
„Du bist nicht zuständig!“ Studenten- und Bürgerproteste in Serbien
RGOW 05/2025
Serbien erlebt seit Monaten die größten Proteste seiner Geschichte. Getragen werden sie von Studierenden, denen sich inzwischen breite Bevölkerungsgruppen angeschlossen haben. Zentral für den bisherigen außergewöhnlichen Erfolg sind die horizontale Organisation ohne Führungsfiguren, Distanz zu bestehenden Oppositionsparteien und der Fokus auf Rechtstaatlichkeit. Zuletzt haben die Studierenden Neuwahlen gefordert.
Als im November 2024 in Serbien Anti-Regierungsproteste begannen, hatte wahrscheinlich niemand geglaubt, dass diese in den folgenden sechs Monaten so sehr an Intensität gewinnen würden, dass sie zu den größten in der serbischen Geschichte und zu den größten Studentendemonstrationen europaweit seit 1968 werden würden, ohne absehbares Ende. Dieser anfängliche Unglaube hing vor allem damit zusammen, dass über die vergangenen zehn Jahre diverse politische oder gesellschaftliche Anlässe immer wieder zu massiven Bürgerprotesten gegen das Regime von Präsident Aleksandar Vučić geführt hatten: Mal waren sie gegen intransparente und korruptionsverdächtige Großbauunternehmen in Belgrad gerichtet (2015/2016), mal gegen den umweltschädigenden Abbau von Lithium (2022 und 2024), mal gegen die im Alltag immer präsentere Gewalt (2023). Doch all diese Proteste, obwohl sie anfangs stets schnell Zehntausende mobilisieren und auf die Straßen bringen konnten, hielten aus verschiedenen Gründen nie länger als einige Monate an, erreichten keinen nennenswerten politischen Erfolg und fügten dem Regime keinen langfristigen Schaden zu. Im Gegenteil, in der Regel folgte auf jede Protestwelle eine weitere Stärkung der autoritären Macht des serbischen Präsidenten Vučić und der von ihm de facto geführten Serbischen Fortschrittspartei (SNS).
Was macht also die jetzigen Proteste anders? Drei Umstände scheinen dafür relevant zu sein: der Anlass, die Anführer und die Hauptakteure sowie der Effekt des überlaufenden Fasses.
Der Anlass: Einsturz des Bahnhofsvordachs
Am 1. November 2024 stürzte am helllichten Tag das Vordach des Hauptbahnhofs in der zweitgrößten serbischen Stadt Novi Sad ein – 14 Menschen starben, darunter auch Kinder. Zwei weitere Opfer erlagen später ihren Verletzungen. Sowohl der serbische Bauminister Goran Vesić als auch der serbische Präsident Aleksandar Vučić unterstrichen in ihren ersten Stellungnahmen am gleichen Tag, dass das Vordach nicht Teil der umfassenden und seit Jahren andauernden Sanierung des Bahnhofsgebäudes gewesen sei, und dass somit unklar sei, wie es zum Unglück kommen konnte. Die übliche Taktik führender Politiker in Serbien bei Vorfällen solcher Art, erst einmal jegliche Verantwortung von sich zu weisen, ging diesmal jedoch nicht auf, denn bereits in den folgenden Tagen widerlegten dies zahlreiche Fachleute, unter ihnen Bauingenieure, die als Experten an der Renovierung des Bahnhofs beteiligt gewesen waren. Anhand von öffentlich zugänglichen Bauunterlagen zeigten sie, dass auch am eingestürzten Vordach Arbeiten vorgenommen worden waren und dieses somit keineswegs während der Renovierungsarbeiten unberührt geblieben war. Zusätzlich wurde das Bahnhofsgebäude an gleich zwei Anlässen 2022 und 2024 mit einem Festakt offiziell durch führende SNS-Politiker eröffnet. Damit wurde nicht nur signalisiert, dass die Arbeiten abgeschlossen waren, sondern vor allem, dass die Sicherheit geprüft und gewährleistet wurde.
