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Umstrittenes Vorhaben. Ein Gesetz mit vielen rechtlichen Kritikpunkten in der Ukraine

RGOW 09/2024
Natalija Zenger, Dmytro Vovk

Das ukrainische Parlament hat Ende August das Gesetz „Über den Schutz der Verfassungsordnung im Tätigkeitsbereich religiöser Organisationen“ verabschiedet, das informell als Gesetz zum Verbot der Ukrainischen Orthodoxen Kirche bezeichnet wird. Im Interview weist der ukrainische Jurist Dmytro Vovk auf problematische Punkte des neuen Gesetzes hin.

Am 20. August hat die Verchovna Rada, das ukrainische Parlament, das umstrittene Gesetzesprojekt Nr. 8371 in zweiter Lesung angenommen. 265 Abgeordnete stimmten dafür, während 29 dagegen waren und vier sich enthielten. Das Gesetz verbietet auf dem Gebiet der Ukraine die Tätigkeit „ausländischer religiöser Organisationen, die sich in einem Staat befinden, der anerkanntermaßen eine bewaffnete Aggression gegen die Ukraine begangen hat oder begeht und/oder vorübergehend einen Teil des Territoriums der Ukraine besetzt hat, und die direkt oder indirekt (darunter durch öffentliche Auftritte der Leiter oder anderer Leitungsorgane) die bewaffnete Aggression gegen die Ukraine unterstützen“. Das Gesetz war am 19. Oktober 2023 in erster Lesung angenommen worden. Im Juli 2024 hatte eine Gruppe Abgeordneter an einer Parlamentssitzung die Tribüne blockiert, um die Diskussion des Gesetzesprojekts zu erzwingen.

Mit der Verabschiedung des Gesetzes werden lange diskutierte und umstrittene Einschränkungen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) möglich, die bis im Mai 2022 Teil der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) war und der weiterhin Verbindungen zum Moskauer Patriarchat nachgesagt werden. Der ukrainische Präsident Volodymyr Zelenskyj erklärte, das Gesetz verhelfe der Ukraine zu „spiritueller Unabhängigkeit“. Es garantiere, dass Moskau die ukrainische Kirche nicht manipulieren könne, und trage zur spirituellen Einigkeit im Land bei. Am 23. August, dem Tag der Unabhängigkeit der Ukraine, unterzeichnete er das Gesetz.

Metropolit Kliment (Vetscherja), der Leiter der Informationsabteilung der UOK, erklärte in einem Kommentar gegenüber der BBC, dass das Gesetz der ukrainischen Verfassung und internationalen Verpflichtungen der Ukraine widerspreche. Die Vorgänge erinnerten ihn an die „atheistische Ideologie der sowjetischen Zeiten, aber auch an die Methoden, mit denen diese Ideologie umgesetzt wurde“. Gläubige der UOK haben dagegen in einem offenen Brief an Metropolit Onufrij (Berezovskij), das Oberhaupt der UOK, appelliert, auf die staatliche Forderung einzugehen, einen Brief an die ROK über den Austritt der UOK aus ihren Strukturen und die Benachrichtigung der anderen orthodoxen Lokalkirchen darüber vorzulegen. Die UOK habe schon im Mai 2022 ihre Trennung von der ROK verkündet, aber die ukrainischen Behörden und Gesellschaft forderten, dass die UOK diese Entscheide mit offiziellen Briefen belege.

Der Allukrainische Rat der Kirchen und religiösen Organisationen hatte das Gesetz im Vorfeld unterstützt. Am 17. August erklärte er nach einem Treffen mit Präsident Zelenskyj, dass er die Handlungen der ROK kategorisch verurteile, da sie Komplizin in den „blutigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, Massenvernichtungswaffen heiligt und offen die Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit, Kultur, Identität und der Ukrainer insgesamt“ befürworte. Er beteuerte, dass die Religionsfreiheit in der Ukraine trotz des Kriegs respektiert werde. Die Hauptbedrohung für die Religionsfreiheit in der Ukraine sei der russische Angriff, wie in den besetzten Gebieten sichtbar sei. (Natalija Zenger)

