
Toxische Verhandlungsdynamik: Trump sucht Abkommen um jeden Preis
RGOW 03–04/2025
Die Trump-Regierung hat mit ihrem Vorstoß zu Gesprächen in Saudi-Arabien zwar Bewegung in die Verhandlungen zwischen Russland und die Ukraine gebracht. Doch die Richtung, in die sie sich bewegen, verheißt nichts Gutes. Der US-Präsident verfolgt eine Exit-Strategie aus dem Krieg, die Chaos und Disruption mit sich bringt. Mit diesem Vorgehen droht mehr denn je seit der russischen Vollinvasion in die Ukraine vor drei Jahren ein schmutziger Frieden.
„Ihr habt einen schönen Ozean und ihr spürt es im Moment noch nicht. Aber ihr werdet es in Zukunft spüren, Gott beschütze Euch“, sagte Volodymyr Zelenskyj bei seinem Treffen mit Donald Trump im Oval Office Ende Februar in Washington. Der US-Präsident reagierte scharf: „[…] Wir sind dabei zu versuchen, ein Problem zu lösen. Sagen Sie uns nicht, was wir zu spüren bekommen werden.“ Zelenskyj: „Das sage ich Ihnen nicht. Ich beantworte lediglich die Fragen.“ Trump unbeirrt weiter: „[…] Denn Sie sind nicht in der Position, das zu diktieren.“[1]
Für alle Welt sichtbar eskalierte das Wortgefecht zwischen den beiden Präsidenten vor laufender Kamera und machte deutlich: Es wird keine Verhandlungen auf Augenhöhe zwischen den USA und der Ukraine geben. Zelenskyj durfte sich im Weißen Haus maximal als Bittsteller fühlen. Eigentlich war für dieses Treffen die Unterzeichnung eines Rohstoff-Abkommens geplant. Dieser Deal sollte den USA weitreichenden Zugriff auf ukrainische Bodenschätze sichern, als Kompensation für (bereits geleistete) US-Waffenhilfe. Stattdessen kam es zum Abbruch der Gespräche. Zelenskyj wurde aus dem Weißen Haus hinauskomplimentiert.
Bis dato waren die USA der wichtigste Verbündete der Ukraine in ihrem Selbstverteidigungskampf gegen den russischen Aggressor gewesen. Nicht nur diese Rolle hat Donald Trump gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit verlassen. Immer mehr verstärkt sich der Eindruck, dass die USA unter Trump wenig mit einer regelbasierten internationalen Ordnung und den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Diplomatie anfangen können – und wollen. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Ukraine. Auch die Sicherheitsarchitektur Europas steht nach 80 Jahren stabiler Schutzvereinbarungen mit den USA vor einer Zäsur, die man auch einen Abgrund nennen könnte.
Trump kündigt Konsens auf gerechten Frieden auf
Fragt man sich, welche Handlungs- und Verhandlungsstrategien die Trump-Regierung verfolgt, fallen zwei Dinge auf: Die USA streben, erstens, nach einer konsequenten Exit-Strategie aus dem Krieg. Diese basiert aber nicht auf einem ausgearbeiteten Plan, geschweige denn einer Vision für die Ukraine. Zwar hatte auch die Biden-Regierung nicht mit bahnbrechenden Vorschlägen für eine Verhandlungslösung geglänzt. Doch wurde unter Biden nicht an dem Konsens mit Kyjiw und den europäischen Partnern gerüttelt, dass das gemeinsame Ziel ein gerechter und stabiler Frieden für die Ukraine sein müsse. Das bedeutete auch, wenn über die Ukraine verhandelt wird, muss Kyjiw am Tisch sitzen. Nach allem, was zu beobachten ist, versucht Trump dagegen, um jeden Preis ein wie auch immer geartetes Abkommen zu erreichen, das er seiner amerikanischen Wählerschaft als Verhandlungserfolg präsentieren kann. Und das möglichst schnell, um sich anderen politischen Fragen wie dem Umgang mit China zuzuwenden. Hier spielt Trumps große Ungeduld hinein: Der Krieg in der Ukraine ist ihm lästig, und das wird zu einer Handlungsmaxime. Der Preis eines solchen schnellen „Trump-Deals“ kann in letzter Konsequenz die Existenz der Ukraine selbst sein – verbunden mit dem verheerenden Signal an alle Despoten, dass sich Eroberungskriege (wieder) lohnen.