Einen Tag nach der Tragödie begannen sich Bürger spontan in Novi Sad zu versammeln und den Straßenplatz vor dem Bahnhof zu blockieren. Am folgenden Tag taten dies auch mehrere hundert Bürger in Belgrad, und täglich wurden es mehr. Auch wenn während dieser Anfänge der Protestbewegung die Situation manchmal eskalierte, wie etwa am 5. November vor dem Rathaus von Novi Sad, wobei es zu Polizeieinsätzen, Verletzten und Festnahmen kam, blieben die Proteste stets friedlich. Vor und an den Gebäuden der wichtigsten Regierungsinstitutionen, etwa dem Bauministerium und der Regierung, hinterließen die Protestierenden lediglich die Abdrücke ihrer vorher mit roter Farbe bemalten Handflächen, womit sie das Blut an den Händen der regierenden Politiker symbolisierten. Auch wurden bald Forderungen formuliert: die Feststellung der politischen und strafrechtlichen Verantwortung für das Unglück, der Rücktritt von Ministerpräsident Miloš Vučević, dem ehemaligen Bürgermeister von Novi Sad, und des regierenden Bürgermeisters von Novi Sad sowie die Veröffentlichung aller für geheim erklärten Verträge im Zusammenhang mit der Renovierung des Bahnhofs in Novi Sad. Ab Mitte November kam es bei den Protesten erstmals zu der Aktion „Halte inne, Serbien“, die neben den roten Händen zu einem weiteren bleibenden Symbol geworden ist: Täglich um 11:52 Uhr, der Uhrzeit, zu der sich das Unglück ereignete, blieben alle Protestierenden für 14 Minuten in Stille stehen, eine Minute für jedes Opfer[1], und blockierten somit jeglichen Verkehr. An dieser Aktion begannen sich bald auch Studierende und Lehrende serbischer Universitäten zu beteiligen, indem sie den Unterricht verließen und vor dem jeweiligen Fakultätsgebäude still mitten auf der Straße standen.
Auch wenn es in der Zwischenzeit zu ersten politischen Rücktritten, etwa des aktuellen und ehemaligen Bauministers und der Direktorin des staatlichen Bahnunternehmens, sowie zum Erstatten erster Strafanzeigen und Festnahmen von verantwortlichen Angestellten verschiedener Behörden kam, nahm die Entschlossenheit der Protestierenden nicht ab. Während der 15-minütigen Stille vor der Akademie für Dramaturgie (Filmhochschule) der Universität Belgrad ereignete sich Ende November 2024 einer der Schlüsselmomente der Proteste: auf die friedlich protestierenden Studierenden und Professoren wurde ein offensichtlich organisierter, gewalttätiger Angriff von teils maskierten Personen verübt, unter denen sich auch Kommunalpolitiker der SNS befanden. Da die Staatsanwaltschaft daraufhin trotz vorliegender Beweise nichts unternahm, um die Angreifer anzuzeigen, besetzten die Studenten aus Protest die Akademie und blockierten bis auf weiteres jede weitere Tätigkeit. Ihnen folgten in den kommenden Tagen auch Studierende anderer Fakultäten in Belgrad, Novi Sad, Kragujevac und Niš. Sie besetzten ihre jeweiligen Fakultätsgebäude und verließen diese von nun an täglich nur zu Protestkundgebungen und für die 15 Schweigeminuten oder wenn bestimmte koordinierte Demonstrationen organisiert wurden.
Die Akteure: Studierendenbewegung
Spätestens ab diesem Moment nahmen die Studierenden die Proteste in ihre Hände. Sie definierten vier Bedingungen, um die Besetzung der Fakultäten wieder zu beenden: die Veröffentlichung der gesamten Dokumentation in Bezug auf die Sanierung des Bahnhofs in Novi Sad; das Fallenlassen der Anklagen gegen festgenommene Studenten und Bürger während der Proteste; die Erhebung von Strafanzeigen gegen die Angreifer auf die protestierenden Studenten und Professoren; eine Budgeterhöhung von 20 Prozent für alle staatlichen Hochschulen in Serbien.
