RGOW 2016 04: 30 Jahre nach Tschernobyl
Im Fokus: Ein neues Kapitel in den Beziehungen der EU zu Weißrussland
von Dzianis Melyantsou
30 JAHRE NACH TSCHERNOBYL
Fabian Lüscher und Stefan Guth: Tschernobyl 1986 - ein ganz normaler Unfall?
In Tschernobyl ereignete sich der erste atomare Super-GAU. Dem Unfall lag eine verblüffende Häufung von Konstruktions-, Organisations- und Bedienungsfehlern zugrunde. Nach der Katastrophe rangierten die Interessen des Staatsschutzes bisweilen vor dem Bevölkerungsschutz. Über die gesundheitlichen Langzeitfolgen des Super-GAUs wird bis heute gestritten. Unstrittig ist allerdings, dass Tschernobyl ins kulturelle Gedächtnis der Menschheit eingegangen ist und bis heute die Debatten über die zivile Nutzung der Kernenergie prägt.
Astrid Sahm: Im Schatten des Krieges: Tschernobyl-Betroffene in der Ukraine
Die Tschernobyl-Katastrophe bleibt in der Erinnerungskultur der Ukraine präsent. Dafür sorgen vor allem zahlreiche Tschernobyl-Verbände, die sich für die Fortführung der rechtlich zugesagten Sozialleistungen für Betroffene einsetzen, die zuletzt 2014 radikal beschnitten wurden. Die „Geschichtswerkstatt Tschernobyl“ in Charkiv organisiert zahlreiche Informations- und Beratungsangebote für Betroffene und Schüler, in jüngster Zeit aber auch für Binnenflüchtlinge.
Aliaksandr Dalhouski: "Tschernobyl" in der Wahrnehmung belarussischer Liquidatoren
In Weißrussland hat bisher kaum eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen der Tschernobyl-Katastrophe stattgefunden. In persönlichen Interviews berichten einige Liquidatoren von der eher chaotischen Organisation und den nicht vorhandenen Informationen über die Risiken des Einsatzes. Dass der Staat 2013 ihren Status von „Teilnehmern“ zu „Geschädigten“ der Katastrophe herabstufte, empört sie. Die Gründung eines Verbandes, der ihre Interessen vertritt, ist bisher nicht gelungen.
Andrea Zink: Tschernobyl: Re-Präsentationen einer Katastrophe
Das ungeheure Ausmaß der Katastrophe in Tschernobyl wirft die Frage nach einer angemessenen künstlerischen Darstellung auf. In der Literatur erweist sich ein dokumentarischer Zugang mit Hilfe von Interviews als fruchtbar, aber anspruchsvoll in der Umsetzung. In Fotografie und Dokumentarfilm überzeugt besonders der Fokus auf die Ereignislosigkeit nach der Katastrophe.
Maryana Hnyp: Die UGKK und die Tschernobyl-Tragödie
Auf das Atomunglück in Tschernobyl reagierte die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK) mit zahlreichen karitativen Maßnahmen zur Unterstützung der Opfer. In der Sozialethik spielt die ökologische Dimension seither eine wichtige Rolle. Zudem entstanden aus der großen internationalen Solidarität viele Partnerschaften. Zum 25. Jahrestag lancierte die UGKK Projekte zum Gedenken an den Unfall, die sich insbesondere an Jugendliche richteten.
Regula Zwahlen: Die Russische Orthodoxe Kirche und Tschernobyl
Bei Tschernobyl-Gedenkfeiern appelliert die Russische Orthodoxe Kirche an die Verantwortung der Menschen für technologische Entwicklungen. Wie schon zu Sowjetzeiten präsentiert sich die Kirche aber nicht als Gegnerin der Kerntechnik, da diese der Wirtschaftsentwicklung und der Staatssicherheit diene. Den neu entstandenen Tschernobyl-Ikonen wird von orthodoxen Gläubigen heilende Wirkung für Mensch und Natur zugesprochen.
Stefan Guth: Atomstaat Russland
Die Staatsholding Rosatom ist für alle Belange der zivilen und militärischen Nutzung der Kernenergie in Russland zuständig. Das weitverzweigte Unternehmen, das nur dem Präsidenten Rechenschaft schuldig ist, soll eine nukleare Renaissance des Landes einleiten. International befindet sich Rosatom auf Expansionskurs, doch sind viele Projekte mit Unwägbarkeiten behaftet. Dafür, dass Russland auf absehbare Zeit Atomstaat bleibt, spricht die zentrale Bedeutung, die die ehemalige Supermacht nuklearen Optionen in ihrer Macht- und Energiepolitik beimisst.