Zweitens hat Trump nicht nur keine ausgearbeiteten Verhandlungs- und Friedenspläne, sondern er geht auch noch äußerst disruptiv vor. Trump hat auch Bestrebungen erkennen lassen, Grönland und den Panamakanal unter US-amerikanische Kontrolle zu bringen und Kanada zum 51. Bundestaat zu machen. So offenbart der US-Präsident wiederholt, wie sehr er in (neo)imperialer Manier denkt. Das Prinzip territorialer Integrität von Staaten hat somit einen schweren Stand, sobald es den eigenen (US-)Interessen im Wege steht. Mit seinem Vorgehen nimmt Trump – gewollt oder ungewollt – in Kauf, Russlands eurasischen Großmachtambitionen in die Hände zu spielen. Mit diesem außenpolitischen Ansatz stellt Trump die seit Ende des Zweiten Weltkriegs geltende regelbasierte internationale Ordnung infrage. Das Recht des Stärkeren wiegt für den neuen alten Mann in Washington offensichtlich mehr. Für Russland gilt dieses Recht schon lange als das einzig Wahre. Moskau kann also Morgenluft wittern.
„Disruptiv“ bedeutet, dass Trump klassische geschriebene und ungeschriebene Regeln des diplomatischen Parketts beiseiteschiebt. Das Treffen im Oval Office mit Zelenskyj hat dies exemplarisch gezeigt: Seit 1945 ist in den USA noch kein Staatsoberhaupt, dessen Land als Verbündeter gilt und sich im Kampf gegen einen Aggressor befindet, öffentlich derart gedemütigt worden. Selbst wenn es Unstimmigkeiten zwischen den Partnern gab, galt umso mehr – salopp gesagt –, dass die Fetzen hinter verschlossenen Türen fliegen. Normalerweise hätte man sich kurz vor der Presse gezeigt, sich dann zu längeren Gesprächen zurückgezogen und wäre schließlich mit den Ergebnissen oder zumindest einem kurzen Statement vor die Öffentlichkeit getreten. Das hat vor allem den Effekt, unter Verbündeten Einigkeit zu demonstrieren. Der Aggressor – in diesem Fall Russland – würde so das klare Signal erhalten, dass es kein Spaltpotenzial gibt. Was wir aber Ende Februar gesehen haben, ist das Gegenteil. Überdies fällt ein zweites Moment auf: Zwei Staatchefs kommen in der Regel zur Unterzeichnung von Abkommen erst dann zusammen, wenn alle Vorbereitungen getroffen wurden und es nur noch darum geht, auf der obersten Ebene letzte Details zu klären oder Blockaden zu lösen. Das Treffen zwischen Zelenskyj und Trump kam gar nicht so weit.
„America first“ bestimmt die Verhandlungslinie
Untypisch für Verbündete und einen Vermittler von Friedensgesprächen war auch Trumps Rhetorik im Vorfeld des Treffens. Er verbreitete ganz klassische Kreml-Propaganda. Demnach sei die Ukraine schuld daran, dass es bisher keine Verhandlungserfolge gegeben habe. Überdies behauptete Trump, dass Zelenskyj eine Zustimmungsrate von lediglich vier Prozent in der ukrainischen Gesellschaft habe, bezeichnete ihn gar als „Diktator“. Dabei genießt der ukrainische Präsident nach wie vor das Vertrauen der Mehrheit der Ukrainer, wie Meinungsumfragen zeigen.[2]
Was passiert hier? In der Anbahnung von Friedensverhandlungen ist es häufig so, dass sich die direkten Konfliktparteien gegenseitig ihre Legitimität für Verhandlungen absprechen und ihre Maximalziele äußern. Sie tragen damit den Konflikt vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch. Vermittler arbeiten dann mit beiden Parteien – beispielsweise in Form einer Pendeldiplomatie – daran, einen Rahmen zu setzen, in dem sich beide Seiten zuerst zu Gesprächen und schließlich zu Kompromissen durchringen können. Hier aber nehmen Trump und sein Vize J. D. Vance dem Kreml die Arbeit ab und betreiben eine gezielte Täter-Opfer Umkehr, um der Ukraine einen Waffenstillstand ohne Sicherheiten aufzuzwingen. Das gibt Russland allen Raum und auch alle Zeit, seinen Maximalforderungen Gewicht zu verleihen. Die anfänglichen Überlegungen unter Experten, als Trump begann, dem Kreml nach dem Mund zu reden, dass dies vielleicht dem Ziel diene, Putin erst einmal an den Verhandlungstisch zu locken, haben sich als fehlgeleitet erwiesen. Trump folgt ausschließlich seinem Motto „America first“ – und dazu gehört die neue Realität, dass die USA sich nicht mehr an der Seite der Ukraine und der Europäer engagieren wollen.
