Skip to main content

Herausforderungen und Zukunft: Orthodoxie in Afrika

Ciprian Burlacioiu

In den letzten 100 Jahren hat die Orthodoxie in Afrika ein eindrückliches Wachstum erlebt. Neben der orientalisch-orthodoxen Kirche in Äthiopien ist dafür auch das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat von Alexandria verantwortlich, das südlich der Sahara zahlreiche Gläubige gewonnen hat. Angesichts der vielen einheimischen Gläubigen besteht für das Patriarchat eine zentrale Herausforderung in der „Afrikanisierung“ der dortigen orthodoxen Kirche. – N. Z.

Das Christentum in Afrika boomt – das betrifft sowohl neuere Kirchen und Bewegungen als auch die historischen Kirchen. Das gilt auch für die Orthodoxie. Auch wenn Osteuropa heute mit ca. 77 Prozent immer noch die Heimat der meisten orthodoxen Gläubigen weltweit ist, zeigt gerade Afrika südlich der Sahara ein erstaunliches Wachstum des Anteils von Orthodoxen mit ca. 15 Prozent der Gläubigen. Zum Vergleich: um 1910 lebten im subsaharischen Afrika nur 3 Prozent der orthodoxen Christen weltweit; 100 Jahre später sind es ca. 15 Prozent.1Die Gründe für dieses Wachstum sowohl anteilsmäßig als auch in absoluten Zahlen dürften vor allem zwei sein: Erstens erfuhr die Orthodoxie in Afrika im Laufe des 20. Jahrhunderts eine gewisse Verbreitung über ihr Stammland Äthiopien hinaus. Zweitens wuchs die afrikanische Bevölkerung im gleichen Zeitraum stark und verhalf auch der Orthodoxie zu einem numerischen Anstieg im Vergleich zu anderen Regionen.
In Afrika sind beide orthodoxen Kirchenfamilien – die östlich-orthodoxe (d. h. die byzantinische Tradition) und die orientalische (mit der äthiopischen und koptischen Kirche) – vertreten. Ihre gemeinsamen Anfänge gehen bis in die Antike zurück und erst die Streitigkeiten über die Christologie ab dem 5. Jahrhundert, politische Wirren im Zusammenhang mit dem Ende der byzantinischen Herrschaft in Nordafrika und Ägypten und schließlich der Fall unter arabische Herrschaft im 7. Jahrhundert haben eine dauerhafte Trennung verursacht. Im Folgenden werde ich ausschließlich auf diejenigen Teile der Orthodoxie fokussieren, die südlich der Sahara von Bedeutung sind. Dadurch blende ich das koptische Christentum aus, das durch seine besondere Problematik dem Nahostkontext zuzurechnen ist.