Somit lag der Ball nun bei den zuständigen staatlichen Behörden, allen voran der Staatsanwaltschaft und den Gerichten, sowie bei der Regierung und jenen Ministerien, die für die Sanierung zuständig waren. Diese bezogen jedoch nicht Stellung. An ihrer Stelle reagierte auf all dies in üblicher Manier Präsident Vučić, der am 13. Dezember in einer seiner nahezu täglichen Ansprachen an die Öffentlichkeit verkündete, dass die Regierung alle verlangten Dokumente veröffentlicht habe, dass das Budget für Hochschulen durch einen Regierungsbeschluss um 20 Prozent erhöht wurde, dass alle festgenommenen Demonstranten freigelassen wurden, während gegen Angreifer auf Studenten Untersuchungen vorgenommen würden. Die Forderungen der Studenten seien somit erfüllt.
Die Eile, diese Angelegenheit so schnell wie möglich für beendet zu erklären, beruhte unter anderem darauf, dass das Regime nicht nur die Proteste so schnell wie möglich eindämmen wollte, sondern auch weil sie einer von den Studierenden für den 22. Dezember angekündigten Massenkundgebung in Belgrad den Wind aus den Segeln nehmen wollte. Doch die Studenten ließen sich weder beeindrucken noch einschüchtern. Im Gegenteil, in ihrer Reaktion richteten sie dem Präsidenten das aus, was die Essenz ihrer Forderungen unterstrich und zum geflügelten Wort der Bewegung werden sollte: „Du bist nicht zuständig.“ („Nisi nadležan“).[2] Damit meinen sie, dass alle staatlichen Institutionen in Serbien damit beginnen sollen, eigenständig ihre Zuständigkeiten zu erfüllen, im Einklang mit den Prinzipien der Gewaltenteilung und zugunsten der Bürger, und dass nicht der Präsident, der seit Jahren weit über seine verfassungsrechtlichen Befugnisse hinaus regiert und alle Macht in seinen Händen konzentriert, dies tut und wie gewohnt über alles entscheidet. Somit zeigten die Studierenden, dass der Ruf nach Rechtsstaatlichkeit subversiver sein kann als anarchistische Gewalt.[3]
In einem zweiten Schritt organisierten die Studierenden Arbeitsgruppen, an denen sich Professoren und Dozentinnen sowie außeruniversitäre Experten beteiligten, und veröffentlichten anschließend eine Stellungnahme dazu, welche ihrer Forderungen und in welchem Ausmaß bis zu diesem Zeitpunkt weiterhin nicht erfüllt waren. Sie listeten unter anderem auf, welche Bauunterlagen weiterhin fehlten, und als das Regime daraufhin alle paar Tage immer wieder auf Druck weitere Unterlagen veröffentlichte (herausrückte wäre das richtige Wort), wurde klar, dass vieles in Bezug auf das Unglück weiterhin intransparent war, und die Regierung keineswegs die Karten offenlegen wollte.
Die Taktik der Studenten zeigte auf diese Weise ihre ersten Erfolge und anders, als bei den Protesten der vorherigen Jahre in Serbien, konnte das Regime diesmal nicht mit seinen üblichen Tricks davonkommen. Diese beinhalteten in der Vergangenheit unter anderem eine radikale Diffamierung der Anführer der jeweiligen Proteste in den regimenahen Medien und oftmals zogen sie einige Oppositionspolitiker in einen Dialog hinein, um sie anschließend gegeneinander auszuspielen. Doch diesmal sind es die Studenten, die dem Regime einen Schritt voraus sind: seit Beginn der Proteste treten sie ganz bewusst ohne Anführer auf, sie veröffentlichen nur kollektiv unterschriebene schriftliche Stellungnahmen und lassen auch die Oppositionsparteien außen vor. Mehr noch, sie unterstreichen, dass sie sich nicht als politische Bewegung sehen, keine politische Forderungen haben (etwa nach einem Regimewechsel), sondern lediglich einen Rechtsstaat verlangen, in dem jede Institution in ihrem Zuständigkeitsbereich bleibt und handelt. Daher sei auch kein Dialog nötig, es reiche, dass die Institutionen ihre Arbeit machten und die Blockaden würden ein Ende nehmen. Die ersten Monate versuchten das Regime und die ihm nahestehenden Boulevardmedien noch, einzelne Studenten ins Visier zu nehmen, diffamierten sie und ihre Familien sowie die Studierenden insgesamt etwa als Terroristen und Anarchisten, die von ausländischen Geheimdiensten bezahlt würden, um in Serbien eine Farbrevolution anzuzetteln. Doch all diese Angriffe ließen das Image der Studenten in der Öffentlichkeit unbeschädigt, mehr noch, die Unterstützung der Bürger für sie und ihre Forderungen stieg seit Dezember 2024 stetig.
