
Friede Allen: Solidarität mit verfolgten russischen Geistlichen
RGOW 06/2025
Der Verein Friede Allen unterstützt russische Geistliche, die wegen ihrer Antikriegshaltung verfolgt werden. Zugleich bietet er ihnen eine Plattform und verbreitet ihre kritischen Ansichten. Dafür wird die Organisation von staatlichen Stellen in Russland und der Russischen Orthodoxen Kirche angegriffen.
Der Verein Friede Allen[1] wurde im Oktober 2023 in Deutschland gegründet, als klar wurde, dass die Verfolgung von Kriegsgegnern unter Geistlichen in Russland systematisch geworden war.[2] Zu diesem Zeitpunkt waren etwa zehn Priester sanktioniert, weil sie sich geweigert hatten, das Gebet für den „Sieg der Heiligen Rus“ zu beten, und sich öffentlich gegen den sog. „heiligen Krieg“ ausgesprochen hatten. Die Gründer, Vater Valerian Dunin-Barkovsky, die Journalistin Svetlana Neplikh-Thomas, der Musiker Pavel Fahritdinov und ich, erkannten den Handlungsbedarf. Es dauerte eine Weile, uns als Verein registrieren zu lassen. Heute leistet Friede Allen direkte Hilfe oder koordiniert diese für rund 30 Priester, von denen die meisten wegen ihrer Weigerung, das berüchtigte Gebet zu sprechen, unter Druck geraten sind. Einige der unterstützten Priester sind aus Russland geflohen, während andere geblieben sind, einige davon anonym, um sich und ihre Familien zu schützen.
Kirchliche und staatliche Repressionen
Die Priester, denen wir helfen, sind sowohl vom Moskauer Patriarchat als auch vom russischen Staat Repressionen ausgesetzt. Als der Krieg begann, war Vater Ioann Kurmojarov schon kein Mitglied des Moskauer Patriarchats mehr, da er sich einer alternativen Jurisdiktion angeschlossen hatte. In seinen Videos kritisierte er Russlands Angriff aus Sicht der christlichen Lehre. Ein Ausschnitt, in dem Vater Ioann anführt, dass in der Ukraine getötete russische Militärangehörige in die Hölle und nicht in den Himmel kommen, ist populär geworden. In Anspielung auf Vladimir Putins Aussage, dass „wir als Märtyrer sterben werden“, sagte Vater Ioann: „Ins Paradies kommen die ‚seligen Friedensstifter‘, ‚Friedensstifter‘ – seht ihr das Problem? Und diejenigen, die den Angriff entfesselt haben – sie werden nicht im Paradies sein.“ Vater Ioann wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, am 1. August 2024 kam er frei. Wir unterstützten ihn beim Umzug nach Frankreich mit einem humanitären Visum.
Eines der ersten Opfer war Vater Ioann Burdin aus der Eparchie Kostroma. Er wurde von seinen eigenen Gemeindemitgliedern denunziert, ein örtliches Gericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe wegen einer Predigt am Sonntag der Vergebung im März 2022. Er wurde entsprechend den Kirchlichen Kanones der Hl. Apostel von seinem Amt suspendiert („Wenn jemand seinen Bischof lästert“), weil in seinem Blog „Blasphemie gegen die Kirche“ festgestellt wurde. Ein jüngeres Beispiel ist Vater Nikolaj Savtschenko aus St. Petersburg. Er wurde wegen eines Fotos mit einer ukrainischen Flagge, das er 2014 – vor elf Jahren – in den sozialen Medien gepostet hatte, am 22. März 2025 in seiner Kirche verhaftet und 14 Tage lang inhaftiert.
Bei kirchlichen Repressionen ist der typischste Vorwurf die Weigerung, das sog. „Gebet für die Heilige Rus“ zu sprechen, zu dem alle Priester des Moskauer Patriarchats, zumindest innerhalb Russlands, verpflichtet sind. Dieses berüchtigte Gebet bezeichnet Russen und Ukrainer als „ein Volk“, womit es implizit das Recht der Ukrainer auf eine eigene nationale Identität und einen souveränen Staat bestreitet. Es spricht auch von Russland bzw. der Heiligen Rus als Opfer von äußeren feindlichen Kräften und stellt so Russland als Opfer statt als Aggressor dar. Schließlich ruft es explizit zum Sieg der russischen Armee, statt zu Frieden und Versöhnung auf. Ein eklatantes Beispiel für Repressionen ist der Fall von Vater Ioann Koval, dem der Priesterrang aberkannt wurde, weil er in diesem Gebet das Wort „Sieg“ durch „Frieden“ ersetzt hatte.