Das Christentum in Äthiopien
Das äthiopische Christentum gelangte Ende des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert unter den bedeutendsten äthiopischen Herrschern der Moderne, Menelik II. (Kaiser 1889–1913) und Haile Selassie I. (Kaiser 1930–1936; 1941–1974), zu einer neuen Blüte. 1959 erlangte die äthiopische Kirche ihre Selbstständigkeit von der koptischen Mutterkirche und bis 1974 nahm sie die Stellung einer Staatskirche ein. Nach der Revolution dieses Jahres folgte in Äthiopien bis 1991 eine kommunistische Diktatur unter Mengistu Haile Mariam mit einer weitgehenden Unterdrückung der Kirche. Das Regime verstand es allerdings auch, die Kirche für seine Ziele zu instrumentalisieren und sie durch eine Mischung von Druckmitteln und Verführung teilweise gefügig zu machen. Nach 1991 konnte sich das kirchliche Leben wieder relativ frei entfalten, auch wenn die nachfolgenden Regierungen recht intransparent und autoritär agierten. Die prekäre materielle Lage und die vielen sozialen Probleme des Landes stellten auch für die Kirche schlechte Voraussetzungen dar. Die meisten Kirchgemeinden und Klöster sind von der Armut ihrer Gläubigen geprägt, und an vielen Orten droht diese Situation die Zeugnisse einer jahrhundertealten Tradition zu zerstören. Trotz allem kann die Frömmigkeit der ca. 36 Mio. Gläubigen als warm bezeichnet werden, was die Zukunft der Kirche sichert. Heutzutage versteht sich der äthiopische Staat in einem Land mit einem großen Anteil nicht-christlicher Bürger als religionsneutral, so dass die Kirche nicht mehr die alten Privilegien einer Nationalkirche wie im Kaiserreich hat.
Da ein Teil der Hierarchie und des Kirchenvolkes gegen Personalentscheidungen bei der Besetzung der Kirchenleitung in der Zeit der Diktatur und nach dem Sturz des Regimes opponierte, sind auch verschiedene kirchliche Splittergruppen entstanden. Die Äthiopische Orthodoxe Tewahedo Kirche bleibt aber die Hauptvertreterin der äthiopischen Tradition und versammelt bei Weitem die meisten Gläubigen. Mit der Verselbstständigung Eritreas 1993 wurde auch die einstige Kirchenprovinz Äthiopiens in einem spannungsvollen Prozess selbstständig, was zur Bildung einer eigenständigen Eritreischen Orthodoxen Kirche mit ca. zwei Mio. Gläubigen geführt hat.
Von ihrem Selbstverständnis sieht die äthiopische Kirche ihre Anfänge nicht bloß im 4. Jahrhundert mit der Einsetzung ihres ersten Bischofs Frumentius durch den alexandrinischen Bischof Athanasius. Vielmehr versteht sie sich als das „wahre Israel“ und führt dies auf die Beziehung zwischen König Salomo und der Königin von Saba, zweier alttestamentlicher Gestalten, zurück. Aufgrund dessen hatte sich das äthiopische Herrscherhaus bis zu seinem letzten Vertreter in der Nachfolge der salomonischen Dynastie gesehen. Diese Verbindung mit dem alttestamentlichen Israel drückt sich konkret im Glauben aus, dass die Bundeslade nach Äthiopien gebracht wurde und hier bis heute bewahrt wird, sowie im Erhalt jüdischer Riten, wie z. B. der Beschneidung.
Die Bedeutung des äthiopischen Christentums geht über die Grenzen der äthiopischen Kirche hinaus. Bereits im 19. Jahrhundert hat die Erwähnung Äthiopiens in der Bibel und das Wissen über seine antiken Wurzeln die Vorstellungen afroamerikanischer und afrikanischer Christen so stark beeinflusst, dass diese Tradition zur genuin afrikanischen Form des Christentums und wünschenswerten Heimat vieler schwarzer Christen wurde. So entstand in der Berufung auf Äthiopien eine sog. „äthiopistische“ Bewegung, die zur religiösen Verselbstständigung von westlichen Missionskirchen in der Neuen Welt und in Afrika führte. Auch wenn sich nur wenige dieser Gruppen (wie z. B. die Rastafari in der Karibik) der äthiopischen Kirche tatsächlich angeschlossen haben, prägte das äthiopische Christentum teils als reale Bezugsgröße, teils als imaginierte Repräsentation das afrikanische und afroamerikanische Christentum im 19. und 20. Jahrhundert wie keine andere Idee. Dieser Einfluss kann vielleicht nur am aktuellen charismatischen Geist vieler schwarzer Kirchen bemessen werden. Auch heute gibt es Gruppen schwarzer Christen, die auf der Suche nach einer afrikanischen Form des Christentums sind, die Pfingstbewegung als eine eher westliche Erscheinung betrachten und sich vom äthiopischen Christentum angezogen fühlen. Zu dessen Ausbreitung trägt nicht zuletzt die Präsenz einer wachsenden äthiopischen Diaspora in verschiedenen Teilen Afrikas und der westlichen Welt maßgeblich bei.

