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Flucht und Rückkehr. Russische Aggression und erzwungene Migration

RGOW 01-02/2023
Olena Malynovska

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Viele von ihnen sind in der Ukraine geblieben, andere haben im Ausland, vor allem den Nachbarstaaten, Zuflucht gefunden. In der Ukraine stehen die Flüchtlinge vor großen, vor allem wirtschaftlichen Herausforderungen, während im Ausland viele dank ihres hohen Bildungsniveaus Arbeit gefunden haben. Die meisten Flüchtlinge wollen nachhause zurückkehren, die Sicherheitslage und Erwerbsmöglichkeiten sind jedoch vielfach noch ungewiss.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens im Land radikal verändert – auch die Migrationsmuster. Die in den letzten Jahrzehnten übliche Arbeitsmigration[1] hat sich in eine erzwungene Migration verwandelt. Mehr als ein Drittel der Einwohner:innen der Ukraine waren gezwungen, ihren Wohnort zu verlassen und entweder innerhalb des Landes oder ins Ausland zu fliehen. Laut Daten der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die bereits elfmal eine Telefonumfrage unter der ukrainischen Bevölkerung durchgeführt hat,[2] war die Zahl intern Vertriebener (internally displaced people, IDPs) mit fast 8 Mio. Menschen im April 2022 am höchsten. Danach sank die Zahl und betrug Anfang Dezember 2022 5,9 Mio. (Grafik 1). Zu diesem Zeitpunkt hatten 83 Prozent seit mehr als drei Monaten den IDP-Status, darunter 70 Prozent seit mehr als sechs Monaten.

Flucht vor allem aus dem Osten und Süden
Trotz der gesunkenen Zahlen dauert die erzwungene Migration an. Allein in den letzten 30 Tagen vor der elften IOM-Umfrage Anfang Dezember waren 680 000 Personen gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen. Diese waren vor allem Bewohner von Regionen, in denen erbitterte Kämpfe stattfinden. Fast die Hälfte (45 Prozent) war zuvor an den angestammten Wohnort zurückgekehrt, zögerte aber, erneut zu fliehen. Die Herkunftsregionen der IDPs hängen von der Intensität der Angriffe ab: Die meisten IDPs kommen aus den östlichen und südlichen Teilen des Landes – 68 und 19 Prozent.

Zuflucht finden die IDPs hauptsächlich in den zentralen und westlichen Regionen sowie in der Hauptstadt Kyjiw. Allerdings ist die Zahl der IDPs in den östlichen Gebieten, also in der Nähe der militärischen Operationen, ebenfalls beträchtlich (Grafik 2). Die humanitäre Lage in den Gebieten, die beträchtlicher Zerstörung ausgesetzt waren und sind, ist im Winter noch komplizierter geworden. Auch in Regionen, die von den Schauplätzen der Kampfhandlungen weiter entfernt sind, stehen die IDPs vor Schwierigkeiten, da Beschäftigung, Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Bildungsangebote aufgrund der vielen Flüchtlinge viel schwieriger zu finden sind. Ein zusätzliches Problem ist der drastische Anstieg der Wohnungsmieten. Deshalb mussten laut der IOM-Umfrage 37 Prozent der IDPs ihre Unterkunft wechseln, darunter 14 Prozent, die bereits dreimal oder mehrmals umziehen mussten. Gründe dafür waren vor allem fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten, mangelnde angemessene Unterkünfte sowie der Wunsch nach Wiedervereinigung mit der Familie (33 Prozent) und die Sicherheitslage (28 Prozent).

Gemäß der IOM-Umfrage sind bis Ende 2022 5 Mio. IDPs an ihren ständigen Wohnsitz zurückgekehrt (Grafik 1). Für einige war das möglich, weil Teile der besetzten Gebiete befreit wurden. Allerdings waren auch einige zur Rückkehr gezwungen, da ihre finanziellen Ressourcen aufgebraucht waren und sie deshalb nicht an ihren vorübergehenden Aufenthaltsorten bleiben konnten. Die meisten Menschen – 1,5 Mio. gemäß Schätzungen der IOM – kehrten in die Hauptstadt Kyjiw zurück sowie 1,3 Mio. in die Region Kyjiw und den nördlichen Teil des Landes, die im Mai 2022 von den Besatzern befreit worden waren. In die kürzlich befreiten Gebiete im Süden der Ukraine sind aufgrund der unzuverlässigen Sicherheitslage und der weitreichenden Zerstörungen in diesen Gebieten am wenigsten Vertriebene zurückgekehrt. Die Umfragedaten zeigen zudem nicht, ob die Menschen dauerhaft oder nur vorübergehend zurückgekehrt sind. Aufgrund von Beschuss und Problemen mit der Strom-, Wärme- und Wasserversorgung wegen der Zerstörung der zivilen Infrastruktur durch die Angreifer erwägt jeder zehnte Rückkehrer, also bis zu 500 000 Personen, seinen angestammten Wohnort erneut zu verlassen.

