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Buchbesprechungen

RGOW 12/2025
Stefan Kube, Regula M. Zwahlen, Natalija Zenger

Vier Buchbesprechungen zu: 

Marie-Janine Calic: Balkan-Odyssee, 1933–1941;
Albrecht Fuess, Heidi Hein-Kircher, Julia Obertreis, Stefan Rohdewald (eds.): Mobility Dynamics between Eastern Europe and the Near East;
Liliya Berezhnaya (ed.): Icons In-Between;
Oleh Shepetiak: Byzantinische Liturgie

Marie-Janine Calic: Balkan-Odyssee, 1933–1941
Auf der Flucht vor Hitler durch Südosteuropa
München: Verlag C. H. Beck 2025, 380 S.
ISBN 978-3-406-83634-3. € 28.–; CHF 42.90.

Wenn von der Balkanroute die Rede ist, denken vermutlich die meisten an die Fluchtbewegungen von Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten über den Balkan nach Westeuropa. Die in München lehrende Südosteuropa-Historikerin Marie-Janine Calic erinnert in ihrem äußerst lesenswerten Buch daran, dass die Balkanländer bereits in den 1930er Jahren für viele Verfolgte und Vertriebene auf der Flucht vor den Nationalsozialisten ein letzter Zufluchtsort waren, als immer mehr europäische Länder ihre Grenzen für Emigranten aus NS-Deutschland verschlossen. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war Jugoslawien das letzte Land in Europa, das den Aufenthalt oder zumindest die Durchreise von Geflüchteten noch duldete. So ist es kaum verwunderlich, dass mindestens 55 000 Menschen nach Jugoslawien flohen. Zu den Geflohenen zählten Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, Juden und Nichtjuden, politische Gegner des NS-Regimes wie Unpolitische. Für viele sollte der Balkan lediglich eine Zwischenstation sein, so hofften jüdische Flüchtlinge – viele letztendlich vergeblich – auf eine Weiterreise per Schiff nach Palästina.

In gekonnter Weise verwebt Calic die Lebensschicksale einzelner Menschen, deren Fluchtwege sie anhand von Ego-Dokumenten (Tagebücher, Briefe) rekonstruiert, mit dem größeren historischen Kontext. So lässt sich auch viel über den Wettstreit der großen europäischen Länder und ihrer jeweiligen Geheimdienste um die Kontrolle der Balkanländer erfahren. Dazu hat Calic Akten von Flüchtlingsorganisationen, Außenministerien und Geheimdiensten verschiedener Länder ausgewertet. Ziel ihres Buches ist es, „die Opferbiografien dem Vergessen zu entziehen und zugleich in exemplarischer Weise auch an die persönlichen Tragödien ungezählter Namenloser zu erinnern“ (S. 9).

Auf ihrer Odyssee – ein Begriff, den viele Betroffene selbst verwendeten, obwohl für viele ihre Irrfahrten im Gegensatz zum antiken Helden keineswegs glücklich endeten – durch Südosteuropa verfolgt Calic u. a. die Lebenswege des Theaterstars Tilla Durieux und des Schriftstellers Manès Sperber in Zagreb, des Malers Richard Ziegler auf der Insel Korčula sowie einer bunten Gruppe Berliner Emigranten in dem dalmatinischen Fischerdorf Zaton Mali. Nachdem der Byzantinist Georg Ostrogorsky aufgrund des „Arierparagrafen“ seine Anstellung an der Breslauer Universität verloren hatte, nahm ihn die Belgrader Universität auf, wo für Ostrogorsky „eine äußerst produktive Schaffensperiode“ begann (S. 58). Tilla Durieux erlebte am 6. April 1941 den Angriff der deutschen Luftwaffe auf Belgrad und überlebte den Krieg in Zagreb. Sie baute das Puppentheater in Zagreb mit auf und nach ihr ist heute ein kroatischer Verlag benannt.

Stefan Kube

Albrecht Fuess, Heidi Hein-Kircher, Julia Obertreis, Stefan Rohdewald (eds.): Mobility Dynamics between Eastern Europe and the Near East
Exploring a Cross-Regional Shared History
(= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 96)
Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024, 279 S.
ISBN: 978-3-515-13736-2. € 54.–; CHF 74.90.

Die vielfältigen Beziehungen zwischen Osteuropa und dem Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika sind ein bisher unterbelichtetes Forschungsfeld der Osteuropastudien, kombiniert mit einer asymmetrischen Erforschung außereuropäischer Kulturräume vor allem im deutschsprachigen Raum, die oft nur russischsprachige Quellen berücksichtigten. Das scheint sich allmählich zu ändern, wie der Autor des Beitrags über „Verflechtungen zwischen Russland und der Türkei im 20. und 21. Jahrhundert“ in diesem Sammelband positiv vermerkt (S. 248).