Ein weiterer Unterschied zu früheren Bürgerprotesten ist zweifelsfrei auch der Mobilisierungserfolg der Studentenbewegung. Nicht nur gelang es ihr in kurzer Zeit, die Mehrheit aller Studierenden an allen Universitäten in Serbien für sich zu gewinnen, sie erhielt dafür auch die unzweideutige Unterstützung der Mehrheit aller Lehrenden an den Universitäten. Diesen schloss sich Ende Dezember eine Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer der Oberstufenschulen an, die einen Schulstreik ausriefen, der in verschiedenen Formen ebenfalls weiterhin andauert. Weiter stießen immer wieder auch Rechtsanwaltsvereinigungen, Kulturinstitutionen, Landwirte und Angestellte im IT-Sektor zu den Protesten und Streiks.
Das überlaufende Fass
Enorme Unterstützung leisten auch Bürger, die zwar ihrem Arbeitsalltag nachgehen, aber dennoch einen Weg finden, um an den täglichen Kundgebungen und Schweigeminuten teilzunehmen und somit zum Erhalt der kritischen Masse beitragen. Wie groß deren Unterstützung ist, kommt vor allem bei einzelnen Großprotesten zum Ausdruck, welche die Studenten zu verschiedenen Anlässen in verschiedenen Städten Serbiens organisieren, wenn es zu ganztägigen Blockaden von zentralen Stadtteilen oder größeren Brücken kam. Der bisher umfangreichste Protest dieser Art fand am 15. März 2025 statt, als sich auf Aufruf und organisiert von Studierenden in Belgrad mehr als 300 000 Menschen versammelten. Bei dieser Demonstration kam es zu einer der bisher gewalttätigsten Interventionen des Regimes, als während der 15-minütigen Stille allem Anschein nach eine sog. Schallkanone eingesetzt wurde. Diese erzeugte eine kurzzeitige Panik unter den Protestierenden, die verheerende, einer Stampede ähnliche Folgen hätte haben können. Mehrere hundert Bürger berichteten anschließend von Gehörschäden und Angstzuständen. Das Regime hingegen stritt alles ab und behauptete, die Panik sei eine Inszenierung von zehntausenden Menschen gewesen, organisiert durch die Studenten und ausländische Geheimdienste.
Einerseits sind es sicherlich die Studierenden, ihre Distanzierung sowohl vom Regime als auch von den etablierten Oppositionsparteien, ihre neutrale Haltung gegenüber sonst spaltenden Themen (z. B. Russland, EU-Integration, Lithiumabbau) sowie die Art, wie sie die Proteste gestalten, die eine solche enorme und anhaltende Unterstützung der Bürger zur Folge haben. Andererseits handelt es sich aber auch um die Kulmination eines jahrelangen gesellschaftlichen Prozesses, in dem sich die Bürger zu vereinigen scheinen. Vor allem die beiden Amokläufe im Mai 2023, einer davon an einer Gesamtschule im Zentrum Belgrads, rüttelten die Bürger auf, und das Unglück von Novi Sad verstärkte das allgemeine Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber einem korrupten Regime, staatlichem Missbrauch und fehlender Rechtsstaatlichkeit auf Kosten der Sicherheit der Bürger Serbiens. Sie alle, wie später metaphorisch formuliert wurde, stünden seit Jahren gemeinsam unter einem Bahnhofsvordach, das jederzeit einstürzen könnte. Es ist somit eine Mischung aus Schmerz, Angst und Wut, die die Bürger vereint, weil sie nicht mehr in einem solchen System leben wollen. Gerade in kleineren Orten fernab der Hauptstadt Belgrad nimmt der Mut der Bürger zu, ihrem Unmut Ausdruck zu geben und gegen korrupte Lokalpolitiker aufzustehen. Dieses wachsende Bewusstsein ist zweifelsfrei ein Wandel, den die Studentenbewegung herbeigeführt hat, und das Regime fürchtet sich zurecht vor der Wut der Bürger, die seit mehr als einem Jahrzehnt Grundwerte nicht mehr vertreten sehen.