Wer sich von Trumps Strategie immer noch eine Lösung oder zumindest den Weg hin zu einer Lösung erhofft, verkennt, wie komplex Friedensverhandlungen grundsätzlich sind, zumal mit der Atom- und Vetomacht Russland als Aggressor. Weder liegt eine Roadmap zum Frieden bereit, noch wird es einen alles entscheidenden Gipfel zwischen Trump und Putin geben, der von heute auf morgen Frieden bringt. Stattdessen werden die europäischen und globalen Partner der Ukraine aller Voraussicht nach künftig die wegfallende US-Unterstützung kompensieren müssen. Daran würde vermutlich auch der Rohstoff-Deal nichts ändern, der – trotz des Eklats im Oval Office – weiter zwischen Kyjiw und Washington verhandelt wird. Bislang deutet nichts darauf hin, dass Trump damit weitere verbindliche Zusagen an die Ukraine verknüpfen will, schon gar nicht Sicherheitsgarantien. Einem zukünftigen Beitritt der Ukraine zur NATO – ursprünglich Teil eines bilateralen Sicherheitsabkommens zwischen den USA und der Ukraine – hat Trump eine Absage erteilt. Ohne Zustimmung der USA ist dieser Weg blockiert. Dennoch bleibt es für Kyjiw unabdingbar, sich unermüdlich um gute Beziehungen mit Washington zu bemühen: „Es ist sehr gefährlich für die Ukraine, wenn Amerika nicht unser strategischer Partner ist und sich abwendet“, sagte Zelenskyj im März am Rande eines Staatsbesuchs in Finnland. „Es gab Signale und Schritte in Richtung dieser Gefahr – eine vorübergehende Aussetzung der Hilfe. Ich bin dem Präsidenten dankbar, dass alles wieder aufgenommen wurde.“[3] Die Frage ist, für wie lange.
Die USA sprechen unterdessen abwechselnd mit Moskau und mit Kyjiw. Das sieht zwar wie die klassische Pendeldiplomatie eines eingeschalteten Vermittlers aus, unterliegt allerdings stark dem russischen Einfluss. Dabei ist ein solches Pendeln normalerweise in Verhandlungen sehr hilfreich, um vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Konfliktparteien einzuleiten – als Grundbedingung für direkte Friedensverhandlungen. Das Problem ist jedoch: Donald Trump und sein Kabinett präsentieren sich der US-Gesellschaft (und der Welt) zwar als Vermittler für die Verhandlung eines Abkommens, gehen dabei aber einer russischen Verhandlungstaktik auf den Leim, die der Kreml bereits seit mehr als 20 Jahren bei ungelösten Territorialkonflikten in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion anwendet: Es kann keinen Frieden ohne, aber auch nicht mit Russland geben. Im Fall der Ukraine spricht Putin zwar viel vom Wunsch nach Frieden. Faktisch unternimmt er aber immer wieder Schritte, um echte Friedensverhandlungen, die zu Ergebnissen unterhalb seiner Maximalforderungen führen könnten, von vornherein zu verunmöglichen. Beispielhaft ist die Reaktion Putins auf den US-amerikanisch-ukrainischen Vorschlag einer 30-tägigen Waffenruhe nach Verhandlungen in Dschidda in Saudi-Arabien. Mehr oder weniger verklausuliert dankte Putin zwar den USA für ihre Initiative, beharrte dann aber konsequent in Variation früherer Ansprachen und Statements auf seinen Maximalforderungen für einen (Diktat-)Frieden.