Der Band vereint Beiträge aus einer sog. „transosmanischen Perspektive“, die das Osmanische Reich als vormoderne Schnittstelle betrachtet, die Osteuropa und den Mittleren Osten miteinander verknüpfte. Die neue Forschung richtet den Blick auf eine „transosmanische Migrationsgesellschaft“, in der jüdische, armenische, griechische, arabische und Multani-Kaufleute eher als „Zirkulationsgesellschaften“, denn als „Diaspora“ und das Osmanische Reich als Drehscheibe für Wissensaustausch betrachtet werden. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch die pastoralen und diplomatischen Aktivitäten der orthodoxen Kirchenleitungen in diesem Raum (S. 15–17). Auch wenn viele Fragen noch offenbleiben – etwa ob das Russische Reich im Mittleren Osten eher als europäische oder als asiatische Macht wahrgenommen wurde – bietet der Band zum Thema ein spannendes Kaleidoskop von der Frühen Neuzeit bis heute.

Eine wichtige Rolle spielt in mehreren Beiträgen die Multireligiosität der Regionen, bzw. die damit verbundene „Berufung“ des Russischen Reichs, die Orthodoxie weltweit zu beschützen (S. 50). Weitere faszinierende Beiträge fokussieren auf die westeuropäischen und russischen christlichen Interessen in Palästina, die Darstellung des Antisemitismus in Europa (v. a. Rumänien und Polen) in der arabischen palästinensischen Presse der Zwischenkriegszeit („Jihad against the Jews“) und die Rehabilitation orthodoxer Institutionen zwecks Aufrechterhaltung des sowjetischen Einflusses im Mittleren Osten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Andere Beiträge konzentrieren sich auf muslimische Akteure, z. B. wie muslimische Tataren auf antitrinitarische reformatorische Schriften eingingen. Weitere Autoren verweisen auf ähnliche Formen der „inneren Kolonisierung“ in Westpreußen, Russland und im Osmanischen Reich, präsentieren den grenzüberschreitenden türkisch-sowjetischen Kommunismus, die ökonomischen Verbindungen zwischen den sozialistischen osteuropäischen Ländern mit Syrien, Ägypten, Iran und Irak sowie die Rezeption der Sowjetunion in Reiseberichten ägyptischer und syrischer Besucher.

Regula M. Zwahlen

Liliya Berezhnaya (ed.): Icons In-Between
Eastern Christian Art from Border Areas Belarus, Ukraine, Romania, Western Balkans, Greece
Recklinghausen 2025, 132 S.
ISBN: 978-3-9104404-3. € 24.90.

Begleitend zur Ausstellung „Icons In-Between“ im Ikonenmuseum Recklinghausen vom 25. Januar bis 6. Juli 2025 ist ein Katalog erschienen, in dem die Exponate großformatig abgebildet und von einordnenden Texten begleitet sind. Die Ausstellung widmete sich Ikonen aus den Grenzregionen des Russischen, Habsburger und Osmanischen Reichs – Übergangsgebieten mit sich verschiebenden Grenzen, in denen verschiedene Kulturen in Kontakt kamen. Die Kuratorin der Ausstellung, Liliya Berezhnaya, wollte mit der Ausstellung die vielfältigen Wege untersuchen, auf denen östliche und westliche ikonografische Traditionen interagieren. Dem westlichen Publikum sollte ostchristliche Kunst präsentiert werden, die vertraut wirkt, da es in den katholischen und protestantischen Kirchen ähnliche Bildprogramme gibt. Zudem sollte die Ausstellung die „gemeinsamen Wurzeln der christlichen Ikonografie, die Schnittstellen zwischen Traditionen, die Entwicklung spezifischer ostchristlicher ikonografischer Zentren und die Netzwerke, die sie über eine lange historische Periode verbanden, demonstrieren“ (S. 12).

