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Russische Baptisten beklagen Fehlen des Moskauer Patriarchats am «Nationalen Gebetsfrühstück»

04. Mai 2009

Am 17. März fand im regierungseigenen Präsident-Hotel zu Moskau das neunte sog. «Nationale Gebetsfrühstück» statt. Der russischen «Stiftung Nationales Gebetsfrühstück » steht als Vorstandsvorsitzender derzeit der Baptistenpastor Vitalij Vlasenko vor (Chef des Amtes für kirchliche Außenbeziehungen der Russischen Union der Evangeliumschristen- Baptisten/RUECB). Seit 2002 wird dieses «Gebetsfrühstück» jährlich abgehalten; entsprechende Veranstaltungen gibt es mittlerweile in mehr als 60 Ländern. An diesem religionsübergreifenden, von der russischen Regierung geförderten «Nationalen Gebetsfrühstück» nahmen bisher Vertreter vieler Religionsgemeinschaften teil. Allerdings war die Resonanz nie groß - vielleicht deshalb, weil das Interesse des Staates so greifbar ist (Demonstration des Religionsfriedens in Russland). Dieses Jahr fehlten beim «Gebetsfrühstück» allerdings wichtige Personen, obgleich die Zahl der Besucher mit 350 derjenigen früherer Jahre entsprach. Vor allem die Abwesenheit von Vertretern des Moskauer Patriarchats fiel ins Auge - vom Patriarchat kam nicht einmal eine Grußbotschaft. Auf baptistischer Seite befürchtet man deshalb, dass unter dem neugewählten Patriarchen Kirill die Beziehungen zwischen Staat und Religion noch stärker als bisher durch das Moskauer Patriarchat monopolisiert werden könnten.

Das kritische Internetportal «Portal-Credo. Ru» meinte sogar - nach einer Konferenz von Repräsentanten des Staates und der Religionsgemeinschaften am 11. März in Tula - ausgemacht zu haben, dass der bisherige «Rat für Zusammenarbeit mit den religiösen Organisationen am Sitz des Russischen Präsidenten» faktisch in einen «Rat für die Zusammenarbeit mit dem Moskauer Patriarchat» umfunktioniert werden könnte. Bei «Portal-Credo. Ru» heißt es: «Die Position aller religiösen Organisationen Russlands - mit Ausnahme der des Moskauer Patriarchats - wird erheblich geschwächt.» Das «Gebetsfrühstück» am 17. März 2009 war dem Thema «Jugend» gewidmet. In diesem Zusammenhang wurden erschreckende Zahlen genannt: In Russland befinden sich mehr als 900 000 Menschen in Gefängnissen und sog. «Besserungskolonien» (= die früheren Lager); zwei Millionen (1,5% der Bevölkerung) seien drogenabhängig. Der Pro-Kopf-Verbrauch an reinem Alkohol pro Jahr soll bei 16 Litern pro Staatsbürger liegen (USA: 8 Liter). Der Präsident der Baptistenunion RUECB, Pastor Jurij Sipko, erklärte, Russland vergeude seinen größten Reichtum - seine Jugend. Doch sei die Verwahrlosung der russischen Jugend nicht der Jugend allein, sondern mindestens ebenso den Eltern anzulasten. «Was hier in unserem russischen Haus geschieht, ist das Ergebnis unserer eigenen Fahrlässigkeit, unserer Eitelkeit und Verlogenheit.» Nach Auffassung Konstantin Bendas, des Sprechers der charismatischen «Vereinigten Russischen Union der evangelischen Pfingstchristen», müsste man alle Christen und alle wohlmeinenden Kräfte bündeln, um gegen die sozialen Mißstände im Lande anzukämpfen und ihrer Herr zu werden. Mit Blick auf die Baptisten stellte der Journalist (und G2W-Autor) Roman Lunkin klar: Protestanten hätten allen Grund, sich zu sozialen Fragen zu äußern. «Protestanten arbeiten häufig aktiver mit Rauschgiftsüchtigen, Gammlern und Verwahrlosten zusammen als Vertreter des Moskauer Patriarchats und auch der Muslime.»

Anwesend war auch der Stv. Vorsitzende des «Rates der Russischen Föderation » (= Oberhaus), Alexander Torschin. Er sprach die Versammelten mit «Brüder und Schwestern» an und wünschte dem «Gebetsfrühstück» eine erfolgreiche Entwicklung. Er habe am 5. Februar ein solches Gebetsfrühstück in Washington - mit 2800 geladenen Gästen - besucht. Er hoffe, dass am 10. Gebetsfrühstück im Jahr 2010 - wie in den USA - der Staatspräsident und andere führende Staatsvertreter teilnehmen würden. - Auch Rabbi Jitzhak Kogan, Vorsteher der Synagoge «Agudas Chasidei Chabad» in Moskau, wünschte dem «Gebetsfrühstück» eine erfolgreiche Zukunft.

Es zeigte sich auch bei dieser Veranstaltung, dass die Zersplitterung im russischen (Neo-)Protestantismus weitergeht. So waren zwar einige charismatische Pfingstchristen anwesend, doch ihr Bischof, Sergej Rjachovskij, fehlte. - Unter den ca. 1 Mio. Neo-Protestanten in Russland (Bünde der Baptisten und der Evangeliumschristen, Mennoniten, Adventisten, Pfingstchristen und viele charismatische Gruppierungen) setzt sich, so scheint es, allmählich die Einsicht durch, dass man alle Kräfte darauf verwenden müsse, um der Zersplitterung der (neo-)protestantischen Bewegung mit allen Kräften entgegenzuwirken.

Nach: William Yoder, Moskau, Abtlg. für kirchliche Außenbeziehungen RUECB, 19. März 2009 - G.S.

Zur Gefängnisstatistik in Russland

Der aktuellsten offiziellen Statistik vom 1. Januar 2009 zufolge waren Ende 2008 in Russland 887 000 Menschen in staatlichem Gewahrsam: 734 300 befinden sich in 758 sog. «Besserungskolonien» (den früheren «Lagern»); 225 000 Untersuchungshäftlinge sitzen in 296 Gefängnissen bzw. in entsprechenden Gebäuden ein; 8500 Jugendliche sind in 62 sog. «Erziehungskolonien» untergebracht. Die Zahl der verurteilten Frauen (sie ist in der obigen Gesamtzahl enthalten) beträgt 63 300; bei zwölf der «Frauenkolonien » gibt es «Kinderhäuser» mit 797 Kindern.

Quelle: Federal'naja služba ispolnenij nakazanij. www.fsin.su, 1. Januar 2009. - G.S.

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