Buchbesprechungen
RGOW 11/2024
Zwei Buchbesprechungen zu
Alexander Meienberger: Die Stiftung „Russkij mir“
Alexa von Winning: Intimate Empire
Alexander Meienberger
Die Stiftung „Russkij mir“
Ideologie, Ziele und Netzwerk
(= Osteuropa in Geschichte und Gegenwart, Bd. 12)
Köln: Böhlau Verlag 2024, 275 S.
ISBN 978-3-412-52974-1; 978-3-412-52975-8 (OpenAccess). € 60.–; CHF 81.90.
Die Stiftung „Russkij mir“ dient der russischen Regierung seit 2007 als Instrument der kulturellen Außenpolitik, mit dem anfangs vor allem die russische Sprache im Ausland gefördert werden sollte. In seiner Dissertation zeigt Alexander Meienberger auf, wie die Stiftung seit ihrer Gründung zu einer „eigenständigen außenpolitischen Institution“ geworden ist, deren Aktivitäten vor allem im sog. Nahen Ausland Russlands „weit über die Grenzen ihrer Kultur- und Sprachpolitik hinausgehen“ (S. 11). Er schildert die Gründung der Stiftung, ihre Organisationsstruktur und ihre Finanzierung, Konzept, Ideologie, Symbolik, und wie sie im öffentlichen Diskurs dargestellt wird und geht auf ihre konkreten Tätigkeiten ein. Bezüglich der Finanzierung, die fast vollständig aus dem Staatshaushalt stammt, stellt Meienberger fest, dass Russland „wenig Geld für seine Soft Power und insbesondere für die Stiftung zur Verfügung stellt“ (S. 131). Der russische Staat gebe ca. 30 Mio. US-Dollar jährlich dafür aus, während beispielsweise das Goethe-Institut 2019 445 Mio. Euro zur Verfügung gehabt habe. Auch die Präsenz der Stiftung in den Medien und sozialen Netzwerken sei begrenzt. Ihre Kanäle verfügten über eine begrenzte Reichweite und böten keine eigenständigen, neuen Inhalte. Die Mitglieder des Stiftungs- und Aufsichtsrats, unter denen viele Politiker und wenige Vertreter aus Bildung und Kultur sind, werden vom russischen Präsidenten ernannt, wodurch der Staat völlige Kontrolle über die Stiftung ausübt. Diese sorgfältige Erarbeitung und systematische Darstellung der Struktur, Finanzierung und Arbeitsweise der Stiftung Russkij mir ist sehr verdienstvoll und macht das Buch zu einem nützlichen Nachschlagewerk.
Einen Schwerpunkt der Untersuchung bilden das Netzwerk und die Aktivitäten der Stiftung in Deutschland und Österreich. In Deutschland greift die Stiftung laut Alexander Meienberger bei der Suche nach Kooperationspartnern auf die Hilfe diplomatischer Institutionen Russlands zurück. Unterstützt würden nur Vereine, die „eine klare prorussländische Linie vertreten“ (S. 184), die sich auch in deren Positionierung zum Krieg gegen die Ukraine zeige. Insgesamt attestiert Meienberger der Stiftung Intransparenz in finanziellen und personellen Fragen. Außerdem verfüge die Stiftung „über keine generelle Strategie ihrer Arbeit im Ausland, vielmehr handelt sie situations- und ortsabhängig“ (S. 220). Ihre Tätigkeit richtet sich in Europa und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion in erster Linie an russischsprachige Menschen. Dabei stimmt ihre wertkonservative Ausrichtung mit der russischen Staatsideologie überein und sie propagiert und kultiviert das Narrativ der „großen“ russischen Kultur.
Natalija Zenger
Alexa von Winning
Intimate Empire
The Mansurov Family in Russia and the Orthodox East, 1855–1936
Oxford: Oxford University Press 2022, 219 S.
ISBN: 978-0-19-284441-5. € 125.99; CHF 128.90.
Angesichts aktueller Verwerfungen in der Orthodoxie weltweit ist diese historische Studie hochaktuell. Am Beispiel der russischen Adelsfamilie Mansurov hat die Tübinger Historikerin die Rolle familiär vernetzter Vertreter des Russischen Imperiums in transnationalen Kontexten und insbesondere im „orthodoxen Osten“ zwischen 1855 und 1936 erforscht. Nach dem verlorenen Krim-Krieg suchte das Russische Reich nach neuen Einflussmöglichkeiten auf internationalem Parkett (S. 2), u. a. durch „religious empire building“, während auch westliche christliche Kirchen und europäische Staaten um Einfluss in Palästina und Syrien rangen (S. 67). Damit bietet die Autorin neue Perspektiven auf die Rolle der Orthodoxie in der imperialen Geschichte Russlands, an die russische Akteure der Gegenwart heute anknüpfen wollen.
Die Kapitel orientieren sich hauptsächlich an den Karrieren Boris Mansurovs und seiner Kinder Pavel, Ekaterina und Natalia. In den ersten beiden Kapiteln erfahren wir vom Aufstieg Boris Mansurovs vom Krankenhausverwalter und Kriegsberichterstatter auf der Krim und seinem darauffolgenden Auftrag in den frühen 1860er Jahren, in Jerusalem einen russisch-orthodoxen Wallfahrtsort aufzubauen. Je mehr sich Mansurov mit den nicht-russischen Wurzeln und Vertretern der Orthodoxie auseinandersetzte, desto kritischer wurde er gegenüber dem russischen Autoritätsanspruch (S. 53). Der Sohn Pavel machte sich im internationalen Wettbewerb um imperiale „soft power“ verdient, indem er 1894 das Russische Archäologische Institut in Konstantinopel gründete (S. 86). Die Forschung zur byzantinischen und slavischen Antike diente u. a. dem Erbringen eines wissenschaftlichen Beweises für Russlands Schutzfunktion für die Orthodoxie in der Region und insbesondere auf dem Balkan (S. 94). Auch Boris’ Töchter waren einflussreiche orthodoxe Akteurinnen (S. 134), wie das vierte Kapitel zeigt. Die Gründung einer Sonntagsschule für Mädchen in Riga führte zu einem etablierten Kloster als eine der Russifizierungsmaßnahmen (S. 104).
Das fünfte Kapitel beschreibt den Umgang mit der Revolution von 1905 in Moskau und das Engagement Mansurovs in orthodoxen Interessegruppen zur Verteidigung der Autokratie, nicht ohne gewisse Reformen zu begrüßen. Zudem engagierte sich Pavel für ein respektvolles Verhältnis der russischen Orthodoxie zum Ökumenischen Patriarchat und eine transkonfessionelle orthodox-anglikanische Einheit. Wie sich all diese Aktivitäten zerschlugen, beschreibt schließlich das letzte Kapitel zur prekären Zeit nach der Revolution von 1917.
Das Buch zeichnet durch die Linse von Privatpersonen als orthodoxe Gläubige, Repräsentanten und Repräsentantinnen des Russischen Imperiums ein differenziertes Bild des russischen Adels im Kontext der „religiösen Globalisierung“ des 19. Jahrhunderts.
Regula Zwahlen