Die große Mehrheit der IDPs möchte gern nachhause zurückkehren, aber 12 Prozent oder rund 785 000 Personen, mehrheitlich zwischen 18 und 34 Jahre alt, gaben an, sich an ihrem aktuellen Wohnort integrieren zu wollen. Der Hauptgrund für diese Entscheidung ist die Sicherheitslage (54 Prozent); 32 Prozent gaben den fehlenden Zugang zu Dienstleistungen an ihrem ursprünglichen Wohnort an; 27 Prozent sagten, dass ihr Zuhause unter der militärischen Kontrolle Russlands stehe; über 15 Prozent halten es für unmöglich, an ihrem ursprünglichen Wohnort Geld zu verdienen. Beschädigte oder zerstörte Häuser im Herkunftsgebiet waren für 19 Prozent der IDPs der Grund, nicht nachhause zurückkehren zu können.

Obwohl die ganze Bevölkerung der Ukraine unter dem Krieg leidet (laut der Weltbank hat sich die extreme Armut von 2 Prozent vor dem Krieg auf 25 Prozent erhöht), ist klar, dass IDPs zu den verwundbarsten Personen gehören. Die IOM-Umfrage zeigt, dass ein Viertel der IDPs Kinder unter 18 Jahren sind, mehr als 20 Prozent sind Personen über 60 und nur 54 Prozent sind Personen im Erwerbsalter. Die Mehrheit der IDPs sind Frauen, nämlich 57 Prozent. 25 Prozent der Befragten gaben an, dass mindestens ein Familienmitglied, das zurzeit mit ihnen wohnt, eine Person mit Einschränkungen ist; bei 39 Prozent ist ein Familienmitglied chronisch krank.

Das Hauptproblem der IDPs sind finanzielle Schwierigkeiten. Die meisten von ihnen haben ihre Ersparnisse aufgebraucht. Es ist extrem schwierig, am neuen Wohnort ein Einkommen zu finden. Zu den dringendsten Bedürfnissen zählen zudem Medikamente und Gesundheitsdienstleistungen sowie Kleider, Schuhe und Nahrungsmittel. Mit den sinkenden Temperaturen sind auch feste Brennstoffe für viele ein dringendes Bedürfnis (8 Prozent der IDPs).

Diese Probleme bestehen, obwohl die IDPs vorübergehend Unterkunft und finanzielle Unterstützung erhalten. Personen, welche die Kriegszone oder die besetzten Gebiete verlassen haben, oder deren Häuser beschädigt und unbewohnbar sind, erhalten monatlich vom Staat 2 000 Hryvnia pro Erwachsenen (50 Euro gemäß dem Wechselkurs Anfang 2023) und 3 000 Hryvnia (75 Euro) für ein Kind oder eine Person mit Behinderung. Lokale Behörden können weitere Sozialhilfe, Lebensmittel, Medikamente etc. zur Verfügung stellen. Freiwillige und NGOs sammeln oder produzieren und verteilen bedeutende Mengen humanitärer Hilfe. Viel Hilfe kommt auch von internationalen Organisationen und ausländischen Gebern. Haushalte, die Vertriebene aufnehmen, und Arbeitgeber, die IDPs anstellen, erhalten ebenfalls eine gewisse Kompensation vom Staat. Dank der koordinierten Aktivitäten des Staats und der lokalen Organe, gegenseitiger Unterstützung der Menschen und aktiver Hilfe von internationalen Partnern konnte die Ukraine bislang eine humanitäre Katastrophe verhindern, aber die Situation der Geflüchteten sowie derer, die in den umkämpften Gebieten und in den besetzten Territorien geblieben sind, ist extrem schwierig.