Friede Allen hat auch Repressionsmechanismen im Moskauer Patriarchat aufgedeckt. Als ein Priester vor die Disziplinarkommission der Eparchie zitiert wurde, weil er das „Gebet für die Heilige Rus“ verweigert hatte, veröffentlichten wir Aufzeichnungen der Verhandlung. So wird sichtbar, wie das kanonische Recht als Instrument politischer Kontrolle benutzt wird. Hier ist ein Auszug aus dem Verhör, dem der Priester unterzogen wurde:
„Der Text sagt nicht, dass jemand jemanden umbringen muss. Hast du dir überlegt, dass du diese Worte vielleicht missverstanden hast? Hältst du noch an diesen Vorstellungen fest? Findest du den Text dieses Gebets inakzeptabel? Ist dir klar, dass du dadurch das Priestergelübde verletzt hast, das du vor deiner Weihe abgelegt hast?
Teile und herrsche ist seit dem antiken Rom ein Grundsatz. Jetzt geht es darum, die Kirche in diejenigen zu teilen, die das Gebet sprechen, und diejenigen, die das nicht tun. Wir haben wirklich nicht genug Geistliche. Und wenn alle suspendiert werden, weißt du … Also, vielleicht solltest du dieses Gebet auf eine andere Art betrachten? Dass jetzt Sodom und Gomorra in Europa ist – verstehst du das? Sogar ihre Priester basteln sich farbige Kreuze in LGBT-Farben!
Seine Heiligkeit hat dieses Gebet gesegnet. Er und andere müssen über den Text nachgedacht haben, sie haben ihn nicht einfach so verschickt. Wenn die Leute anfangen, bestimmte Punkte auf ihre eigene Art zu interpretieren, können wir nur noch unsere Hände über den Kopf zusammenschlagen. Tatsächlich ist das Gebet gut … Und es gibt eine Sache namens Kirchendisziplin. Das ist eine sehr gute Sache, damit die Kirche nicht zu einer Gemeinschaft von Menschen wird, die nicht verstehen, wer rechts und wer links steht. So oder so können wir – Priester und Laien – nur mit Gebeten helfen. Und ich denke, diese Uneinigkeit ist nur schädlich. Stellst du dich gegen die ganze Kirche, die dieses Gebet liest? Denkst du, deine Meinung sei richtig, und die anderen liegen falsch? Wenn die ganze Kirche betet und du nicht, denkst du dann, dass alle anderen sich irren?“ – „Meine Meinung ist, dass ich daran nicht teilnehmen kann“, antwortet der Priester.[3]
Diejenigen, die die diese Position einnehmen, akzeptieren die Konsequenzen. Hier sind ihre Stimmen: „Ich erinnere mich sehr gut an den nächsten Tag [nach Kriegsbeginn]. Mein Vater hat am 25. Februar Geburtstag. Es war der letzte Tag, an dem wir uns gesehen haben. Seit mehr als zwei Jahren habe ich jetzt nicht mit meinem Vater und Bruder gesprochen, für sie bin ich ein Verräter. Damals war mir noch nicht klar, dass [die Invasion] zu Hunderttausenden Toten führen würde, aber ich verstand schon, dass von mir verlangt würde, Soldaten zu segnen, die in einen verbrecherischen Bruderkrieg ziehen. Da wurde mir klar, dass der Diktator endgültig verrückt geworden war, und es Zeit war, einen Pass zu besorgen. Also tat ich das.“ Kurz danach nahm der Priester ein Video auf, in dem er erklärte: „Ich sehe mich nicht im Koordinatensystem dieser faschistischen Macht. […] Passt auf euch, auf eure Familie auf, es wird für niemanden einfacher, wenn ihr gebüßt oder inhaftiert werdet. Lauft weg, Gott ist nicht mehr hier.“[4] Bald darauf erhielt er einen Anruf von Bekannten aus der Fabrik, die seine Kirche finanziell unterstützte. Ihm wurde gesagt, dass das Management irgendeine Aktion plane, nach der der Bischof ihn suspendieren würde. So landete er in Armenien. Es folgten Drohungen, und er ging nach Montenegro und dann nach Frankreich, das ihm ein humanitäres Visum gewährte.