Die griechische Orthodoxie in Afrika
Das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat von Alexandria vertritt auf dem afrikanischen Kontinent die byzantinische Tradition. Die Anfänge des Patriarchats gehen auf den historischen Bischofsstuhl in Alexandria zurück, woraus in den Auseinandersetzungen nach dem Vierten Ökumenischen Konzil in Chalcedon (451) zwei separate Kirchen erwuchsen: die eine vertrat das dort beschlossene Dogma und somit die byzantinische Reichskirche; die andere lehnte es ab und fand bei der einheimischen Bevölkerung Ägyptens, den Kopten, Unterstützung. Das griechisch-orthodoxe Patriarchat entstand aus der ersten Gruppe und schrumpfte nach dem Verlust Ägyptens an die Araber in den 640er Jahren so stark, dass es sich nur noch auf wenige griechische Gläubige in Ägypten stützen konnte. Später sicherten freundliche Beziehungen des byzantinischen Reichs zu den muslimischen Machthabern in Ägypten das Überleben des Patriarchats. Nach der Eroberung Ägyptens durch die Osmanen 1517 wurde der Patriarch in Konstantinopel auch als höchster Vertreter der Griechisch-Orthodoxen in Ägypten anerkannt und die Stellung des alexandrinischen Patriarchen, der sich seit längerem ohnehin meist in Konstantinopel aufhielt, verlor an praktischer Bedeutung. Erst unter Patriarch Sophronios IV. (1870–1899) und seinem Nachfolger Photios (1900–1925) erfolgte eine Revitalisierung des kirchlichen Lebens mit der Eröffnung einiger Kirchen, von Schulen, Sozialeinrichtungen und einer Druckerei sowie der Veröffentlichung u. a. zweier kirchlicher Periodika. Photios beteiligte sich zudem aktiv an der entstehenden ökumenischen Bewegung.
Diese Revitalisierung verdankte sich einer entscheidenden Voraussetzung: dem Beginn einer anhaltenden Einwanderung von Griechen in verschiedene Teile Afrikas und vor allem in die Hafen- und Küstenmetropolen Nordafrikas, allen voran Alexandria und Kairo, seit dem 19. Jahrhundert. In Ägypten lebten in den 1920er Jahren ca. 100 000 Griechischstämmige. Die Griechen organisierten sich in Vereinen und pflegten diejenigen Elemente ihrer ethnischen Identität, die am neuen Wohnort in praktischer und ideologischer Hinsicht wichtig waren: Kirchgemeinden, Schulen, Vereine, Presseorgane, Sportvereine, soziale und karitative Einrichtungen. Die Kirche konnte sich somit auf eine wachsende Anzahl von Mitgliedern stützen, die als Händler, Landwirte, Handwerker, Kleinbeamte, Ärzte, Lehrer, Geschäfts- und Industrieleute, Bankiers etc. allmählich zur Mittel- und Oberschicht zählten. Das Netzwerk dieser Diasporagemeinschaften zwischen Alexandria und Johannesburg, über Sues, Khartum, Addis Abeba, Nairobi, Kampala, Salisbury (Harare) wurde sichtbar, als sie im frühen 20. Jahrhundert während der Balkankriege Hilfe für Griechenland organisierten. Diese Art der Pflege nationaler und kultureller Identität ist auch heute in Form von Protesten und Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Besetzung Nordzyperns durch die Türkei am 20. Juli 1975 sichtbar, wobei die Kirchgemeinden eine wichtige Rolle spielen.
Das Patriarchat erlitt einen erneuten Schicksalsschlag, als sich die griechische Diaspora in Nordafrika und anderen afrikanischen Ländern wegen sich verschlechternder Bedingungen nach den verschiedenen revolutionären und antikolonialen Bewegungen der 1950er und 1960er Jahre wieder weitgehend auflöste. Nach dieser Zeit war erneut der Bezug zu Griechenland und Zypern in Form diplomatischer Unterstützung, materieller Hilfe und kulturellen Austausches sowohl für die wenigen Griechen vor Ort als auch für die Kirche von entscheidender Bedeutung. Der Sitz des Patriarchats in Alexandria selbst – mit einer großen Kathedralkirche, benachbarten Residenz- und Verwaltungsgebäuden und dem nahegelegenen Hl. Savva-Kloster – verdankt seinen aktuellen guten Zustand finanzieller Unterstützung aus Griechenland und (zuletzt verstärkt) aus Zypern. Die Zahl der ethnisch griechischen Gläubigen vor Ort ist dramatisch gesunken. In ganz Afrika wird heute von ca. 100 000 Griechen oder Nachkommen griechischer Einwanderer hauptsächlich in Ägypten, Äthiopien, Republik Kongo, Nigeria, Südafrika, Sudan oder Simbabwe ausgegangen. In arabischgeprägten Ländern wie Ägypten hat das Patriarchat auch einige arabischsprachige Gemeinden. In den letzten Jahrzehnten sind in Afrika auch einige osteuropäische Diasporagemeinschaften von Russen, Rumänen, Serben, Ukrainern und anderen entstanden. Deren Mitglieder besuchen die Gottesdienste der bestehenden orthodoxen Gemeinden oder organisieren sich gelegentlich in eigenen Kirchgemeinden. Diese unterstehen kanonisch allerdings der jeweiligen lokalen Diözese und somit dem alexandrinischen Patriarchat und nicht der Heimatkirche ihrer Mitglieder, auch wenn weiter enge Beziehungen mit dieser bestehen. So wird auf dem afrikanischen Kontinent das übliche Problem der kanonischen Zugehörigkeit orthodoxer Diasporagemeinden gelöst.