Am 20. August hat das ukrainische Parlament nach längeren Diskussionen ein Gesetz verabschiedet, das religiöse Organisationen, die von Russland aus geleitet werden, verbietet. Was beinhaltet das Gesetz?
Dmytro Vovk:Das Gesetz verbietet die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) aufgrund ihrer Rechtfertigung und aktiven Unterstützung der russischen Aggression gegen die Ukraine. Das Gesetz versteht die ROK als Teil des russischen Staates und als eine Komplizin bei den vom russischen Regime begangenen Kriegsverbrechen. Das Gesetz schafft außerdem rechtliche Mechanismen, um ukrainische religiöse Organisationen zu verbieten, die mit der ROK verbunden sind. Dabei ist die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) impliziert, die historisch und kirchlich mit dem Moskauer Patriarchat verbunden ist. Verbindungen mit anderen russischen religiösen Organisationen, die die russische Aggression gegen die Ukraine unterstützen, sind ebenfalls verboten, doch macht der Gesetzestext sehr deutlich, dass das Hauptziel der Gesetzgebung die UOK ist. Der im Gesetz verankerte Begriff der Zugehörigkeit zur ROK ist sehr weit gefasst. Der Staat muss nicht nachweisen, ob die ROK de facto die UOK leitet, dirigiert oder finanziert. Der bloße Fakt, dass die UOK im Statut der ROK erwähnt wird, ist ausreichend, um auf eine Verbindung der beiden Kirchen zu schließen.

Während das Verbot der ROK vor allem symbolischer Natur ist (die ROK könnte ungeachtet des Verbots kaum in der Ukraine tätig sein), sind die rechtlichen Folgen für religiöse Organisationen, die mit der ROK verbinden sind, konkret und praktisch. Nach Inkrafttreten des Gesetzes wird ihnen das Recht entzogen, staatliches religiöses Eigentum zu nutzen; und wenn sie nicht ihre Verbindungen zur ROK abbrechen, werden sie vom Gericht verboten. Dieser Teil des Gesetzes wird um neun Monate aufgeschoben, während dieser Zeit soll die UOK ihre Verbindungen zur ROK kappen.

Es liegt im Ermessen des Staates zu entscheiden, ob eine ukrainische religiöse Organisation mit Russland verbunden ist. Zu diesem Zweck führt die für religiöse Angelegenheiten zuständige staatliche Stelle – der Staatsdienst für Ethnopolitik und Gewissensfreit (DESS) – eine religiöse Expertenuntersuchung durch. Es sei daran erinnert, dass die UOK im Mai 2022 ein Konzil abgehalten hat, bei dem die „völlige Selbständigkeit und Unabhängigkeit“ der Kirche proklamiert wurde. Die Expertenuntersuchung des DESS im Februar 2023 kam jedoch zu dem Schluss, dass die UOK weiterhin ein Teil der ROK sei.

Das Gesetz verbietet auch die Ideologie der sog. „Russischen Welt“ (Russkij mir), die eine politische und spirituelle Kontrolle Russlands über die Ukraine beansprucht. Religiöse Organisationen, die in die wiederholte Verbreitung dieser Ideologie involviert sind, sollen ebenfalls verboten werden. Dabei wird institutionelle Beteiligung wiederum sehr breit verstanden: Wenn ein Priester oder der Vorsitzende eines Gemeinderats die Russische Welt in welcher Form auch immer propagiert, reicht das, um zum Schluss zu kommen, dass die gesamte Organisation beteiligt ist and daher verboten werden kann.

