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RGOW 2020 12: Verordneter Stillstand und Proteste. Politik und Religion in Belarus und Russland

RGOW 2020 12: Verordneter Stillstand und Proteste. Politik und Religion in Belarus und Russland

BELARUS

Nicolas Hayoz: Proteste und politische Regime in Russland, Belarus und der Ukraine
Russland, Belarus und die Ukraine sind in den letzten Jahren Schauplatz von Massenprotesten gegen die jeweiligen politischen Regime geworden. Während die Majdan-Revolution 2013/14 zu einem Machtwechsel in der Ukraine geführt hat, sind die Massenproteste in Russland wieder verebbt. In Belarus gehen die Proteste, getragen vor allem von Frauen, weiter und entlarven den Zynismus der Macht von Lukaschenka, der sich nur noch mit nackter Gewalt halten kann.

Julia Gerlach: Belarus – Anatomie eines politischen Systems
Seit 26 Jahren wird Belarus von Alexander Lukaschenka regiert, der das Land zum Idealtypus einer scheinbar unerschütterlichen Autokratie gemacht hat. Mehrfach gab es nach Präsidentschaftswahlen bereits Massenproteste, doch hat sich eine vereinte und populäre Opposition erst zu den Wahlen 2020 gebildet. Die Demonstrationen zeichnen sich durch vielfältige, kreative Protestformen aus.

Carolin Rüger: Keine Ukraine 2.0 – Die Reaktion der EU auf die Krise in Belarus
Auf die manipulierte Präsidentschaftswahl und das brutale Vorgehen der Staatsmacht gegen die Protestierenden hat die EU mit Sanktionen und Maßnahmen zur Unterstützung der Zivilgesellschaft reagiert. Mit Lukaschenkas Schaukelpolitik zwischen der EU und Russland ist es definitiv vorbei.

Dokument: Offener Brief an die Christen in Belarus
Die vom Moskauer Patriarchat unabhängige russische orthodoxe Website pravmir.ru hat am 25. November 2020 einen Offenen Brief in russischer, englischer, belarusischer und italienischer Sprache veröffentlicht. Bis zum 1. Dezember wurde er von 2002 mehrheitlich in Russland lebenden Personen unterzeichnet, darunter von Prominenten wie dem Musiker Boris Grebenschtschikov und bekannten orthodoxen Intellektuellen wie Ol’ga Sedakova und Sergej Tschapnin.

Alexander Shramko: Orthodoxie und Proteste: Ohnmächtige Hierarchen und aktive Gläubige
Die gesellschaftlichen Spannungen in Belarus spiegeln sich auch in der orthodoxen Kirche wider. Während ein Großteil der Hierarchie sich weiterhin passiv und loyal gegenüber dem Regime verhält, unterstützen zahlreiche Priester und Gläubige die Proteste. So entstehen neue Formen der ökumenischen Zusammenarbeit und des Dialogs der Kirche mit der Gesellschaft.

Alena Alshanskaya: An der Seite der Protestierenden: Katholische Kirche in Belarus
Katholische Gläubige haben bereits vor der Präsidentschaftswahl gegen Wahlfälschungen mobilisiert, und die kirchliche Hierarchie hat die Gewalt der Staatsmacht gegen die Protestierenden nach der Wahl klar verurteilt. Enttäuscht sind viele belarusische Gläubige über die aus ihrer Sicht zu unkritische Politik des Vatikans gegenüber dem Regime.

Paula Borowska: Zivilgesellschaftliches Engagement evangelischer Kirchen
Auch evangelische Gemeinschaften in Belarus erheben ihre Stimme gegen die Wahlfälschungen und die vom Staat ausgeübte Gewalt und lancieren u. a. mediale Initiativen zur moralischen Unterstützung der Protestierenden. Sie beteiligen sich vermehrt auch bei ökumenischen Projekten und kombinieren Evangelisierung mit dem Bekenntnis zu einer eigenen belarusischen Kultur.

Hans-Ulrich Probst: Die jüdische Gemeinschaft und die Proteste in Belarus
Die kleine jüdische Gemeinschaft in Belarus blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück und zeichnet sich durch eine große innere Pluralität aus. Zum Staat wahrt sie seit der Unabhängigkeit 1991 ein neutrales Verhältnis. Aus Angst vor Repressionen äußern sich jüdische Gemeinden und Organisationen bisher nicht öffentlich zu den Protesten.

RUSSLAND

Alexander Kynev: Depression, Aggression und Erwartung einer Transition in Russland
Während der Pandemie agierte die russische Regierung auffallend passiv und überließ das Feld weitgehend den Gouverneuren. Zugleich drückte sie eine höchst umstrittene Verfassungsreform durch und in den Regionalwahlen im September kamen fragwürdige neue Wahlregelungen zur Anwendung. All dies führt zu einem Imageschaden und Legitimationsverlust der aktuellen Staatsführung.

Oleg Kurzakov: Risse in Patriarch Kirills Machtvertikale?
Nach dem Kollaps des Sowjetsystems hofften viele auf eine religiöse Erneuerung der Gesellschaft mit Hilfe der Russischen Orthodoxen Kirche. Diese war jedoch vor allem an der Absicherung ihres eigenen Status interessiert und begab sich in eine große Abhängigkeit vom Staat. Unter Patriarch Kirill wurde die kirchliche Machtvertikale verstärkt und die Gemeindeebene geschwächt, was zum Bedeutungsverlust der Kirche in der russischen Gesellschaft beiträgt.