Afrikanische Gläubige
Die aktuelle Bedeutung des Patriarchats von Alexandria auf dem Kontinent liegt allerdings nicht in der schrumpfenden griechischen Diaspora, sondern in ihren jüngeren Gemeinden und Diözesen, die aus einheimischen Afrikanern bestehen. Deren Entstehung ist einerseits auf einen überraschenden Prozess der Selbstmissionierung und andererseits auf missionarische Ansätze, die vor allem von monastischen Kreisen ausgingen, zurückzuführen. Der Prozess der Selbstmissionierung setzte in den 1930er Jahren ein, als zunächst in Uganda und kurz darauf in Kenia Gruppen von Schwarzen die Missionskirchen (in diesem Fall hauptsächlich die anglikanische Kirche) verließen und nach Alternativen suchten. Reuben Mukasa Spartas, der maßgebliche Impulsgeber in Uganda, verfügte dank einer kirchengeschichtlichen Abhandlung aus seiner Schulzeit über Kenntnisse über die Orthodoxie. Da ihm Anfang der 1930er Jahre die anglikanische Kirche als exzessiv paternalistisch erschien, suchte Spartas nach einer Alternative und erinnerte sich an die Orthodoxie als eine ältere und nicht koloniale Form des Christlichen und suchte den Anschluss zu dieser. Zuerst verselbstständigte er sich mit einer Gruppe afroamerikanischer und südafrikanischer Christen, die zwar das Attribut orthodox im Namen ihrer Kirche, der African Orthodox Church, führte, aber mit der östlichen oder orientalischen Orthodoxie keine Verbindung hatte. Kurze Zeit später verhalf ihm ein griechischer Händler aus Kampala zum Kontakt mit dem Patriarchen. Darauf folgte eine Intensivierung der Beziehungen mit Besuchen patriarchaler Vertreter vor Ort oder der Bewerber in Alexandria. 1946 öffnete sich Alexandria einem Prozess der Aufnahme dieser Gruppen aus Uganda und Kenia in den Schoß des Patriarchats. Im Laufe dieses Prozesses entstanden in diesen beiden Ländern Diözesen des Patriarchats, die sich aus einheimischen Afrikanern zusammensetzten. Dabei gestaltete sich das Verhältnis zu den griechisch-orthodoxen Diasporagemeinden vor Ort konstruktiv, zumal diese bereit waren, den afrikanischen Gemeinden materielle und sonstige Hilfe zu leisten.
Auch wenn das Patriarchat in Alexandria seine politische Neutralität – in diesem Fall gegenüber den Briten – stets betont hatte, führte die Eingliederung solcher Gruppen, die einen umfassenden politischen und gesellschaftlichen Protest gegenüber der kolonialen Dominanz vertraten, dazu, dass sie zu Keimzellen antikolonialer Bewegungen wurden. So wird die Gruppe in Uganda historisch als proto-nationalistische Bewegung eingestuft, und die sog. Mau-Mau-Rebellion der 1950er Jahre in Kenia wurde von den Briten als antikoloniale, staatsgefährdende Terrororganisation betrachtet und mit Brutalität konsequent verfolgt. Schwarze orthodoxe Gemeinden wurden teilweise mit solchen Gruppierungen identifiziert oder als Unterstützer dieser „terroristischen“ Organisationen betrachtet und dementsprechend mit äußerster Härte (bis zu vollständigen Zerstörung ihrer Zentren und der Inhaftierung von Mitgliedern) behandelt. Diese antikoloniale Neigung wurde deutlich, als der erste Präsident des unabhängigen Kenia, Jomo Kenyatta, den griechisch-orthodoxen Metropoliten Makarios III. von Zypern – beide antikoloniale Kämpfer ihrer Länder und persönliche Bekannte aus den britischen Strafeinrichtungen auf den Seychellen – in den 1970er Jahren mehrfach herzlich in Nairobi empfing. Kenyatta selber war in der Mau-Mau-Rebellion aktiv gewesen und kannte die Rolle afrikanisch-orthodoxer Gemeinden dabei. Makarios III. gelang es mit der Unterstützung von Kenyatta, in einem Vorort von Nairobi ein Kirchenzentrum zu errichten, das das Hauptquartier der orthodoxen Kirche im Land werden sollte. Diese Einrichtung spielt noch heute eine zentrale Rolle für die wachsende orthodoxe Kirche in Kenia, und dort ist die von Makarios III. gegründete Bildungseinrichtung für Priesterkandidaten beheimatet.
Die Eingliederung dieser neuen Gruppen in die orthodoxe Kirche verlief nicht ohne Spannungen. Diese entsprangen primär der Ernennung von griechischen Geistlichen zu Bischöfen, was von Afrikanern gelegentlich als erneute Abhängigkeit und Bevormundung verstanden wurde. Daher trennten sich zeitweilig oder langfristig einige Protest- und Splittergruppen – wie auch in anderen afrikanischen Kirchen üblich –, wobei ihre Verzweigung durch gelegentliche Versöhnung und Wiedereingliederung in Rahmen blieb.

