung sorgte. Ferner ist zu dem Kreis Ephraim von Philotheou (1928–2019) zu zählen, der auch außerhalb des Athos in den USA und Kanada 19 weitere Männer- und Frauen-Klöster gründete und dessen Schüler auf dem Athos die Klöster Xeropotamou, Konstamonitou und Karakallou wieder als Koinobien aufbauten. Seine Klöster verfolgten allesamt stärker eine konsequent orthodox-asketische, sog. zelotische Tendenz. Im Kloster Dionysiou prägte der Mönch Theoklitos Dionysiatis († 2006) den Wiederaufbau stark mit. Auch unter den Einsiedlern gab es im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts erneut weit verehrte geistliche Persönlichkeiten, so z. B. Vater Paisios (Arsenios Eznepidis, 1924–1994).

Herausragende kulturgeschichtliche Bedeutung
Die Bibliotheken der Klöster und Skiten bewahren einen enormen kulturellen Schatz. Das gilt nicht nur für die etwa 14 500 Handschriften, die in Griechisch, Lateinisch, Kirchenslawisch, Rumänisch, Bulgarisch und selbst in Georgisch geschrieben worden sind, sondern auch zahlreiche frühe Drucke bereits aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Die größte Sammlung georgischer Handschriften außerhalb Georgiens befindet sich in dem ehemaligen Georgier-Kloster Iviron. Die lateinischen Handschriften stammen zu einem großen Teil aus dem einstigen Kloster der Amalfitaner. Diese süditalienischen Mönche lebten als Benediktiner auf dem Athos! Ihr Ende des 10. Jahrhunderts gegründetes Kloster hat sich allerdings nur kurze Zeit halten können. In Folge der Kreuzzüge ist es untergangen – nur sein Befestigungsturm und eben die Handschriften zeugen noch von seiner Existenz. Durch die Sammelleidenschaft der Klöster, zahlreiche Schenkungen und den Aufbau einer – allerdings von den Mönchen nach einiger Zeit wieder zerstörten –, vom Geist der Aufklärung beeinflussten Akademie im 18. Jahrhundert finden sich sogar frühe reformatorische Drucke in den Athos-Bibliotheken.

Kunst- und kulturgeschichtlich ist der Athos prägend für die monastische Kultur der Orthodoxie geworden. Dies gilt im Bereich des Kirchenbaus weniger für das als klassische Basilika im 10. Jahrhundert gebaute Protaton, die Hauptkirche der Mönchshauptstadt Karyes. Vorbildlich wurde vielmehr zur selben Zeit das Katholikon, die zentrale Kirche der Megisti Lavra. Es handelt sich um einen Kreuzkuppelbau, der zwei Konchen (Einbuchtungen) im Norden und im Süden über den Dreiabsidialabschluß im Osten hinaus hat. Die Nord- und die Südkonche dienen den zwei Mönchschören eines jeden Klosters als Hauptaufenthaltsort während der Gottesdienste. An das Hauptschiff schließt im Westen eine Flucht von weiteren Räumen an. Zunächst folgt ein Raum, den die Mönche selber als Liti bezeichnen. Je nach der Anzahl der weiteren Räume stellt er auch den Pronaos oder den Esonarthex (inneren Vorraum) dar. Es folgt nach Westen noch ein Raumteil, der (Exo-)Narthex. Ursprünglich sind die Räume für unterschiedliche liturgische Zwecke vorgesehen. Die Teilung der großen Kirche in die kleineren Raumteile macht noch heute im Winter das Beheizen dieses so viele Stunden genutzten Gebäudes einfacher. Die Mönche erklären die Raumstruktur aber auch als Abbild des Jerusalemer Tempels mit seinen verschiedenen Vorhöfen. Das bedeutet für Nichtorthodoxe häufig, dass sie nur vom „Vorhof der Heiden“, also dem (Exo-)Narthex aus an der Liturgie und auch den Stundengebeten teilnehmen dürfen.

Die bildliche Kunst der Klöster stammt hauptsächlich aus der Zeit nach dem Fall Konstantinopels (1453). Vor allem einige der berühmtesten Athos-Ikonen aber, fast ausschließlich Darstellungen der Gottesmutter, sind älteren Datums. Auch einige wenige ältere Mosaiken haben sich erhalten, vor allem jene des Klosters Vatopedi, die aus dem 11. Jahrhundert stammen. Aus dem 14. Jahrhundert stammen die Fresken im Protaton in Karyes, die dem bedeutenden Maler Manuel Panselinos († frühes 14. Jahrhundert) zugeschrieben werden. Die eigentliche Blütezeit der bildlichen Athos-Kunst liegt aber am Ende des 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In dieser Zeit wirkten Maler der kretischen Schule, vor allem der bekannte Theophanis Kritis († 1559), der in der Großen Lavra und Stavronikita die meisten Spuren hinterlassen und der heychastischen Theologie der Mönche bei seinen Darstellungen wohl am nächsten gekommen ist. Leider sind die frühen Fresken oft übermalt worden. In den kommenden Jahrhunderten sollten sich nämlich die Stilrichtungen durchsetzen, die vornehmlich in Verbindung mit den Herkunftsländern der Stifter der Athos-Kunst standen.