Das Risiko ist stets, dass Trump nur das (vergiftete) Kompliment hört, das er hören will, aber nicht die Bedingungen erkennt, die Putin als zu klärende Liste von Detailfragen („Nuancen“) stellt – oder, noch dramatischer für die Ukraine, dass Trump diese gar in Kauf nehmen würde. Hinter diesen „Nuancen“ stehen in letzter Konsequenz die unveränderten Kriegsziele Moskaus, die Ukraine in ihrer Existenz zu zerstören oder zumindest zu einem reinen Vasallenstaat zu machen, getarnt mit den postulierten Begriffen „Denazifizierung“ und „Demilitarisiering“ der Ukraine. Schließlich einigten sich Trump und Putin bei einem Telefonat Mitte März auf einen sog. begrenzten Waffenstillstand und damit auf nicht viel. Russland wolle für 30 Tage die Angriffe auf die zivile Energieinfrastruktur aussetzen, inklusive der Atomkraftwerke. Das ist eigentlich nichts anderes als die Zusage, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten, indem zumindest für einen begrenzten Zeitraum die Zivilbevölkerung wieder auf Strom und Heizung hoffen darf. Putin hat Trump mit diesem 30-tägigen begrenzten Waffenstillstand zunächst schlicht abblitzen lassen.
Der große Wurf war aber auch nicht zu erwarten gewesen. Die bittere Wahrheit ist und bleibt: Jeder aktuell denkbare Weg zu einem gerechten (Verhandlungs-)Frieden mit Russland wird zäh verlaufen und zahlreiche Rückschläge bergen – übrigens unabhängig davon, wer gerade im Kreml die Macht hat oder haben wird. Erwartbar sind in absehbarer Zeit vor allem solche Verhandlungen, an deren Ende maximal temporäre und vor allem technische „Inseln der Übereinkunft“ (Gabriela Blum)[4] stehen können, z. B. hinsichtlich der nuklearen Sicherheit, des Exports von Getreide über das Schwarze Meer oder des Austauschs von Gefangenen zwischen Russland und der Ukraine. Das zeigte sich auch nach dem Telefonat von Trump mit Putin, das zur Vermittlung eines erneuten Gefangenenaustausches beitrug. Auch der Vorstoß nach tagelangen Verhandlungsrunden Ende März in Riad für einen begrenzten Waffenstillstand im Schwarzen Meer – unter anderem zur Absicherung von Getreidetransporten – wäre, so es zur Umsetzung kommt, nicht mehr als eine weitere „Insel der Übereinkunft“.
Diplomatische Schockwellen für die Europäer
Ihrem Steckbrief nach hätten die USA alle Voraussetzungen gehabt, Russland in die Zange zu nehmen und aus seiner Komfortzone heraus zu zwingen. Doch mit Trump gehen sie den Weg des geringsten Widerstandes und erhöhen vor allem den Druck auf die Ukraine. Die Aussicht, die USA könnten sich in naher Zukunft als größter militärischer Unterstützer zurückziehen, ist mit Trump zu einem Druckmittel geworden, weil die Europäer nicht in der Lage sind, einen Wegfall der US-Unterstützung schnell zu kompensieren. Trump versuchte zuletzt, Verhandlungen zu erzwingen, indem er der Ukraine zwischenzeitlich bereits zugesagte Militärhilfen für den Verteidigungskampf verweigerte. Zwar hat Trump auch Russland immer wieder mit weiteren Sanktionen gedroht und damit, die Hilfen für Kyjiw im Gegenzug zu erhöhen. Allerdings fällt der Druck auf den Kreml bestenfalls zart aus, während die Ukraine mit dem Rücken an die Wand gedrängt wird. Betrachtet man dies unter der Prämisse von wirksamen Friedensverhandlungen, führt diese Strategie ins Leere. Ein Frieden für die Ukraine, zumal ein gerechter und einer, der hält, auch wenn die Tinte schon längst getrocknet ist, müsste dagegen auf politische Strategien setzen, die einen langen Atem haben und die dafür notwendige Geduld aufbringen. Dem steht Trumps aktuelles Vorgehen diametral entgegen.