Ein anderer Priester, dem wir helfen, sagt: „Gott ruft zu Liebe auf, aber die Kirche ruft zum Krieg auf.“ Er erinnert sich, dass in seiner Kindheit – in den spätsowjetischen Jahren – alles voller Bücher, Filme und Geschichten über den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg war. „Und ob wir wollen oder nicht, wir nehmen noch immer alles durch diese Filme wahr“, glaubt er. „Als wir ein angegriffenes Land waren, kann ich verstehen, dass wir für den Sieg gebetet haben. Aber wenn wir die Angreifer sind … Was auch immer die Probleme sind, sie auf diese Art zu lösen, halte ich für unchristlich.“ Er ist überzeugt, dass christlicher Glaube und Moral die Methoden des Menschen, sogar um die gerechtesten Dinge zu erreichen, einschränken. „Weißt du, es gibt so einen Witz: ‚Papa, wenn wir all die bösen Menschen töten, bleiben dann nur gute Menschen übrig? Nein mein Sohn, dann bleiben nur noch Mörder übrig.‘ Zumindest lese ich das Evangelium so.“
Als ein weiterer Priester sich weigerte, das Siegesgebet zu sprechen, fragte ihn der Bischof: „Warum hast du nicht in der Armee gedient? Befürwortest du gleichgeschlechtliche Ehen? Erhältst du einen Lohn, der höher als der Mindestlohn ist?“ Nach seiner Suspendierung war es nicht leicht, eine weltliche Arbeit zu finden – der Priester hat fünf Kinder. In einer Kleinstadt kennt jeder jeden, und niemand will illoyal erscheinen. „Manchmal grüßen mich Menschen, die ich nicht kenne, auf der Straße. Wenn Gemeindemitglieder mich sehen, wenden sie den Blick ab oder tun so, als bemerkten sie mich nicht, und leider nehmen sie keinen Anteil an meiner Situation“, sagt er. Sich geächtet zu fühlen, ist verbreitet. „Wenn ich in die Kathedrale komme, schaut mir niemand in die Augen, alle meiden mich, grüßen mich nicht, reden nicht mit mir“, sagt ein anderer Priester.
Wie helfen wir?
Unser primäres Ziel ist materielle Hilfe für die Familien von Priestern, die Repressionen erlitten haben. Nichtsdestotrotz ging es bei Friede Allen nie nur um Geld. Wir möchten diesen mutigen Priestern ein Gefühl von Solidarität vermitteln – insbesondere denen in entlegenen Regionen, die von ihren Kollegen abgeschnitten sind. Wir geben ihnen auch eine Plattform, um ihren Stimmen Gehör zu verschaffen. Durch unseren Telegram-Kanal[5] und Videopredigten auf NO Media, betrieben vom Nobelpreisträger Novaja Gazeta, sprechen diese Priester zu Tausenden und verstärken die Stimmen derer, die zum Schweigen gebracht werden. Als im März 2024 das „Mandat“ des Weltkonzils des Russischen Volks zur „Gegenwart und Zukunft der Russischen Welt“ erschien, kritisierten es drei mit Friede Allen verbundene Priester scharf.[6]
Mittels dieser Bemühungen haben wir der Welt gezeigt, dass die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) kein Monolith ist, der gesamthaft den Putinismus und den Krieg unterstützt. Priester wie Vater Vadim Perminov sind zu Helden geworden, da Dokumentationen wie „Die Suspendierten“ (russ. Запрещенные)[7] Hunderttausende Zuschauer erreichten. Die Erzählung von russischen Priestern, die sich gegen den Krieg wehren, hat Aufmerksamkeit erregt, und alle großen russischsprachigen Oppositionsmedien haben über sie berichtet. Diese Unterstützung ist für russische Kriegsgegner zentral, insbesondere für orthodoxe Christen, von denen viele aufgehört haben, in die Kirche zu gehen oder an öffentlichen Gottesdiensten teilzunehmen. Briefe und Kommentare zu unseren Videos zeigen, dass für viele von ihnen Friede Allen ihre letzte verbleibende Verbindung zur Kirche ist.