Unter der osmanischen Herrschaft (auf dem Athos von 1430–1912) waren die Griechen kaum noch zu großer finanzieller Unterstützung der Klöster imstande. So wurden diese sehr stark von orthodoxen Fürsten anderer Länder gefördert, im 16. und auch noch 17. Jahrhundert vornehmlich durch die rumänischen Woiwoden der Moldau und der Walachei, ganz stark ab dem 18. Jahrhundert durch den russischen Zaren und seine Fürsten aus Russland. Mit den finanziellen Unterstützungen kam es jeweils auch zu einem regen Kulturaustausch. So braucht man sich nicht zu wundern, dass die Kunst der rumänischen Moldauklöster, die zu einem großen Teil in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gebaut worden sind, jener der Athos-Klöster sehr stark ähnelt. Selbst protestantische Einflüsse konnten über die Donaufürstentümer Einzug in die Athos-Kunst halten. Dies wird z. B. an den Fresken vor der Trapeza, dem Speisesaal des Klosters Dionysiou deutlich. In byzantinischem Stil findet man dort die 22 Illustrationen der Apokalypse aus Luthers Septembertestament wieder. Lukas Cranach d. Ä. ist somit in leicht modifizierter Form sogar im Hort der Orthodoxie rezipiert worden! Die russische Unterstützung der Athos-Klöster hatte auch eine Russifizierung der Athos-Kunstwerke zur Folge. In allen Athos-Klöstern wurden die hohen, hölzernen Ikonostasen in russischem Stil aufgebaut, Ikonen wurden übermalt oder gar mit einem Silberbeschlag überzogen. Große Klosterkomplexe entstanden für die immer stärker aus Russland anreisenden Pilger. Das Kloster Panteleimon beherbergte in seinen Blütezeiten neben den über 2 000 Mönchen ebenso viele Pilger und außerdem noch etwa 1 000 Arbeiter – es war beinahe eine selbständige Stadt.

Russische Einflussnahme
Die Übermacht russischen Einflusses führte zu einem Phänomen, das mit dem griechischen Wort Phyletismus bezeichnet wird: Die Griechen wehrten sich gegen eine drohende Übermacht der russischen Nation auf dem Athos. Die Oktoberrevolution bereitete ihren Ängsten diesbezüglich ein vorläufiges Ende. Während der deutschen Besatzung Griechenlands 1941–1944, in der der Athos den bulgarischen Alliierten der Deutschen unterstellt wurde, flammte die Angst vor einer nationalen Überfremdung des Athos erneut auf. Um dem vorzubeugen, wandten sich die Athos-Mönche am 13. April 1941 sogar in einer Ergebenheitsadresse an Adolf Hitler. Darin unterstellten sie sich der Besatzungsmacht bzw. ihrem „Führer“ wie einst dem byzantinischen Kaiser und erwarteten dementsprechend auch seinen Schutz.

Inzwischen sind die Athos-Mönche zumindest der russischen Regierung gegenüber wieder aufgeschlossener. Der russische Präsident Vladimir Putin besuchte bereits 2005 zum ersten Mal unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit den Berg Athos. 2016 wurde er zusammen mit Patriarch Kirill (Gundjajev) und Metropolit Ilarion (Alfejev), dem damaligen Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, als „Verteidiger des Glaubens“ empfangen. Dabei wurde auch daran erinnert, dass es auf dem Athos seit 1 000 Jahren russische Mönche gebe, und der Berg – freundlich formuliert – eng mit der „Russischen Welt“ verbunden sei. Im Kloster Esphigmenou soll unter anderem sogar Geldwäsche russischer Oligarchen stattgefunden haben. Nicht alles und nicht alle sind also unbedingt heilig auf dem Berg. Dennoch kann er als ein Ort gelten, an dem orthodoxe Spiritualität in beeindruckender und weite Kreise prägender Art gelebt wird.

Literatur:
Burridge, Peter: The Architectural Development of the Athonite Monastery. In: Bryer, Athony; Cunningham, Mary: Mount Athos and Byzantine Monasticism (Society for the Promotion of Byzantine Studies IV). Aldershot 1996, S. 171–188; Greenfield, Richard P. H.; Talbot, Alice-Mary (eds.): Holy Men of Mount Athos (Dumbarton Oaks Medieval Library 40). Harvard 2016; Müller, Andreas E.: Berg Athos. Geschichte einer Mönchsrepublik. München 2005; Müller, Andreas: „Eine stille Märcheninsel frommer Beschaulichkeit mitten in dem alles mitreißenden und alles wandelnden Strome der Geschichte“? Der Athos im Zeitalter des Nationalsozialismus. In: Flogaus, Reinhard; Wasmuth, Jennifer (Hg.): Orthodoxie im Dialog. Historische und aktuelle Perspektiven (FS Heinz Ohme). Berlin/Boston 2015, S. 337–369.

Andreas Müller, Prof. Dr. theol., Professor für Kirchen- und Religionsgeschichte des 1. Jahrtausends an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Bild: Blick auf den Gipfel des Athos, im Vordergrund ein Turm, der zum Hafen des Klosters Koutloumousiou gehört (Foto: Andreas Müller)

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