Flucht ins Ausland
Neben der Rückkehr und der Unterbringung an den aktuellen Aufenthaltsorten könnte eine mögliche Lösung für das Problem der IDPs eine Umsiedlung an andere Wohnorte, auch ins Ausland sein. Die Sicherheitslage und die Probleme aufgrund der Kriegszerstörungen, die sich besonders im Winter verschlimmern, bestärken diese Überlegungen. Im Dezember 2022 zogen mehr als 2,2 Mio. Menschen die Möglichkeit in Betracht, ihren Wohnort zu verlassen (Grafik 1). Das sind fast doppelt so viele wie im Sommer 2022. Die meisten von ihnen planen, innerhalb der Ukraine umzuziehen, wenn sich die Situation verschlimmert. Aber 20 Prozent schließen nicht aus, ins Ausland zu gehen, vorwiegend in die EU-Staaten.

Aufgrund des Kriegs befindet sich bereits eine große Zahl von Ukrainer:innen im Ausland. Mitte Januar 2023 waren 4,982 Mio. ukrainische Bürger für vorübergehenden Schutz oder ähnliche nationale Schutzprogramme in Europa registriert. Laut dem UNHCR war jeder fünfte von ihnen zuvor ein IDP. Die Dynamik der Auswanderung lässt sich anhand von Daten zu Überquerungen der ukrainischen Grenze nachverfolgen: So kamen allein am 7. März 2022 über 140 000 Personen aus der Ukraine in Polen an. Dann stabilisierten sich Rückkehr und Auswanderung und betrugen, mit gewissen Fluktuationen, insbesondere während der Winterfeiertage, 20 000 – 40 000 pro Tag. Wie aus der Grafik ersichtlich, führten weder die massive Bombardierung ukrainischer Städte seit Oktober 2022 noch die sich verschlechternden Wetterbedingung zu einem bedeutenden Anstieg der Emigration (Grafik 3).

Um der vom Krieg betroffenen Zivilbevölkerung zu helfen, haben die Nachbarstaaten der Ukraine und Europa als Ganzes ihre Grenzen für Ukrainer geöffnet, sogar ohne für internationale Reisen nötige Dokumente. Umfragedaten des UNHCR zeigen, dass 19 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in sieben benachbarten Staaten ihren Auslandspass nicht bei sich trugen und die Grenze mit einem internen, nationalen Dokument überquert hatten. 6 Prozent hatten einen alten Pass ohne biometrische Daten, der eigentlich keine visumsfreie Einreise in die EU erlaubt.[3] Empfang, Unterbringungspunkte und Logistikketten für den Transport der Flüchtlinge wurden organisiert. Entsprechend der EU-Richtlinie über vorübergehenden Schutz, die am 4. März 2022 in Kraft gesetzt wurde, erhielten ukrainische Kriegsflüchtlinge das Recht auf Unterkunft, Arbeit, Bildung, medizinische Dienstleistungen und Sozialhilfe. Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen sich frei auf dem Gebiet der EU bewegen und unabhängig entscheiden, in welchem Land sie bleiben wollen.

Wieviele ukrainische Flüchtlinge sind in Russland?
Mit Bezug auf das UNHCR manipuliert die russische Presse die Zahl von 2,8 Mio. ukrainischen Flüchtlingen in Russland, um den Wunsch von Ukrainern nach Zuflucht im Land des Aggressors zu belegen. Dabei muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass das UNHCR offizielle Daten verwendet. Das heißt, dass die angegebene Zahl von den russischen Behörden geliefert wurde. Es gibt keine Möglichkeit, sie zu verifizieren. Zugleich beantragten laut russischen Offiziellen bis im Sommer 2022 nur 64 000 Ukrainer temporären Schutz in Russland.[4] Diese geringe Zahl ist einerseits eine Folge der massenhaften Ausgabe russischer Pässe in den besetzten Territorien, aufgrund dessen ein Großteil der Bewohner keine zusätzlichen Dokumente braucht, um einen Aufenthalt in Russland zu legalisieren. Andererseits ist die geringe Zahl ein Grund zur Annahme, dass die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine nach Russland tatsächlich viel tiefer liegt, als die russischen Behörden behaupten.