Wie umgehen mit dieser Disruption und Verunsicherung? Die Ukraine ist auf externe militärische und diplomatische Unterstützung mehr denn je angewiesen, um am Verhandlungstisch zu sitzen und um ein einigermaßen akzeptables und vor allem auch abgesichertes Abkommen erreichen zu können. Aktuell strebt jedoch Russland an, über die Ukrainer hinweg mit den USA allein ins Gespräch zu kommen, um die eigenen Positionen in bilateralen Gesprächen durchzusetzen. Die USA, so sieht es Moskau, sind die Großmacht, mit der Russland überhaupt nur gewillt ist, auf Augenhöhe sprechen. Dabei war man in Kyjiw besser als die europäischen Partner auf alle möglichen Vorgehensweisen der neuen Trump-Regierung vorbereitet. Nicht zuletzt ist die Idee des Rohstoff-Deals eine, die der ukrainische Präsident Zelenskyj selbst aufs Tapet gebracht hat. Das legt nahe, dass solche Szenarien zur Sicherung der US-Unterstützung für die Zeit nach Joe Biden bereits frühzeitig in den Kyjiwer Ministerien durchgespielt wurden. Doch hat sich Zelenskyj mehr erhofft und stets – bisher ohne Erfolg – im Gegenzug auf effektive Sicherheitsgarantien gedrängt.
In der so entstandenen toxischen Verhandlungsdynamik gibt es derzeit nur einen gangbaren Weg: Die sich formierende „Koalition der Willigen“ von europäischen und westlichen Partnern (darunter auch Kanada und Australien) muss der Ukraine die größtmögliche diplomatische und auch militärische Unterstützung bieten, um das entstandene Verhandlungschaos einzudämmen und gemeinsam Leitplanken für einen klugen Verhandlungsprozess einzuziehen. Nach der diplomatischen Schockwelle, die nach dem gescheiterten Gespräch zwischen Zelenskyj und Trump auch Europa sichtlich in die Glieder gefahren ist, haben Frankreich und Großbritannien begonnen, diese „Koalition der Willigen“ aus mehr als 25 Staaten zu organisieren. Im Lärm der Zeit und angesichts der sich immer wieder überschlagenden Ereignisse bleiben für diese Allianz zwei große Fragen, die sich in den vergangenen drei Jahren seit der russischen Vollinvasion in der Ukraine nicht geändert haben: Wie gelingt es erstens, Russland in die Schranken zu weisen, ohne eine Ausweitung des Kriegs in hoher Intensität in weitere Landesteile der Ukraine und über die Ukraine hinaus zu riskieren? Diese Frage stellt sich insbesondere mit Blick auf eine mögliche direkte Konfrontation mit der NATO. Wenn es zweitens soweit käme, dass ein Ende der Kampfhandlungen in Aussicht stünde: Wer gibt der Ukraine ganz klare Sicherheitsgarantien und in welcher Form, um mögliche künftige russische Angriffe abzuwehren? Der Faktor Trump macht das Ganze, das ist überdeutlich, noch komplizierter, als dies ohnehin schon der Fall war. Dabei kann sich diese „Koalition der Willigen“ nicht einmal mehr auf eigene, sicher geglaubte politische und militärische Bündnisse wie die G7-Gruppe verlassen, und immer weniger auf den NATO-Bündnisfall nach Art. 5 – weil all das auch vom weiteren Kurs der US-Regierung unter Trump abhängt. Für echte Chancen auf Frieden müsste wohl oder übel auch der russische Nachbar China eine zentrale Rolle spielen, um konstruktiv auf Moskau einzuwirken.
Sicherheitsgarantien für die Ukraine werden aber der Dreh- und Angelpunkt für die Absicherung eines Verhandlungsergebnisses bleiben. Dafür wird es am Ende zwei zentrale Dinge brauchen: Waffen und Diplomatie. Das ist kein Gegensatzpaar, wie gerade in der deutschen Debatte oft suggeriert wird, sondern es sind zwei Seiten derselben Medaille. Nur wenn diese beiden Seiten ausbalanciert werden, kann auf den russischen Aggressor in irgendeiner Form Verhandlungsdruck und später auch Druck zur Einhaltung eines Waffenstillstandes oder Abkommens aufgebaut werden. Auch wenn es sich viele noch so sehr wünschen, anders wird es nicht gehen.