Aktuelle Situation und Herausforderungen
Das Missionswerk der orthodoxen Kirche in Griechenland, die Apostoliki Diakonia, unterstützt auch die Mission in Afrika. Dabei wird u. a. die Ausbildung von geeigneten einheimischen Priesterkandidaten in Griechenland finanziert und die Bezahlung einer bescheidenen finanziellen Unterstützung für dort tätige Priester übernommen. Der Mitgründer und langjährige Koordinator dieses Werkes ist der jetzige Erzbischof von Tirana, Anastasios (Yannoulatos), früher selbst Missionar in Kenia. Darüber hinaus gab es einzelne Mönche, die mit der Unterstützung ihrer Heimatklöster oder orthodoxer Gläubiger in Griechenland und Zypern als Einzelkämpfer an bestimmten Orten für die Mission arbeiteten. Gelegentlich war auch SyndesmosThe World Fellowship of Orthodox Youthin missionarische Aktivitäten involviert.
Das Patriarchat unterhält aktuell laut eigenen Angaben 37 Diözesen, die fast den ganzen Kontinent inklusive Madagaskar umfassen. Mit fünf Ausnahmen ist der ganze höhere Klerus griechisch. Die Gemeindepriester hingegen sind fast ausschließlich Afrikaner. Abgesehen von den jeweiligen Diözesanzentren, die hauptsächlich in oder in der Nähe urbaner Zentren liegen, und wenigen Stadtpfarreien funktionieren die meisten Gemeinden im ländlichen Umfeld. Dort, wo in den Städten Vertreter griechischer oder sonstiger osteuropäischer Diasporagemeinden leben (z. B. in Nairobi oder Kapstadt), werden die Gottesdienste auch von einigen Weißen besucht. Abgesehen davon sind die Gläubigen dieser Gemeinden und Diözesen Schwarzafrikaner.
Die Gottesdienstordnung ist im Grunde der byzantinische Ritus mit der Chrysostomos-Liturgie im Zentrum. Auch wenn anfänglich häufig auf Englisch zelebriert wurde, war die Übersetzung der Liturgie immer eine der ersten Sorgen. Schon kurze Zeit nach dem ersten Kontakt mit dem Patriarchat lag in Uganda eine Übersetzung der Chrysostomos-Liturgie in Luganda, einer der lokalen Hauptsprachen, vor. Heute wird die Liturgie praktisch in jeder lokalen afrikanischen Sprache zelebriert, wofür eine größere Gruppe von Konvertiten verantwortlich ist. Eine wichtige Aufgabe der ersten Konvertiten aus einer neu erreichten Sprachgruppe ist nämlich die Übersetzung der Liturgie als missionarisches Mittel. Das reiche liturgische Leben wird sowohl in seinem Kern, der Chrysostomos-Liturgie, als auch in den sonstigen Gottesdiensten, Gebetsordnungen und den Kasualien als missionarisches Instrument eingesetzt.
Die orthodoxe Kirche in Afrika kämpft nach Kräften gegen die gesellschaftlichen Probleme ihrer Gläubigen. Wie andere Kirchen sind auch orthodoxe Diözesen aktiv auf dem Feld der Bildung – es werden Schulen unterschiedlicher Art betrieben –, der medizinischen Versorgung mit fixen oder ambulanten Ärzten und Kliniken oder der materiellen Versorgung vieler Bedürftiger wie Waisen, Kranke, Senioren, Arme etc. In diese Tätigkeiten wird ein Großteil der materiellen Ressourcen investiert und sie werden als wichtiger Bestandteil der Mission betrachtet. Diesbezüglich bestehen auch seitens der Gläubigen Erwartungen an die Kirche. Auf einem Kontinent, wo das Durchschnittsalter in einigen Ländern bei 15 bis 17 Jahren liegt, und der einen großen Anteil an Kindern in der Bevölkerung aufweist, bemüht sich auch die orthodoxe Kirche, ein umfassendes Bildungssystem bereitzustellen. Schulen werden als Orte der Mission und Sicherung eines gewissen Bildungsgrades und somit der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Gläubigen in der Gesellschaft betrachtet.
Auch wenn es in Bezug auf die Zahl seiner Gläubigen eine überschaubare Größe bleibt, ist das Patriarchat ein wichtiger Bestandteil der ökumenischen Landschaft sowohl in einzelnen Ländern als auch auf dem Kontinent insgesamt. Zuverlässige Zahlen zu den Gläubigen gibt es nicht, sie werden auf einige Millionen geschätzt. Die mitgliederstärkeren Diözesen dürften in Kenia, Uganda, Tansania oder Südafrika liegen. Hier sind auch die ältesten afrikanischen Gemeinden des Patriarchats.
Die Geschichte des alexandrinischen Patriarchates zeigt, dass die östliche Orthodoxie aufgrund ihrer Tradition und weitgehend ohne missionarische Bemühungen auf dem afrikanischen Kontinent attraktiv sein kann. Dabei bleibt natürlich noch abzuwarten, wie es von einer griechisch-orthodoxen zu einer afrikanisch-orthodoxen Kirche wird. Sollte es dazu kommen, hieße das, dass die östliche Orthodoxie zum ersten Mal seit der Christianisierung der Slawen im 10. Jahrhundert umfassend einen neuen Kulturkreis aufnimmt. Der Erfolg der östlichen Orthodoxie in China, Japan, Korea, Alaska oder anderen Kulturkreisen außer dem europäischen ist bei Weitem nicht so umfassend wie in Afrika, gerade auch in Bezug auf ihre relativ junge Geschichte unter den Einheimischen. Aber mit diesem Erfolg hängt wahrscheinlich auch die größte Herausforderung zusammen, vor der die östliche Orthodoxie in Afrika steht: die „Afrikanisierung“ oder die Inkulturation der Kirche. Dieser Prozess des „Einheimisch-Werdens“ betrifft nicht nur äußere Elemente, sondern primär eine adäquate Form der Theologie. Afrikanische Fragen und Themen können langfristig nicht ausschließlich durch eine Adaptation griechischer Theologie beantwortet werden. Dabei geht es nicht (nur) um eine kulturelle Übersetzung, sondern in erster Linie um eine Neuschöpfung – eine Inkarnation, wie sie gelegentlich in der Missionstheologie genannt wird – aus der biblischen Tradition heraus. Das Ergebnis eines solchen Prozesses ist offen, und man muss in Kauf nehmen, dass ein neues Modell des theologischen Denkens und des geistlichen Lebens entstehen kann, das sich stärker von den bekannten Traditionen unterscheidet, als sich z. B. die griechische von der russischen Tradition unterscheidet. Würde eine solche Erscheinung als authentisch orthodox anerkannt werden? Lässt sich das Patriarchat von Alexandria, der „Richter der Ökumene“, wie sein Inhaber in seinem Titel genannt wird, überhaupt auf einen solchen Versuch ein? Wäre die Berufung eines Afrikaners auf dem Thron des Apostels Markus in Alexandria denkbar?

