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Kirgisien: Neues restriktives Religionsgesetz

16. Februar 2009

Der kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijev hat am 12. Januar ein neues Religionsgesetz unterzeichnet. Nach übereinstimmender Einschätzung von Experten der OSZE, von Menschenrechtsvertretern, Neoprotestanten, einigen islamischen Gruppierungen sowie von neureligiösen Gemeinschaften ist es restriktiv und verstößt gegen die liberale Verfassung des Landes.

Das neue Gesetz, das der dem Präsidenten direkt unterstehende «Rat für religiöse Angelegenheiten» bereits 2007 eingefordert hatte, war am 6. November 2008 trotz massiver Proteste vom Parlament verabschiedet worden. Es ersetzt das weitaus liberalere Gesetz von 1991 und sieht u. a. vor: Um staatlich anerkannt («registriert») zu werden, müssen religiöse Organisationen - also Gemeinden, Bibelschulen, theologische Seminare, Sonntagsschulen - über mindestens 200 (bisher: 10) erwachsene Mitglieder mit ständigem Wohnsitz in Kirgisien verfügen, deren Identität von der Einwohnerkontrolle bestätigt werden muss. Kinder dürfen nicht Mitglied einer religiösen Organisation sein. Verboten ist jede «aggressive, auf Proselytismus abzielende Aktion» - Mission, Gebet und Werbung auf öffentlichen Plätzen, vor Schulen und Bildungseinrichtungen sowie Hausieren. Der Vertrieb religiöser Literatur ist nur in Gemeinden und Fachgeschäften gestattet. Um eine sog. «religiöse Vereinigung» - z. B. eine Kirche - zu bilden, bedarf es mindestens 10 registrierter religiöser Organisationen.

Die größte Religionsgemeinschaft im multiethnischen und multikonfessionellen Kirgisien bildet der sunnitische Islam, dem knapp 70 % der Bevölkerung - Kirgisen, Usbeken, Tataren, Uiguren et. al. - angehören. 11-12 % sind Christen (vorwiegend Russen und Ukrainer), davon 90 % russisch-orthodox. Die wenigen Katholiken (seelsorgerlich betreut vom Erzbistum Bischkek) und Lutheraner (Teil der ELKRAS) gehören zur deutschen Minderheit (etwa 12 000 Personen). Baptisten, Adventisten und Pfingstler, Buddhisten, Juden sowie Angehörige der indigenen Naturreligion (Schamanismus) und von Neureligionen (Zeugen Jehovas, Hare Krishna u. a.) bilden kleine Minderheiten. Diese sehen sich vom neuen Gesetz in ihrer Existenz bedroht. So fürchten z. B. die Adventisten, deren einst große Gemeinden aufgrund von Migration stark geschrumpft sind, dass sie ihren legalen Status verlieren könnten - trotz entgegenlautender Versicherung staatlicher Stellen, das Gesetz werde nicht rückwirkend angewendet.

Alle religiösen Minderheiten kritisieren, dass sie bei der Vorbereitung des neuen Gesetzes völlig übergangen worden sind. Demgegenüber begrüßten die Geistliche Leitung der Muslime sowie die Russische Orthodoxe Kirche das neue Gesetz. Ähnlich wie staatliche Stellen argumentierte die Geistliche Leitung der Muslime, dass sich mit dem neuen Gesetz die Aktivitäten islamistischer Bewegungen unterbinden ließen, die in den letzten Jahren vor allem im Süden des Landes zu innenpolitischen Unruhen geführt hätten. Dagegen kritisierten die nicht-offiziellen («nicht-traditionellen») islamischen Gruppierungen, es habe keine echte «islamische Wiedergeburt» gegeben, Politik und Wirtschaft seien wie in Sowjetzeiten ausschließlich an säkularen Werten ausgerichtet, die offizielle Geistlichkeit sei den Machthabern hörig und vertrete einen «heidnischen» Islam.

Die Russische Orthodoxe Kirche als zweitgrößte Religionsgemeinschaft des Landes erkennt den Status des Islams als «nationale Religion» an. Sie sieht sich selbst als eigentliches Opfer der missionierenden Neoprotestanten bzw. der «neuen religiösen Bewegungen» an, da diese ihre Anhänger vorwiegend aus slawischen Bevölkerungsgruppen rekrutierten.

SWP-Aktuell 20, März 2008; www.forum18.org, 13. Januar; RFE/RL Headlines, 13. Januar 2009 - O.S.

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