Internationale Beobachter haben die Gesetzesvorlage wiederholt kritisiert. Was sind deren Hauptkritikpunkte?
Aus Sicht der Religionsfreiheit gibt es einige problematische Punkte im Gesetzesentwurf. Der Begriff der „Zugehörigkeit“ zur ROK ist der erste, da das Gesetz Religionen verbietet, die irgendeine Art von Verbindungen zu Russland haben, einschließlich historischer oder kirchlicher Verbindungen. Sie können allein aufgrund der Tatsache dieser Verbindungen verboten werden. Die internationalen Menschenrechtsnormen funktionieren jedoch auf eine andere Weise: Religiöse Organisationen können aufgrund ihrer Beteiligung an illegalen Aktivitäten verboten werden, jedoch nicht wegen ihres kirchlichen Status. Wenn beispielsweise eine religiöse Gemeinschaft die militärische Aggression unterstützt oder das russische Militär mit Ressourcen oder Informationen versorgt oder russische Propaganda verbreitet oder irgendeine Art von Verbrechen begeht und sie dies gemeinsam tut oder die Führung der Gemeinschaft daran beteiligt ist, kann das Verbot dieser Gemeinschaft eine angemessene Maßnahme sein. Das verabschiedete Gesetz gibt jedoch einen anderen Rahmen vor: Es kann dahingehend ausgelegt werden, dass es nicht nur um Straftaten geht, sondern vielmehr um den allgemeinen Beitrag der UOK zur Förderung der Russkij-mir-Ideologie, um das Agieren als ein Stellvertreter für russische Soft power in der Ukraine oder sogar um historische oder kirchliche Verbindungen jeglicher Art zu Russland.

Zudem gehen Menschenrechtsnormen davon aus, dass der Staat in der Regel keine speziellen Rechtsvorschriften benötigt, um religiös bezogene Angelegenheiten zu behandeln. Er sollte das allgemeine Strafrecht oder Normen des öffentlichen Rechts anwenden. Wenn z. B. ein Dieb im Supermarkt etwas gestohlen hat, muss dieser aufgrund der allgemeinen Strafgesetze verfolgt werden; es gibt keine spezifischen Bestimmungen für religiöse Diebe und für säkulare Diebe. Das gleiche gilt bei Straftaten gegen die nationale Sicherheit: man muss Menschen, die an solchen Verbrechen beteiligt sind, auf Grundlage der allgemeinen Rechtsvorschriften strafrechtlich verfolgen. Das ukrainische Strafgesetzbuch verbietet bereits das öffentliche Leugnen der russischen Aggression (Art. 111-1), prorussische Kriegspropaganda (Art. 436), die Rechtfertigung oder Legitimierung der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine und die Verherrlichung ihrer Teilnehmer (Art. 436-2) sowie die Verbreitung von ethnischem und religiösem Hass (Art. 161). Außerdem beweisen die vom Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) gegen Geistliche der UOK eingeleiteten Strafverfahren, dass der Staat in der Lage ist, die allgemeinen strafrechtlichen Normen effektiv anzuwenden, um mit diesen Problemen umzugehen.

Zweitens ist die Auflösung oder Deregistrierung von Religionsgemeinschaften eine Maßnahme des letzten Mittels, wenn weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam sind oder nicht zur Verfügung stehen. Es gibt 40 Gerichtsurteile gegen Geistliche der UOK (zumeist wegen unangemessenen Reden – religiöser Hass und Rechtfertigung der russischen Aggression) und mehr als 100 Strafverfahren, die entweder untersucht oder von Gerichten geprüft werden. Auch wenn es sich hierbei um eine beträchtliche Anzahl handelt, und Personen, die an der Kollaboration mit der russischen Armee beteiligt sind oder zu religiösem Hass anstacheln, strafrechtlich verfolgt werden müssen, ist es dennoch schwierig zu argumentieren, dass es keine andere Lösung für dieses Problem gibt, als die gesamte Kirche mit mehr als 8 000 Gemeinden und 10 000 Geistlichen zu liquidieren.