Zugleich führt der einzige Weg zur Evakuation für Menschen in den besetzen Gebieten zumeist durch russisches Territorium. Die ukrainische Regierung hat wiederholt darauf  bestanden, dass die Menschen ihr Leben retten sollen, und dass eine Ausreise nach Russland, auch mit vom Aggressor ausgestellten Dokumenten, nicht sanktioniert wird. Aber wir wissen auch, dass viele Menschen aus den besetzten Gebieten gewaltsam nach Russland verschleppt wurden. Gemäß Schätzungen des ukrainischen Innenministeriums deportierten die Besetzer mehr als eine Mio. Ukrainer.[5] Viele von ihnen wurden in notleidende und abgelegene russische Regionen umgesiedelt.

Die angeführte Zahl von 2,8 Mio. bezieht sich wahrscheinlich auf die Zahl von Grenzübertritten von Ukrainern nach Russland. Unbekannt ist dagegen, wie viele Ukrainer Russland wieder verlassen haben. So berichteten Medien, dass monatlich 50 000 – 60 000 Ukrainer den Grenzübergang Narva nach Estland passierten.[6] Allerdings ist es äußerst schwierig, Russland ohne Geld und Dokumente zu verlassen. Hilfe bieten Menschenrechtsorganisationen und Freiwillige aus Russland und anderen Ländern. Die Ukrainer, denen es gelingt, aus Russland zu flüchten, kehren nachhause zurück oder reisen über Estland, Litauen und Georgien in andere Länder.

Integration in den Arbeitsmarkt der Aufnahmeländer
Ukrainerinnen haben in vielen Ländern Zuflucht gefunden, sogar in weit entfernten Ländern wie Brasilien oder Japan. Programme zur Aufnahme der Kriegsflüchtlinge wurden von den USA, Kanada und Australien entwickelt. Aber die meisten Flüchtlinge sind in Europa. Die Wahl des Ziellands wird vor allem von der Anwesenheit von Freunden oder Verwandten und der Nähe zum Heimatland bestimmt. Im Fall der Ukraine bedeutet das, dass die Hauptziele der Flüchtlinge die Nachbarländer und die Staaten mit einer großen ukrainischen Diaspora sind, die aufgrund der Arbeitsmigration in den letzten Jahrzehnten entstanden ist.

Anders als während der Flüchtlingskrise 2015/16 zeigte die EU eine beeindruckende Einigkeit in ihrer Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge. Dies hängt mit dem Bewusstsein für die Gefahr, die Russlands Angriff für Europa darstellt, zusammen sowie mit einer kulturellen Nähe und zahlreichen familiären oder geschäftlichen Verbindungen, die während vieler Jahre der Arbeitsmigration von der Ukraine in die EU entstanden sind. Die Zusammensetzung der Flüchtlinge weckt ebenfalls Sympathie, da es mehrheitlich Frauen und Kinder sind. In Polen beispielsweise waren Anfang 2023 39,5 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge Kinder unter 18 Jahren, 47,1 Prozent waren Frauen zwischen 18 und 65, 9,6 Prozent Männer zwischen 18 und 65 und 3,9 Prozent waren Personen über 65.

Zudem muss das hohe Bildungsniveau der Ukrainer hervorgehoben werden. Laut einer UNHCR-Umfrage unter ukrainischen Kriegsflüchtlingen in sieben Nachbarländern der Ukraine hatten 47 Prozent von ihnen einen tertiären Bildungsabschluss, 2 Prozent eine Postgraduiertenausbildung, 27 Prozent verfügten über eine Berufsbildung und nur 21 Prozent hatten eine Ausbildung auf Sekundarstufe.[7] Eine Umfrage unter Flüchtlingen in Deutschland zeigte sogar noch höhere Zahlen, so verfügten 71 Prozent der Befragten über einen tertiären Bildungsabschluss und 7 Prozent über wissenschaftliche Diplome.[8]