Reaktionen russischer Offizieller und des Patriarchats
Es ist klar, dass die Aktivitäten unseres Vereins weder vom russischen Staat noch vom Moskauer Patriarchat positiv aufgenommen wurden. Als Vladimir Legojda, der Vorsitzende der Synodalabteilung für die Beziehungen der Kirche zur Gesellschaft und den Medien, in einem Interview zu Repressionen gegen Priester gefragt wurde, antwortete er: „Ein Priester legt wie ein Militärangehöriger einen Eid ab. Und wenn er davon abweicht, ist eine Bestrafung unvermeidlich.“[8] So identifiziert sich das Moskauer Patriarchat heute mit einer paramilitärischen Struktur, in der Loyalität und Gehorsam zur zentralen Tugend erklärt werden. Kurz vor dem Interview war der 90-jährige Vater von Legojda von einem Kriegsteilnehmer umgebracht worden, der wie viele andere aus dem Gefängnis entlassen worden war, weil er sich zur Armee gemeldet hatte.[9] Wie alle Kriegsteilnehmer wurde er von Putin zu Russlands neuer Elite erklärt, und Patriarch Kirill versprach ihm die Vergebung seiner Sünden, sollte er auf dem Schlachtfeld sterben.
Einige der Angriffe in den Medien haben uns zum Schmunzeln gebracht. Ein Titel lautete beispielsweise: „Ein Würgegriff für Priester. ‚Friede Allen‘ ist eine Rekrutierungsstruktur des CIA“. Darin heißt es unter anderem: „Die Emissäre des Projekts finden Priester, die dem Verrat zugeneigt sind (ungläubige Liberale, Sodomiten, Unzüchtige, Veruntreuer etc.), und machen ihnen ein ‚Angebot, das sie nicht ablehnen können‘. Sie versprechen ihnen nämlich Geld und eine Gemeinde in Europa, wenn sie in ‚ihrem wiederhergestellten Amt‘ zum Patriarchat von Konstantinopel und der Orthodoxen Kirche der Ukraine wechseln. Das heißt, sie rekrutieren sie. […] Auf ihrer Grundlage versucht Washington, eine ‚alternative russische Kirche‘ zu bilden, die das orthodoxe Dogma leugnet, LGBT toleriert (in Russland als extremistische Vereinigung anerkannt) und radikale russophobe Positionen vertritt.“[10]
Allerdings wurden auch ernstere Schritte unternommen. Am 24. April 2025 veröffentlichte Jana Lantratova, Vorsitzende des Duma-Komitees für die Entwicklung der Zivilgesellschaft sowie öffentlicher und religiöser Vereinigungen, in ihrem Telegram-Kanal einen Post mit dem Titel „Spirituelle Sabotage“.[11] „Die ROK war immer und bleibt das spirituelle Bollwerk unseres Staats. […] Friede Allen versucht, den Glauben der Priester an ihr Land zu brechen und ihnen fremde Werte aufzuzwingen“, schreibt sie. Angehängt war eine sechsseitige Petition an den Moskauer Generalstaatsanwalt. Darin wirft sie Friede Allen vor, „westliche Narrative“ über Russland als Aggressor im laufenden Krieg zu verbreiten. Angeblich diskreditieren wir das Moskauer Patriarchat, kritisieren den russischen Strafvollzug und stellen die Legitimität der russischen Wahlen infrage. Die Repressionen gegen Antikriegspriester stellt sie infrage. Deshalb findet Lantratova, „scheinen die Aktivitäten der Organisation Friede Allen eindeutig antirussischer Natur zu sein, auf die Diskreditierung der Entscheidungen und Handlungen der höchsten politischen Führung zu zielen, das System der Ordnungskräfte zu diskreditieren, das Vertrauen der Bürger in Regierungsbehörden zu untergraben, um die sozio-politische Situation in Russland zu destabilisieren und die Einheit der orthodoxen Welt im Land zu spalten, sowie Falschinformationen über den Einsatz der russischen Streitkräfte zu verbreiten, und stellen daher eine Bedrohung für die Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung und Sicherheit Russlands dar.“
Sie fordert, Friede Allen zur „unerwünschten Organisation“ einzustufen, die Gründer zu „ausländischen Agenten“ zu erklären, die Website zu blockieren und „weitere strafrechtliche Maßnahmen zu ergreifen“. Obwohl „unerwünscht“ ein milder Ausdruck zu sein scheint, stellt er uns tatsächlich in die Nähe von Terroristen und Extremisten: Alle Formen von Spenden und Zusammenarbeit werden illegal, und den Leitungsmitgliedern des Vereins drohen strafrechtliche Verfolgung und Gerichtsurteile. Ihre Initiative wurde sofort von Vachtang Kipschidze, dem Stellvertreter von Vladimir Legojda, unterstützt, der Friede Allen als „Larve“ einer Struktur bezeichnete, die eine alternative russische Kirche werden wolle.[12]
Warum Widerstand leisten?