Drittens ist die Vorstellung, religiöse Gruppen aufgrund ihrer kirchlichen oder historischen Zugehörigkeit zu sanktionieren, ohne dass ein illegales Verhalten nachgewiesen werden muss, in sich widersprüchlich. Wie bereits erwähnt, behauptet die UOK, dass sie nach ihrem Konzil im Mai 2022 völlig unabhängig geworden ist. Der Staat ist allerdings anderer Ansicht und argumentiert, dass die erhaltenen kirchlichen Verbindungen zwischen der ROK und den Gemeinschaften der UOK eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen. Wenn die UOK-Gemeinschaften, die in keinerlei Art in illegales Verhalten verwickelt sind und nicht von der ROK und ihren Einheiten geleitet werden, immer noch gefährlich genug sind, um sie aufzulösen, wird eine formelle Trennung von der ROK sie nicht weniger gefährlich machen. Sie können ihre Loyalität informell aufrechterhalten und genauso gefährlich sein wie zuvor. Wenn jedoch eine offizielle Erklärung der Illoyalität gegenüber der ROK oder der Austritt aus ihr die UOK-Gemeinschaften weniger gefährlich macht, lässt sich mit Sicherheit sagen, dass sie ursprünglich nicht gefährlich waren, da solch eine Erklärung gefälscht oder nachgeahmt sein kann, und der Staat damit zufrieden wäre.

Selbst wenn die UOK sich entscheidet, irgendwie ihre Autokephalie zu erklären, würde dies ironischerweise aus rechtlicher Perspektive noch nicht ausreichen, um Auflösungen zu vermeiden. Denn laut dem Gesetz reicht die bloße Anerkennung der UOK als Teil des Moskauer Patriarchats – z. B. durch ihre Erwähnung im Statut der ROK oder durch die Segnung von Priestern der UOK durch Patriarch Kirill – aus, um von einer Zugehörigkeit der UOK zur ROK auszugehen – selbst wenn die UOK diese Verbindung bestreitet und behauptet, eine autokephale Kirche zu sein.

Und schließlich gibt es auch einige rechtsstaatliche Bedenken hinsichtlich eines möglichen Verbots der UOK, einschließlich der Fähigkeit der Regierung, diese Frage unparteiisch zu behandeln. Ein gutes Beispiel dafür ist die 2023 von religiösen Experten vorgenommene Untersuchung, die der Ansicht war, dass die UOK ein Teil der ROK sei. Religiöse Expertenuntersuchungen haben eine recht problematische Geschichte, da sie in vielen postsowjetischen Ländern gegen Minderheiten angewandt werden, z. B. in Russland gegen die Zeugen Jehovas. Aber auch wenn wir diese Probleme beiseiteschieben, sehen wir, dass die Regierung ein Gremium von Fachleuten ernannt hat, von denen die meisten meiner Ansicht nach öffentlich und lautstark mit der gegnerischen Kirche – der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) – verbunden sind. Dies trägt leider nicht zur Zuverlässigkeit dieser Expertenuntersuchung bei und lässt grundsätzlich an den Absichten der Regierung hinsichtlich der Umsetzung des Gesetzes zweifeln.

Wie ist das weitere rechtliche Vorgehen nach Verabschiedung des Gesetzes?
Nach Inkrafttreten des Gesetzes kann der DESS beginnen, die Zugehörigkeit von UOK-Gemeinschaften zur ROK zu prüfen. Der DESS kann (muss aber nicht) eine religiöse Expertenuntersuchung durchführen, um die Zugehörigkeit zu beweisen. Da die Untersuchung von 2023 bereits die Verbindung der UOK zur ROK bestätigt hat, kann man davon ausgehen, dass eine neuerliche Überprüfung zu dem gleichen Ergebnis kommen würde. Obwohl jede einzelne UOK-Gemeinschaft (Gemeinden, Klöster, Bildungseinrichtungen, etc.) eigene juristische Personen sind, muss der Staat nicht nachweisen, dass jede Gemeinschaft mit der ROK verbunden ist. Es reicht aus, die Zugehörigkeit des leitenden Zentrums – der Kyjiwer Metropolie – nachzuweisen und alle anderen Einheiten der UOK werden automatisch als mit der ROK verbunden angesehen, da sie der Kyjiwer Metropolie unterstellt sind.