In ihrem Einführungstext stellt Berezhnaya die verschiedenen ikonografischen Zentren in den Randzonen der Imperien und ihre vielfältigen Verbindungen innerhalb Europas vor. Anhand von Bildmaterial zeigt sie auf, wie ikonografische Muster aus anderen Konfessionen in ostchristliche Ikonen Eingang fanden, einem Thema, dem unter dem Titel „Interkonfessionalität“ der erste Teil der Ausstellung gewidmet war. Zu dieser Interkonfessionalität gehörte auch die Inkorporation von „fremden“ theologischen Elementen und Ritualen. So taucht das Element der Krönung Mariens, die in der katholischen Ikonografie ab dem 13. Jahrhundert sehr populär war, von der Orthodoxie als Ritual aber nicht offiziell anerkannt ist, in mehreren Exponaten auf. Der zweite Teil der Ausstellung stand unter dem Begriff der „Transkonfessionalität“, der sich unter anderem auf die gemeinsame – von Gläubigen verschiedener Konfessionen – Verehrung wundertätiger Ikonen bezieht.

Im zweiten Teil des Katalogs sind die Ikonen, die aus dem späten 15. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts stammen, abgebildet. Fast die Hälfte der Exponate gehört zu privaten Sammlungen, viele der Werke waren zum ersten Mal in Deutschland ausgestellt. Alle Werke sind von ausführlichen Erläuterungen begleitet, die über die Inhalte und Entstehung der Darstellungen informieren. Der in hoher Qualität gedruckte Katalog bietet einen aufschlussreichen und sehr anschaulichen Einblick in die orthodoxe Ikonografie aus den Kontaktzonen der verschiedenen Reiche, und ist auch für interessierte Laien eine spannende Lektüre.

Natalija Zenger

Oleh Shepetiak: Byzantinische Liturgie
Eine Einführung
Regensburg: Verlag Friedrich Pustest 2025, 220 S.
ISBN 978-3-7917-3609-9. € 22.–; CHF 34.90.

Durch die kriegsbedingte Flucht vieler Ukrainerinnen und Ukrainer in den deutschsprachigen Raum ist ostkirchliches Leben in den letzten Jahren hierzulande nochmals sichtbarer geworden. Viele römisch-katholische und evangelische Kirchgemeinden haben orthodoxen oder griechisch-katholischen Gläubigen Gastrecht in ihren Gotteshäusern gewährt, wissen aber oftmals wenig über deren Liturgie, Gebetspraxis und Frömmigkeit. Hier setzt das Buch von Oleh Shepetiak, Priester der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, an, das aus Vorlesungen an der Katholisch-Theologischen Universität der Ruhr-Universität Bochum entstanden ist. Vor dem Hintergrund der Fragen von Studierenden und westlichen Fachkollegen ist es das Ziel von Shepetiaks Buch, „westlichen Leserinnen und Lesern die Tür zum östlichen Christentum“ zu öffnen (S. 10). Es geht daher vor allem um grundlegende „Basics“, wobei der Autor bewusst auf eine historische Darstellung der Liturgieentwicklung verzichtet hat, da es sich um eine praxisorientierte Darstellung handelt. Aus diesem Grund wird auch auf Quellen- und Literaturangaben verzichtet (S. 13).

Das Buch gliedert sich in 13 Kapitel, die von den unterschiedlichen liturgischen Riten der Ostkirchen über den Kirchenkalender, das Kirchenjahr, den Aufbau des Kirchengebäudes, den Verlauf der Eucharistiefeier, die Gebetspraktiken, die Rolle der Geistlichen, das Verständnis der Sakramente bis zur Bedeutung und Theologie der Ikonen verschiedene Aspekte der ostkirchlichen Tradition und Spiritualität in den Blick nehmen. So erklärt Shepetiak die Unterschiede zwischen dem Julianischen, Gregorianischen und Neujulianischen Kalender, wobei er auch auf den Koptischen Kalender eingeht. Bei den Gedenktagen für Heilige vermerkt Shepetiak kritisch, dass die Klassifizierung der Heiligen in der byzantinischen Tradition „keinen Platz für Laien oder gar Diözesanpriester hat. Um heiliggesprochen zu werden, muss ein Laie oder Diözesanpriester entweder Mönch werden oder als Märtyrer sterben“ (S. 59).

Gut nachvollziehbar erklärt Shepetiak auch den Ablauf der Göttlichen Liturgie mit ihren Gesängen, Gebeten, Lesungen und Zeichenhandlungen. Dabei verweist er auch auf liturgische Unterschiede zwischen den byzantinisch-orthodoxen und griechisch-katholischen Kirchen. Besondere Aufmerksamkeit erfährt auch die Gebetspoesie des byzantinischen Ritus: Troparia, Stichera, Kondakia und der Hymnos-Akathistos. Für interessierte Laien, die zum ersten Mal mit der byzantinischen Liturgie in Kontakt kommen und mehr darüber erfahren möchten, hat Shepetiak eine gut lesbare Einführung geschrieben.

Stefan Kube

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