Literatur
Makris, Gerasimos: The Greek Orthodox Church and Africa: Missions between the Light of Universalism and the Shadow of Nationalism. In: Studies in World Christianity 16, 3 (2010), S. 245–267; Hayes, Stephen: Orthodox Diaspora and Mission in South Africa. In: Studies in World Christianity 16, 3 (2010), S. 286–303; Hage, Wolfgang: Das orientalische Christentum. Stuttgart 2007; Merten, Kai: Das äthiopisch-orthodoxe Christentum: ein Versuch zu verstehen. Berlin 2012; Tamcke, Martin: Das orthodoxe Christentum. München 2017; Clogg, Richard: The Greek Diaspora in the Twentieth Century. London 1999; Burlacioiu, Ciprian: ‘Within three years the East and the West have met each other.’ Die Genese einer missionsunabhängigen schwarzen Kirche im transatlantischen Dreieck USA – Südafrika – Ostafrika (1920–1950). Wiesbaden 2015; Griechisch-orthodoxes Patriarchat von Alexandria: http://www.patriarchateofalexandria.com/

Anmerkung
1)  https://www.pewforum.org/2017/11/08/orthodox-christianity-in-the-21st-century/.

Ciprian Burlacioiu, Dr., Privatdozent am Institut für Kirchengeschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

pdfRGOW 10/2019, S. 13–16