Der DESS wird dann an alle UOK-Einheiten eine Anordnung erlassen, ihre Verbindung zur ROK zu kappen. Dafür werden sie 30 Tage Zeit haben (diese Frist kann bis auf 60 Tage verlängert werden). Wenn UOK-Gemeinschaften staatliche oder gemeindliche Immobilien gemietet haben, müssen diese Verträge gekündigt werden, sobald deren Verbindung zur ROK anerkannt ist. Wenn die Anordnung, sich von der ROK zu trennen, nicht erfüllt wird, wird der DESS Klage bei Gericht einreichen. Das Gerichtsverfahren für diese Art von Fällen ist neun Monate aufgeschoben, was bedeutet, dass die DESS relativ schnell die UOK-Gemeinschaften als mit der ROK verbunden anerkennen kann, aber wir keine Gerichtsentscheidungen über die Auflösung von UOK-Gemeinschaften vor dem nächsten Jahr sehen werden.

Alle Fälle gegen UOK-Gemeinschaften werden in die Zuständigkeit eines einzigen Gerichts fallen – des Berufungsverwaltungsgerichts in Kyjiw. Außerdem erlaubt das Gesetz nicht nur dem DESS, sondern auch der Staatsanwaltschaft, Klagen zur Auflösung religiöser Organisationen, die mit Russland verbunden sind, einzureichen. Somit verfügt der Staat über einen relativ wirksamen und schnellen Rechtsmechanismus, um zwar nicht alle 8 000 Gemeinden der UOK zu verbieten, aber zumindest ihre Leitungsorgane – die Kyjiwer und andere Metropolien – aufzulösen.

Wie sind die (kirchlichen) Reaktionen auf die Verabschiedung des Gesetzes, und wie beurteilen Sie das Gesetz?
Die ukrainische Gesellschaft befürwortet das Gesetz sehr. Seit April 2022 beobachten wir eine wachsende öffentliche Forderung nach einem Verbot oder zumindest nach einer strengeren Kontrolle der UOK. In gewisser Weise verbindet das Gesetz den Fall der UOK mit einem parallelen Prozess der sog. Dekolonialisierung der Ukraine, der ebenfalls bei der Mehrheit der Ukrainer auf Anklang stößt. Dazu gehören Maßnahmen wie die Umbenennung von Straßen, die Entfernung von Denkmälern oder Mosaiken, die mit der russischen oder sowjetischen Geschichte in Verbindung stehen, Änderungen in den Lehrplänen der Schulen sowie die Umbenennung von Gütern wie Bier oder Würstchen, weil sie noch sowjetische Namen haben. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist das Problem dabei jedoch, dass es einen offensichtlichen Unterschied zwischen diesen symbolischen Veränderungen und dem Umgang mit Gläubigen gibt, indem man letztere zwingt, einer anderen Kirche beizutreten, oder sie als „nicht gute“ und illoyale Bürger etikettiert.

Die ukrainischen religiösen Akteure haben das Gesetz ebenfalls unterstützt. Die Reaktion der OKU, der Hauptrivalin der UOK, ihrer Anführer und Geistlichen ist erwartungsgemäß eindeutig unterstützend. Die Erklärung des Allukrainischen Rats der Kirchen und religiösen Organisationen ist vorsichtiger, aber ebenfalls eindeutig befürwortend.

Die UOK befindet sich in einem perfekten Sturm. In der Ukraine ist sie sehr unbeliebt. Sie hat die schlechtesten Beziehungen zum Staat in der postsowjetischen Geschichte der Ukraine und sie findet wenig Unterstützung bei den anderen Kirchen und religiösen Gruppen. Das Schweigen der UOK zu den Fällen ihrer Geistlichen, die in Kollaboration mit der russischen Armee verwickelt waren, und ihre zögerliche Haltung, ihre Stimme gegen die Beteiligung der ROK und von Patriarch Kirill persönlich an der russischen Aggression zu erheben, haben die Situation noch verschlimmert. Zudem hat die UOK sehr wenig unternommen, um sich von der internationalen „Verteidigung“ der Kirche seitens der ROK, russischer Diplomaten oder durch solche monströsen Figuren wie den ehemaligen russischen Präsidenten Dmitrij Medvedev zu distanzieren. Daher dürfte das Gesetz meines Erachtens kaum zu öffentlichen Protesten in der Ukraine führen.