Wenn mich Menschen zu Friede Allen befragen, denke ich oft an Deutschland und die schwierige Geschichte der Kirche in diesem Land im 20. Jahrhundert. Im Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 heißt es: „Wir wissen uns mit unserem Volk nicht nur in einer großen Gemeinschaft der Leiden, sondern auch in einer Solidarität der Schuld. […] Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“[13] In der 1934 unterzeichneten Barmer Theologischen Erklärung steht unter anderem, dass der Glaube der Kirche „sowohl seitens der Führer und Sprecher der Deutschen Christen als auch seitens des Kirchenregimentes dauernd und grundsätzlich durch fremde Voraussetzungen durchkreuzt und unwirksam gemacht wird. Bei deren Geltung hört die Kirche […] auf, die Kirche zu sein.“[14]
Ich frage mich, ob diese Erklärung das Stuttgarter Schuldbekenntnis ermöglicht und der moralisch kompromittierten Kirche nach dem Kriegsende ein Recht zum Sprechen gegeben hat? Wenn dem so ist, können wir dann sagen, dass der Brief vom 1. März 2022, der einen sofortigen Waffenstillstand verlangte und von rund 300 Priestern unterschrieben wurde, der russischen Kirche eine Tür offenlässt, sich in der Zukunft zu äußern? Friede Allen setzt diesen Brief fort, nicht als einmalige Botschaft, sondern als andauernde Proklamation, die sich der Doktrin des „heiligen Kriegs“ widersetzt.
Eines Tages werden der Putinismus und der Krieg enden. Was wird dann geschehen? Die russische Kirche verfügt, wie die Gesellschaft insgesamt, über einen gesunden Teil, der Verantwortung für die Zukunft wird übernehmen müssen. Die Geschichte Nachkriegsdeutschlands zeigt, dass die Stimme einer verfolgten Minderheit als Leitstern für eine Nation – und eine Kirche – dienen kann, die nach dem Sturz einer Diktatur nach Erlösung sucht. So wie die Bekennende Kirche eine Schlüsselrolle im Widerstand gegen die Nazi-Ideologie spielte und später die moralische Wiedergeburt Deutschlands zu gestalten half, könnten die Stimmen der verfolgten russischen Geistlichen als Basis für die Erneuerung und Heilung innerhalb der ROK dienen.
Anmerkungen:
[1]) https://www.mir-vsem.info/de
[2]) Vgl. Zwahlen, Regula; Zenger, Natalija: Auf Tauchstation. Dissens in der Russischen Orthodoxen Kirche. In: RGOW 51, 4 (2023), S. 21–23.
[3]) Auszüge aus: https://www.mir-vsem.info/post/что-за-комиссия-создатель
[4]) https://www.mir-vsem.info/post/моя-проповедь-в-россии-больше-не-нужна
[6]) https://www.patriarchia.ru/db/text/6116189.html; https://www.mir-vsem.info/post/священники-проекта-мир-всем-комментируют-наказ-русского-народного-собора
[7]) https://www.youtube.com/watch?v=w62h9Qpye0A
[8]) https://regnum.ru/article/3907087
[9]) https://lenta.ru/news/2023/12/30/podrobno/
[10]) https://newins.ru/articles/pyataya_kolonna/udavka_dlya_svyashchennikov-_-mir_vsem-_-_verbovochnaya_struktura_tsru
[11]) https://t.me/lantratovaDOBRO/9117
[12]) https://t.me/angry_opposum/733
[13]) https://www.ekd.de/11300.htm
[14]) https://www.ekd.de/11295.htm
Übersetzung aus dem Englischen: Natalija Zenger.
Andrej Kordotschkin, Dr., ehemaliger Priester der ROK, heute Geistlicher der Erzdiözese Belgien und des Exarchats der Niederlande und Luxemburgs des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel und Mitgründer von Friede Allen.
Bild: Die Gründer des Vereins Friede Allen: Valerian Dunin-Barkovsky, die Journalistin Svetlana Neplikh-Thomas, Andrej Kordotschkin und der Musiker Pavel Fahritdinov (Foto: https://www.mir-vsem.info, v.r.n.l.)