Buchbesprechungen
Zwei Buchbesprechungen zu
Jon Mathieu: Mount Sacred;
Emil Hilton Saggau: Nationalisation of the Sacred
Jon Mathieu
Mount Sacred
Eine kurze Globalgeschichte der heiligen Berge seit 1500
Wien: Böhlau 2023, 192 S.
ISBN 978-3-205-21702-2. € 35.–; CHF 46.90.
In seiner „kurzen Globalgeschichte“ geht Jon Mathieu anhand von Beispielen auf fast allen Kontinenten der Vorstellung von „heiligen Bergen“ nach. Aus der Vielzahl der weltweit verehrten Berge portraitiert er einige prominente Fälle wie den Mount Kailash in Tibet, der im 20. Jahrhundert auch im Westen als heiligster aller Berge gerühmt wurde. Zuvor war er bis ins 19. Jahrhundert lediglich regional als hochrangiger Berg bekannt gewesen, in Tibet aber sehr verehrt worden. In China spielten Berge nicht nur lokal, sondern für das ganze Reich sowie die jeweilige Herrscherdynastie eine wichtige Rolle, so der Tai Shan, der „kaiserliche Ostberg“. Global bekannt – und bei Touristinnen und Touristen sehr populär – ist der Uluru in der australischen Wüste. Dort zeigten sich beispielhaft die Konkurrenz verschiedener Vorstellungen von Heiligkeit sowie Ansprüche verschiedener Gruppen auf den heiligen Ort. Letztlich wurde Uluru feierlich der lokalen indigenen Gemeinschaft „zurückgegeben“ und später ein Besteigungsverbot erlassen. Auch in den Black Hills in Nordamerika, wo sich der Mount Rushmore mit den Präsidentenportraits befindet, prallte die Inbesitznahme durch die Siedlergesellschaft auf lokale Vorstellungen und Ansprüche.
Im Gegensatz zu vielen anderen Religionen spielten Berge im Christentum kaum eine Rolle, wie der Natur insgesamt wenig Interesse entgegengebracht wurde, so Mathieu. Daraus erkläre sich auch der Zusammenprall christlicher und nicht-christlicher Vorstellungen in Bezug auf Berge im Kolonialismus, so wie an den Beispielen des Uluru und der Black Hills zu sehen ist. Erst mit dem Aufkommen der Naturforschung und dem daraus entstandenen Alpinismus änderte sich der christliche Zugang zur Gebirgswelt. Dieser Wandel zeigte sich wohl am deutlichsten in der Gipfelkreuz-Bewegung, bei der die Berggipfel sichtbar christlich markiert wurden.
Eine neue Dimension im Umgang mit Bergen eröffnete der aufkommende Natur- und Umweltschutz, insbesondere seit den 1970er Jahren. In den frühen Bemühungen um die Einrichtung von Nationalparks spielten quasi-religiöse Motive durchaus eine Rolle. Zusammen mit der Dekolonisierung erhielten die Religionen indigener Gruppen im Naturschutz eine neue Bedeutung, als Systeme, für die ein sorgfältigerer Umgang mit der Umwelt charakteristisch ist. Dabei sollte die Heiligkeit der Natur sozusagen als Schutzmechanismus dienen. Im 21. Jahrhundert kamen diese Überlegungen laut Mathieu vor allem dank Papst Franziskus, unter anderem mit seiner Enzyklika „Laudato si’“, schließlich auch in der katholischen Kirche an.
Natalija Zenger
Emil Hilton Saggau
Nationalisation of the Sacred
Orthodox Historiography, Memory, and Politics in Montenegro
(= South-East European History, vol. 5)
New York u. a.: Peter Lang 2024, 218 S.
ISBN 978-1-4331-9741-3; CHF 98.-; open access.
Studien zu Montenegro sind selten, Studien zur Kirchenlandschaft des seit 2006 unabhängigen Adrialandes sind noch viel seltener. Umso verdienstvoller ist das Buch des dänischen Forschers Emil Hilton Saggau, der die beiden orthodoxen Kirchenorganisationen im Land – die Serbische Orthodoxe Kirche (SOK) und die in der Gesamtorthodoxie nicht anerkannte Montenegrinische Orthodoxe Kirche (MOK) –, die mit den beiden Kirchen verbundenen nationalen historischen Narrative und die politischen Auseinandersetzungen um sie in den Blick nimmt. Der Zeitrahmen der Untersuchung erstreckt sich von den frühen 1990er Jahren bis 2023 und steht in Verbindung mit zwei prägenden Gestalten der jüngeren Geschichte Montenegros, deren Verhältnis zueinander Saggau als „vielschichtig“ (S. 45) beschreibt: Milo Đukanović, der Langzeitpräsident bzw. -ministerpräsident des Landes, der erst 2023 abgewählt wurde, und Metropolit Amfilohije (Radović), der von 1991 bis zu seinem Tod 2020 der höchste kirchliche Würdenträger der SOK in Montenegro war.
Ausgangspunkt von Saggaus Buch ist die These, dass „das theologische und kirchliche Leben der verschiedenen orthodoxen Gemeinschaften ein wesentlicher Teil des Rahmens für die Wiederbelebung von nationalen Bewegungen und Nationalstaaten ist“ (S. 4). Er grenzt diesen Ansatz, von ihm als „Nationalisierung des Heiligen“ (daher auch der Titel des Buches) bezeichnet, von anderen Forschungsansätzen ab, die er unter der Rubrik „Sakralisierung der Nation“ zusammenfasst. Zweifelhaft ist allerdings, ob sich diese beiden Prozesse wirklich so trennscharf unterscheiden lassen, wie von Saggau insinuiert, oder ob nicht beide Entwicklungen aufeinander Bezug nehmen und sich gegenseitig bedingen.
Unabhängig davon liefert Saggau einen konzisen Überblick über die Auseinandersetzungen zwischen der SOK, der MOK und staatlichen Akteuren in den letzten drei Jahrzehnten, die in dem Konflikt über das Religionsgesetz 2019/20 gipfelten. Eindrücklich zeigt er auf, wie sowohl die SOK als auch die MOK durch die Restaurierung, den Umbau oder die Okkupierung von heiligen Stätten öffentliche Präsenz markieren und sich so als die einzig rechtmäßige Kirche des Landes darzustellen versuchen. Dies macht Saggau für die SOK anhand des verstärkten Kults um den Fürsten Jovan Vladimir deutlich, während umgekehrt die MOK den Kult um das Fürstentum Duklja als Ursprungsmythos etablierte, um aufzuzeigen, dass es sich bei den Montenegrinern und ihrer Kirche um eine andere Gruppe als die Serben und ihre Kirche handelt. Im abschließenden Kapitel vergleicht Saggau den orthodoxen Kirchenkonflikt in Montenegro unter anderem mit denjenigen in Nordmakedonien und in der Ukraine.
Stefan Kube