Der internationale Kontext ist dem nationalen sehr ähnlich. Zwar stehen die wichtigsten internationalen Akteure im Bereich der Religionsfreiheit, wie z. B. die US-Kommission für internationale Religionsfreiheit, dem Gesetz skeptisch gegenüber, doch bezweifele ich, dass diese Skepsis in irgendeiner Weise den EU-Beitrittsprozess der Ukraine oder die Bedingungen der amerikanischen Hilfe für die Ukraine beeinflussen kann, auch wenn Lobbyisten der UOK in den USA ihre Bemühungen darauf ausrichten. Natürlich kann sich die Situation in den USA ändern, falls Trump die Präsidentschaft gewinnt, aber selbst in diesem Fall wird die religiöse Karte meiner Meinung nach eher als Vorwand dienen, um die Unterstützung für die Ukraine zu begrenzen, aber nicht als wirklicher Grund.

Was bedeutet das für die religiöse Landschaft der Ukraine, die bisher immer als sehr vielfältig und tolerant galt?
Die russische Aggression gegen die Ukraine und insbesondere die groß angelegte Invasion seit 2022 haben zu einer Versicherheitlichung (securitization) der Beziehungen zwischen Religion und Staat und zu innerorthodoxer Konkurrenz geführt, was wiederum die Einmischung des ukrainischen Staates in religiöse Angelegenheiten verstärkt hat. Das Gesetz trägt zu dieser Dynamik bei bzw. beschleunigt sie noch.

Die Ukraine gilt seit jeher als ein postsowjetischer Champion in Sachen Religionsfreiheit. Der relativ hohe Grad des Schutzes von Religionsfreiheit beruhte auf zwei Hauptfaktoren: 1) ein demokratischer und relativ schwacher Staat, dem immer die Macht fehlte, um den religiösen Wettbewerb erheblich einzuschränken und effektive Kontrolle über die Religionen auszuüben; 2) die Spaltung innerhalb der ukrainischen Orthodoxie und die starke Abgrenzung zwischen den verschiedenen orthodoxen Kirchen. Infolgedessen herrschte in der Ukraine ein echter religiöser Pluralismus mit gut etablierten religiösen Minderheiten und einer relativ liberalen Religionsgesetzgebung. Der Krieg und das Gesetz als eine seiner Folgen verändern dieses Modell und drängen die Ukraine zu einem für orthodoxe Mehrheitsländer traditionelleren Modell der Kirche-Staat-Beziehungen mit einer stärkeren Einflussnahme des Staates und – wenn die UOK verboten wird oder nicht mehr als eine Kirche funktioniert – der OKU als informell oder sogar offiziell unterstützter Kirche.

Die politischen Debatten über das Gesetz zeigen auch eine zunehmende Desäkularisierung des ukrainischen politischen Systems. Der politische Diskurs über das Gesetz und die Beziehungen zwischen Religion und Staat insgesamt ist vor allem politisch-theologisch geworden. Begriffe wie spirituelle Unabhängigkeit, ukrainische Spiritualität, kanonisches Territorium, spirituelle Dekolonisierung/Befreiung und die (Un-)Möglichkeit eines zweiten Tomos sind an die Stelle einer echten säkularen, d. h. von religiösen Argumenten getrennten Diskussion über Religion und nationale Sicherheit getreten. Ironischerweise wird diese Entwicklung vom bisher säkularsten ukrainischen Präsidenten, Volodymyr Zelenskyj, vorangetrieben.

Übersetzung aus dem Englischen: Stefan Kube.

Dmytro Vovk, Gastprofessor an der Benjamin N. Cardozo School of Law in New York. Er leitet das Zentrum für Rechtsstaatlichkeit und Religionswissenschaften an der Nationalen Juristischen Universität Jaroslav Mudryj in Charkiv.

Bild: Das Gesetz Nr. 8371 wurde mit großer Mehrheit im ukrainischen Parlament verabschiedet. (Foto: www.risu.ua).

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