Das hohe Bildungsniveau erhöht die Wettbewerbsfähigkeit der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt erheblich, obwohl sie kleine Kinder und daher Bedarf an Kinderbetreuung haben, und es an für Frauen geeigneten Stellen mangelt. Viele von ihnen arbeiten bereits. Laut Daten aus Polen hatten bis Ende August 2022 schon 430 000 Personen mit vorübergehendem Schutzstatus eine Stelle gefunden und arbeiteten. Das waren zwei Drittel der Flüchtlinge im Erwerbsalter.[9] In Tschechien hatten bis Juli 2022 107 000 Ukrainerinnen Arbeit gefunden, vor allem in Sektoren, in denen Stellen schwierig zu besetzen sind.[10] In Großbritannien arbeiteten im November 2022 56 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge aus der Ukraine, das ist ein bedeutender Anstieg gegenüber 19 Prozent im Juni 2022.[11] Laut der Europäischen Zentralbank wird erwartet, dass die Zuwanderung ukrainischer Flüchtlinge zu einer schrittweisen Vergrößerung der Erwerbsbevölkerung in der Eurozone zwischen 0,2 und 0,8 Prozent führen wird. Das könnte dem Markt helfen, auf die aktuelle Nachfrage nach Arbeitskräften zu reagieren und dem sich verschärfenden Fachkräftemangel zu begegnen.[12]

Obwohl die Aufnahmeländer aufgrund des großen Anteils an Kindern unter den Flüchtlingen gezwungen sind, erhebliche zusätzliche Mittel für Bildung und medizinische Versorgung aufzuwenden, hat die Ankunft der Ukrainerinnen zur Entwicklung der europäischen Wirtschaft beigetragen. Dies gilt zunächst für eine deutlich erhöhte Konsumnachfrage. Die Ukrainerinnen gaben mehrheitlich ihr eigenes Geld aus: Erspartes, Löhne für Telearbeit für einen ukrainischen Arbeitgeber oder finanzielle Unterstützung von zurückgelassenen Familien. Laut Daten der ukrainischen Nationalbank haben ukrainische Bürger drastisch mehr Geld von Konten bei ukrainischen Banken im Ausland ausgegeben.

Mit der Beschäftigung der Flüchtlinge in den Aufnahmeländern tragen diese mit ihrer Arbeit und ihren Steuerzahlungen zu deren Wohlstand bei. Laut dem Zentrum für Migrationsforschung der Universität Warschau stützen die ukrainischen Flüchtlinge die polnische Wirtschaft eher, als dass sie sie belasten. Berechnungen zufolge zahlten die Ukrainerinnen von Kriegsbeginn bis November 2022 10 Mia. Złoty Steuern, während sie 3,5 Mia. Złoty an staatlichen Hilfen erhielten. Allerdings berücksichtigt diese Zahl nicht die staatlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit sowie die Unterstützung von privaten Stiftungen.[13]

Perspektiven für die Rückkehr
Dank der Hilfe der Staaten, die Millionen ukrainischen Flüchtlinge aufgenommen haben, wurden Tausende Leben gerettet und die humanitäre Krise in der Ukraine deutlich gemindert. Aber natürlich ist die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat eine große Sorge: Der Verlust eines Teils des Arbeits- und intellektuellen Potentials könnte den Nachkriegsaufbau und die weitere Entwicklung des Landes deutlich verlangsamen. Im Moment jedoch will die große Mehrheit der Flüchtlinge nachhause zurückkehren. Im Dezember 2022 waren laut der IOM bis zu 1,2 Mio. Flüchtlinge bereits aus dem Ausland zurückgekehrt, vor allem aus europäischen Ländern (91 Prozent).[14] Sie stellen 23 Prozent aller Rückkehrer dar, und dieser Anteil wächst. Im Sommer 2022 bildeten sie nur 7 Prozent aller Rückkehrer, im September 15 Prozent.

Die Aussichten für eine Rückkehr der Flüchtlinge hängen vor allem von der Dynamik des Kriegs, der weiteren Zerstörungen durch die Angreifer, dem Tempo des Wiederaufbaus nach dem Krieg und der Politik der Aufnahmestaaten ihnen gegenüber ab. Auch der Zeitfaktor ist wichtig: Je länger die Flüchtlinge im Ausland bleiben, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich in die Aufnahmegesellschaft integrieren und zu einem langfristigen Aufenthalt entscheiden. Familienzusammenführungen sind ebenfalls sehr wichtig. Die Frage ist, ob die Männer nach dem Kriegsende zu ihren Familien ins Ausland reisen werden, oder ob die Frauen zu ihren Partnern in der Ukraine zurückkehren. Selbst wenn sich eine Familie, die ihr Zuhause und ihren Besitz verloren hat, entscheidet, ihr Leben in der Ukraine wieder aufzubauen, arbeitet sie womöglich im Ausland weiter, um die benötigten finanziellen Ressourcen zu beschaffen. So wird es eine neue Welle von Arbeitsmigranten aus der Ukraine ins Ausland geben, um die Lebensgrundlagen von kriegsbetroffenen Haushalten sicherzustellen.