Moskau braucht keinen Frieden
Dass dem Kreml diese neue „Koalition der Willigen“ an der Seite der Ukraine nicht genehm ist, zeigt sich bereits daran, dass der russische Außenminister Sergej Lavrov alle bisher vorgebrachten Vorschläge für europäische und internationale Friedenstruppen abgelehnt hat. Er bezeichnete ein solches Angebot als „direkte, offizielle und unverhohlene Beteiligung der NATO-Länder am Krieg gegen die Russische Föderation“.[5] Diese Drohung soll davon abschrecken, die Ukraine weiter zu unterstützen. Moskau – das wird wiederholt deutlich – braucht auch nach drei Kriegsjahren noch keinen Waffenstillstand und schon gar keinen, der mit Zugeständnissen verbunden wäre. Dabei liegen die bisherigen militärischen Erfolge hinter dem zurück, was Russland mit den vier offiziell auf dem Papier annektierten ukrainischen Gebieten im Osten der Ukraine für sich beansprucht. Die Ukraine, der ein Verteidigungskrieg auf dem eigenen Territorium aufgezwungen wurde und wird, will und braucht einen Frieden dagegen schon. Diese Ausgangsbedingungen machen Verhandlungen von Beginn an so schwierig.
Dabei war es vor allem die Ukraine selbst, die seit Kriegsbeginn mögliche Ansatzpunkte dafür vorangebracht hat, indem Zelenskyj drei Jahre lang eine intensive Reisediplomatie betrieben hat, um z. B. eine ganze Serie von bilateralen Sicherheitsabkommen auszuhandeln. Sie sollen ein breites Netz von Solidarität und minimale Abschreckung gegen Russland schaffen. Die Idee basiert auf dem Zehn-Punkte-Friedensplan der Ukraine, der durch Trumps Diplomatie mit der Brechstange zuletzt vollkommen ins Hintertreffen geraten ist.
Damit droht mehr denn je die Gefahr eines schmutzigen Friedens, also eines Abkommens und einer Situation, die das große Risiko bergen, nur das Zwischenspiel für eine erneute und viel größere Eskalation des Kriegs zu werden – in der Ukraine und darüber hinaus. Es geht in diesen Verhandlungen um die Ukraine auch um die Sicherheit und Stabilität Europas, allem voran in der gesamten östlichen Nachbarschaft. Das (zu) späte Erwachen der europäischen Partner der Ukraine erfordert eine Strategie, die all das im Blick hat und auf den steinigen Weg hin zu einem gerechten Frieden setzt. Allerdings braucht dies etwas, von dem Russland (aktuell noch) viel und die Ukraine wenig hat: Zeit.
Anmerkungen:
[1]) https://www.faz.net/aktuell/politik/usa-unter-trump/video-trumps-wortgefecht-mit-selenskyj-in-voller-laenge-110329394.html
[2]) Fesenko, Volodymyr: Pulsfühlung. Die ukrainische Gesellschaft zu Beginn des vierten Kriegsjahres. In: RGOW 53, 2 (2025), S. 7–10.
[3]) https://www.14dd5266c70789bdc806364df4586335-gdprlock/live/RQMyZbtQTuY?t=2861s
[4]) Blum, Gabriela: Islands of Agreement. Managing Enduring Armed Rivalries. Cambridge (MA)/London 2007.
[5]) https://tass.ru/politika/23323459
Die beiden Autorinnen sind auch Verfasserinnen des Buches „Frieden verhandeln im Krieg. Russlands Krieg, Chancen auf Frieden und die Kunst des Verhandelns“, erschienen bei Quadriga/Bastei Lübbe (2024, 240 Seiten). Buchbesprechung in RGOW 2/2025, S. 30.
Cindy Wittke leitet den Arbeitsbereich Politik am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung und ist Professorin für Normativität in der internationalen Politik an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Regensburg.
Mandy Ganske-Zapf ist freie Journalistin zu Osteuropa.
Bild: Noch vor dem Eklat im Oval Office: Donald Trump empfängt Volodymyr Zelenskyj am 28. Februar 2025 am Eingang des Weißen Hauses (Foto: Shutterstock.com / Joshua Sukoff).