Wer hat den längeren Atem?
Auch wenn die Studierenden trotz des steigenden Drucks, vor allem seitens des Regimes auf die Universitäten und die Dekane, nicht ans Aufgeben denken, stellt sich sechs Monate nach Beginn der Proteste die Frage, wer letztendlich den längeren Atem haben wird: das Regime oder die Studenten. Auch wenn die Umfragewerte von Präsident Vučić und der SNS fallen, bleibt das politische und wirtschaftliche System in Serbien von ihnen bestimmt, während es den Oppositionsparteien in diesen Zeitraum nicht gelungen ist, sich auf eine konstruktive Weise zu konsolidieren. Somit fehlt weiterhin ein Schlüsselfaktor für einen politischen und gesellschaftlichen Wandel, was den Studierenden eine zusätzliche Last aufbürdet. Zudem haben die Studierenden abgesehen von einzelnen, oftmals auch nur deklarativen Ermutigungen keine greifbare Unterstützung seitens der EU erfahren. Im Gegenteil, außerhalb Serbiens konnte sich Präsident Vučić diese sechs Monate sicher im Amt fühlen und blieb bei sämtlichen bilateralen und multilateralen Treffen auf höchster Ebene von Kritik verschont, was ein ernüchterndes Signal für die Zivilgesellschaft Serbiens darstellt.
Es ist ebenso klar, dass die Studierenden langsam an ihre Grenzen gelangen, und dass die Erfüllung ihrer Forderungen im Grunde eine de facto Selbstauflösung des SNS-Machtapparates voraussetzen würde. Vermutlich auch aus diesem Grund, gepaart mit der Furcht, dass im Sommer die Taktik des Regimes aufgehen könnte, die Protestierenden durch Ignoranz zu zermürben, haben die Studierenden am 5. Mai für eine neue Überraschung gesorgt und außerordentliche Parlamentswahlen gefordert. Damit aber zogen sie nicht ihre ursprünglichen vier Forderungen zurück, im Gegenteil: Die Neuwahlen und eine neue Regierung seien, so die Studierenden in ihrer Stellungnahme, für die Umsetzung ihrer Forderungen offenbar nötig, da die jetzige Regierung nicht in der Lage sei, diese selbst nach sechs Monaten zu erfüllen. Und bis die Forderungen durch eine neue Regierung nicht erfüllt seien, würden sie die Proteste nicht aufgeben.
Somit ist die Gesellschaft Serbiens an einem Punkt gelangt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Die Wahlbedingungen werden wie in den letzten zehn Jahren nicht fair sein, Manipulationen seitens des Regimes können erwartet werden, das zentrale Wählerverzeichnis mit tausenden registrierten Scheinwählern der SNS wird problematisch bleiben. Außerdem werden die Medien, allen voran das öffentlich-rechtliche Fernsehen, dem propagandistischen Missbrauch der SNS ausgesetzt bleiben, während das Regime, vor allem so lang kein Druck von der EU kommt, weder Kompromisse eingehen noch eine offene und demokratische Wahlkampagne fördern wird. Aber die Studierenden glauben dennoch den Unterschied machen zu können, und eine große Mehrheit der Bürger Serbiens hofft mit ihnen.
Anmerkungen:
[1]) Als zwei weitere Verletzte im November 2024 bzw. im März 2025 verstarben, dauerte das Schweigen 15 bzw. 16 Minuten.
[2]) Ähnlich reagierten sie auch Ende Januar, als nach einem Zwischenfall, bei dem Mitglieder der SNS in Novi Sad mehrere Studenten gewalttätig angriffen, Ministerpräsident Vučević zurückgetreten war. Die Studenten ließen lediglich verkündigen, dass sie dies gar nicht verlangt hätten und sie weiterhin auf die Erfüllung ihrer ursprünglichen Forderungen warteten.
[3]) Žižek, Slavoj: The New Face of Protest, Project Syndicate, 13. Februar 2025.
Irena Ristić, Dr., Institut für Sozialwissenschaften, Belgrad.
Bild: Die Protestierenden fordern am „Generalstreik“, dass Politiker und Beamte Verantwortung übernehmen (Foto: Gavrilo Andrić/protesti.pics).