Zugleich hat der Krieg, der zu massenhafter Zwangsumsiedlung geführt hat und die Menschen in die Arbeitsmigration treibt, die ukrainische Nation gefestigter denn je, und stärkt die Motivation der Menschen, ihr Land wiederaufzubauen. Laut einer Umfrage des Internationalen Instituts für Soziologie in Kyjiw waren im Herbst 2022 nur 7 Prozent der Befragten bereit, in die EU oder USA auszuwandern, sogar unter der Bedingung, dass sie die Staatsbürgerschaft dieser Länder ohne Probleme bekommen würden. Vor dem Krieg, im Oktober 2020, drückten noch 28 Prozent der Befragten einen solchen Wunsch aus.[15]

Anmerkungen:
[1])    Gemäß Schätzungen arbeiteten vor dem Krieg mehr als 3 Mio. Ukrainer:innen in europäischen Ländern, davon ca. eine Mio. in Polen. Vgl. Jóźwiak, Ignacy: Wachsende Nachfrage: Arbeitsmigration aus der Ukraine nach Polen. In: RGOW 50, 1 (2022), S. 6–8.

[2])    https://dtm.iom.int/ukraine

[3])    https://data.unhcr.org/en/documents/details/95010

[4])    https://www.ng.ru/politics/2022-09-20/3_8544_citizenship.html

[5])    https://mvs.gov.ua/news/vidsyogodni-nasilno-vivezeni-do-rf-ukrayinci-mozut-oformiti-posvidcennya-na-povernennya-v-ukrayinu

[6])    https://www.bbc.com/ukrainian/features-62316233

[7])    https://reliefweb.int/report/poland/lives-hold-intentions-and-perspectives-refugees-ukraine-2-september-2022

[8])    https://www.cesifo.org/en/publications/2022/article-journal/prospects-integration-ukrainian-refugees-german-labor-market

[9])    https://inpoland.net.pl/novosti/obshhestvo/u-polshhi-za-sproshhenoyu-proceduroyu-oficijjno-pracevlashtuvalosya-430-tisyach-ukra%d1%97nskikh-bizhenciv/

[10])   https://www.seznamzpravy.cz/clanek/ukrajinski-novyny-chekhiia-ne-znaie-skilki-ukrayinskikh-bizhentsiv-zalishilosia-v-krayini-212933

[11]) https://www.ons.gov.uk/peoplepopulationandcommunity/populationandmigration/internationalmigration/bulletins/visaholdersenteringtheukundertheukrainehumanitarianschemes/17octoberto7november2022

[12])   https://www.ecb.europa.eu/pub/economic-bulletin/focus/2022/html/ecb.ebbox202204_03~c9ddc08308.en.html

[13])   https://www.ukrainianworldcongress.org/ukrainian-refugees-uphold-rather-than-burden-polish-economy/#:~:text=Since%20the%20beginning%20of%20the,of%20Warsaw%20told%20Ukrayina.pl

[14])   https://displacement.iom.int/sites/g/files/tmzbdl1461/files/reports/IOM_Gen%20Pop%20Report_R11_RET_FINAL_Logos_0.pdf

[15])   https://www.slovoidilo.ua/2022/09/22/novyna/suspilstvo/kilkist-ukrayincziv-hotovyx-vyyixaty-zhyty-ssha-chy-yes-znyzylasya-vchetvero-opytuvannya

Übersetzung aus dem Englischen: Natalija Zenger.

Olena Malynovska, Dr., Leitende Forscherin am Nationalen Institut für Strategische Studien der Ukraine, Kyjiw.

Bild: Zahlreiche Frauen sind mit ihren Kindern vor dem russischen Angriff geflohen (Foto: Shutterstock.com).

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